Handbuch Ius Publicum Europaeum. Monica Claes

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Wahl in einigen Staaten noch andere Verfahren gibt, mit denen Richter in das Amt kommen, und weil das Verfahren vielfach aus Akten mehrerer verschiedener Organe zusammengesetzt ist.

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      Für die rechtsvergleichende Untersuchung der Bestellung von Verfassungsrichtern ist zwischen dem Verfahren der Bestellung von Verfassungsrichtern (II.) und den materiellen Voraussetzungen für das Amt des Verfassungsrichters (III.) zu unterscheiden. Gesondert ist nach den Rückwirkungen der Ausgestaltung des Amtes auf die Richterbestellung (IV.) und auf die tatsächliche Zusammensetzung der Verfassungsgerichte (V.) zu fragen. Einflüsse und Wechselwirkungen im europäischen Verfassungsgerichtsverbund sind weitere Bestimmungsgründe für die Bestellung der Verfassungsrichter (VI., VII.). Auf dieser Basis sollen Aussagen zu gemeinsamen Zielen und Prinzipien der Ausgestaltung der Richterbestellung gewonnen werden (VIII.). Die jüngere Entwicklung zeigt in besonderem Maße Anfechtungen und Krisen der Verfassungsgerichtsbarkeit; auf sie ist am Beispiel Polens einzugehen (IX.).

II. Ausgestaltung des Bestellungsverfahrens 1. Die Zuständigkeit zur Bestellung

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      Die Zuständigkeit zur Bestellung liegt in aller Regel bei folgenden Verfassungsorganen: Staatsoberhaupt, Regierung und Parlament. In einigen Staaten wirken Organe der Gerichtsbarkeit mit. Ein gemeinsames Merkmal fast aller Verfassungen ist es, dass die Zuständigkeit nicht alleine bei einem Organ liegt, sondern dass im Laufe eines Bestellungsverfahrens verschiedene Organe zusammenwirken, wobei der faktische Einfluss auf die Richterauswahl von den formalen Befugnissen abweichen kann. In einzelnen Fällen gibt es auch mehr oder weniger stark ausgebildete Mitwirkungsbefugnisse des Verfassungsgerichts selbst.

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      In einer Reihe von Staaten gelten besondere Vorschriften für die Bestellung des Präsidenten bzw. des Vizepräsidenten. Hier gibt es abweichende Vorschriften, die häufig einen stärkeren oder gar den ausschließlichen Einfluss des Gerichts selbst vorsehen.

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      In zahlreichen Verfassungen sind die Bestellungsrechte auf verschiedene Organe aufgeteilt. Den größten Einfluss auf die Wahl von Verfassungsrichtern haben im Rechtsvergleich die Parlamente; lediglich im Vereinigten Königreich spielt das Parlament bei der Bestellung der Richter keine Rolle.

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      In einigen Staaten werden alle Verfassungsrichter vom Parlament gewählt. Dies ist namentlich in Ungarn,[1] in Belgien[2], in der Schweiz,[3] in Polen[4] und auch in Portugal (mit Ausnahme der drei kooptierten Mitglieder)[5] der Fall. In manchen Staaten sind Ausschüsse des Parlaments entweder zur Vorbereitung der Wahl oder zu Wahl selbst eingesetzt.[6] In den meisten anderen Staaten kommt dem Parlament die Wahl wenigstens eines – zumeist überwiegenden[7] – Teiles der Verfassungsrichter zu. Sofern Parlamente mehrere Kammern haben, ist es verbreitet, jeder Kammer einen Teil der Richter zur Wahl zuzuweisen. In aller Regel entscheidet jede Kammer über die gleiche Zahl an Richtern.[8] In manchen Fällen treten zur Wahl der Verfassungsrichter auch beide Kammern zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen.[9]

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      Einige Staaten behalten der Exekutive (meist der Regierung oder dem Staatsoberhaupt) das Vorschlags- oder Nominierungsrecht für eine bestimmte Zahl von Verfassungsrichtern vor. Am größten ist der Regierungseinfluss in Österreich, wo acht Verfassungsrichter (einschließlich des Präsidenten und des Vizepräsidenten) von insgesamt 14 Richtern auf Vorschlag der Regierung ernannt werden.[10] In Spanien werden zwei der zwölf Richter von der Regierung vorgeschlagen,[11] in Frankreich nominiert der Präsident der Republik drei der neun ernannten Mitglieder,[12] in Italien bestellt der Präsident der Republik fünf von 15 Verfassungsrichtern.[13] Es ist darauf hinzuweisen, dass Staatsoberhäuptern oftmals die formelle Ernennung oder Vereidigung der Verfassungsrichter obliegt, ihnen jedoch keine eigene Kompetenz zur Auswahl zukommt.[14]

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      In Deutschland wird die Hälfte der Richter vom Parlament (Bundestag), die andere Hälfte vom Bundesrat gewählt, der zwar auch Gesetzgebungsorgan, aber keine zweite Kammer des Parlaments ist. Im Hinblick auf die Zusammensetzung des Bundesrates aus Mitgliedern der Landesregierungen liegt in der Zuständigkeit des Bundesrates eine Beteiligung der Regierungsgewalt und gleichzeitig eine föderalistische Komponente.[15]

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      Einen Sonderfall bildet Großbritannien, wo alle zwölf Richter formell von der Königin ernannt werden,[16] das Vorschlagsrecht jedoch beim Premierminister liegt,[17] der selbst an den Vorschlag des Lord Chancellor gebunden ist.[18] Zusätzlich ist zu bedenken, dass hier eine starke Bindung an den Vorschlag eines Fachgremiums besteht.[19]

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      In einigen Staaten haben andere Gerichte bzw. Organe der Justiz einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts. In Italien sind fünf der 15 Richter von den obersten Gerichten zu bestellen, und zwar drei Richter vom Kassationshof und je ein Richter vom Staatsrat und vom Rechnungshof.[20] In Spanien werden zwei der zwölf Richter vom Allgemeinen Rat der rechtsprechenden Gewalt (Consejo General del Poder Judicial) vorgeschlagen.[21]

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      Im Einzelfall hat das Verfassungsgericht sogar ein (eingeschränktes) Selbstergänzungsrecht: in Portugal haben jene zehn Richter, die vom Parlament gewählt werden, die übrigen drei Richter im Wege einer Kooptierung zu nominieren.[22]

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      Für die Bestellung des Präsidenten (und häufig auch des oder der Vizepräsidenten) des Gerichts sind zwei verschiedene Systeme anzutreffen. Im einen System ist die Wahl des Präsidenten in die Hand des Richterkollegiums gegeben, im anderen System werden auch der Präsident und der Vizepräsident von jenen Organen bestellt, die auch die