Handbuch Ius Publicum Europaeum. Monica Claes

Handbuch Ius Publicum Europaeum - Monica  Claes


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man die wichtigsten Entscheidungen oft in englischer Übersetzung.[182] Sobald man jedoch Näheres über das jeweilige Gericht wissen möchte, zum Beispiel die Zahl der verschiedenen Verfahren oder Informationen zur Umsetzung der Entscheidungen, sind die Webseiten mehr oder weniger stumm. Auch Jahresberichte werden nicht systematisch veröffentlicht.

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      Dazu kommen im Allgemeinen schlechte Beziehungen zur Presse. Einerseits sind die Journalisten oft schlecht ausgebildet und arbeiten für Medien, die mächtigen Eliten mit ihren eigenen Interessen gehören, andererseits verfügen die meisten Verfassungsgerichte über keinen Pressesprecher, veranstalten nur selten Pressekonferenzen und haben zum Teil die Presse ganz aus den Gerichtssitzungen ausgeschlossen.[183] Häufig hängt die konkrete Kommunikationsstrategie vom jeweiligen Gerichtsvorsitzenden ab, ist also selbst innerhalb eines Gerichts recht unterschiedlich und meistens unzureichend, da nicht vorausgedacht und -geplant.

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      Das Fazit ist also recht bescheiden. In solch einem Kontext erscheint es kompliziert, sich einen Ruf als neutraler Dritter, als Hüter, Schiedsrichter oder gar Gründer einer neuen Ordnung zu machen. Schneiden hier Slowenien und der Kosovo am besten ab, so ist dennoch festzuhalten, dass auch das bosnisch-herzegowinische und in einem geringeren Umfang das kroatische Verfassungsgericht versucht haben, das politische Umfeld zur Transformation, zur Demokratisierung und zum Aufbau eines Rechtsstaates anzuhalten. Doch bleibt zu fragen, in welchem Maße sich dieses politische Verhalten auf die rechtlichen Instrumente niederschlägt und inwieweit es diesen Verfassungsgerichten gelingt, sich im europäischen Rechtsraum zu engagieren.

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      Was von den Verfassungsgerichten im Allgemeinen und insbesondere im Transformationsprozess erwartet wird, ist ein „weises“ Abwägen von Situationen und Rechten, die Umsetzung der Politik in juristische Argumentation.[184] Dies erweist sich zuweilen als ein schwieriges Unterfangen, da manche Verfassungsgerichte gar nicht daran gewöhnt sind zu argumentieren. Es ist daher erforderlich, nunmehr der Frage nach dem Wandel der Rechtskultur nachzugehen (a) sowie zu prüfen, ob und wie sich das Verhältnis zum Völkerrecht, vor allem aber zur EMRK und der EU geändert hat (b).

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      Zwei eher formelle Aspekte, die aber eng mit dem substanziellen juristischen Denken zusammenhängen,[185] sollen hier als Anhaltspunkte dienen: Zunächst sind dies Art, Stil und Methoden der Auslegung, wobei es ferner interessant sein mag, zwischen der Selbstdarstellung der Arbeitsmethoden durch die Verfassungsgerichte und einer externen Beobachtung zu unterscheiden (aa). Sodann soll auch der Urteilsstil ins Auge gefasst werden, seine allgemeine Form, aber auch, wie Fakten dargestellt und inwieweit Lehrmeinungen oder Rechtsprechung anderer Gerichte zitiert werden (bb).

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      Eine dem europäischen Rechtsraum adäquate Auslegung würde erfordern, dass sich die Verfassungsgerichte nicht nur auf eine Auslegung nach dem Wortlaut beschränken, sondern auch systemische und teleologische Betrachtungen anstellen. Vor allem letztere stellen eine Brücke dar, die die Übersetzung von nichtrechtlichen Überlegungen in rechtliche fördert.[186] Teleologische Argumente erlauben die nötige Flexibilität, um neuen gesellschaftlichen Herausforderungen ohne Verfassungsänderung zu begegnen; sie sind insbesondere in der Verhältnismäßigkeitsprüfung sozusagen impliziert, denn wie kann sonst die zwingende „Notwendigkeit“ in einer demokratischen Gesellschaft beurteilt werden.

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      In den post-jugoslawischen Staaten findet man dazu zahlreiche, oft widersprüchliche Äußerungen. Um mit der Selbstdarstellung zu beginnen, so sind in diesem Zusammenhang in erster Linie die Berichte zur 14.[187] und 17.[188] Konferenz der europäischen Verfassungsgerichte von Interesse, von denen erstere gesetzgeberische Lücken und letztere verfassungsrechtliche Grundsätze behandeln. Daraus ergibt sich, was Gesetzeslücken betrifft, ein deutlich formalistisch-positivistisches Bild der mazedonischen, serbischen, montenegrinischen und kroatischen Gerichte, da sie im Prinzip davon ausgehen, dass allein der Gesetzgeber solche Lücken füllen kann und soll und dass sie selbst weder berufen sind, das Vorliegen einer Lücke als verfassungswidrig anzusehen noch Lücken zu füllen. Das bosnisch-herzegowinische und das slowenische Verfassungsgericht geben offener zu, dass sie manchmal solche Lücken prüfen. Vor allem wenn es zu verfassungswidrigen Konsequenzen kommt, heben sie entweder das besagte Gesetz auf oder erklären es für verfassungswidrig unter Festlegung einer Frist zur Nachbesserung.[189] Sei es weil diese Konferenz aktueller war oder weil Fortschritte für erforderlich gehalten wurden, nähert sich die Selbstdarstellung im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Grundsätze jedenfalls den europäischen Standards. Alle Gerichte beteuern, dass solche Grundsätze, insbesondere Verhältnismäßigkeit, Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde und Gewaltenteilung, wichtig sind und angewendet werden. Allerdings gibt es auch da Nuancen: für manche sind die Grundsätze nur eine Interpretationshilfe,[190] für andere normative Bestimmungen.[191] Das kroatische Gericht geht sogar so weit, sich als Ziel den Ausgleich zwischen den normativ vorgegebenen Werten und den positivgesetzlichen Regeln zu setzen und von einer „unvollkommenen“ Rechtsordnung zu sprechen.[192]

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      Von außen betrachtet können drei Gruppen ausgemacht werden: die erste hält noch heute überwiegend an „textualistischen“ Methoden fest; die zweite zeigt eine beträchtliche Wandlung in Richtung des europäischen Rechtsraums und die dritte bewegt sich schon länger, allerdings nicht ohne Rückschläge, innerhalb dieses Raums. Zur ersten Gruppe gehören, was wenig überraschen mag, Mazedonien und Montenegro. Es ist bezeichnend, dass die Verfassungsgerichte dieser Länder die verfassungskonforme Interpretation nicht kennen. Im Übergang zur zweiten Gruppe befindet sich Serbien, wo zwar das Verfassungsgericht noch immer die textgebundene Interpretation bevorzugt, aber doch Anfänge eines Wandels zu bemerken sind: die Betonung von Grundsätzen und Werten, eine gewisse Berücksichtigung von soft law und sogar des acquis communautaire.[193] In die zweite Gruppe gehört Kroatien. Hier ist seit 2000 und noch deutlicher seit 2008 eine beträchtliche Veränderung eingetreten. Vorher scheute sich das Verfassungsgericht, die Passivität des Gesetzgebers zu rügen und sich damit in die Kompetenzen des Gesetzgebers einzumischen. Inzwischen hat sich der allgemeine Stil der Auslegung von einer „mikroskopischen“ zu einer holistischen Betrachtungsweise gewandelt: verfassungsrechtliche Grundsätze werden aufgewertet, vielleicht sogar überbewertet, die Beachtung des substanziellen Verfassungsrechts mit einem Verfassungskern sowie einer verfassungsrechtlichen Identität werden zu einem wesentlichen Anliegen des Verfassungsgerichts.[194] Zur dritten Gruppe gehören Slowenien, der Kosovo und Bosnien-Herzegowina. Hier stellt der Rückgriff auf Grundsätze und Werte sowie die Betonung des substanziellen und nicht nur des formellen Verfassungsrechts schon fast eine Tradition dar, auch wenn regelmäßig Rückfälle zu verzeichnen sind und auch wenn die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu wünschen übriglässt. In dieser Hinsicht ist es bezeichnend, dass das slowenische Verfassungsgericht sich lange gesträubt hat, extra-legale Gesichtspunkte in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen,[195] dann aber doch unter dem Druck der Finanzkrise und der Drohung schwindender Regierungsstabilität zuerst akzeptierte, die Dringlichkeit einer Reform und dann auch die Glaubwürdigkeit des Staates in seine Bewertung einzuschließen.[196] Es scheut sich jedoch noch immer zu prüfen, ob die gesetzlichen Bestimmungen notwendig und geeignet sind. Dies kann umso mehr verwundern, als das Verfassungsgericht anderweitig die grundsätzliche Pflicht des Gesetzgebers zur Anpassung an die sozialen Verhältnisse statuiert.[197]

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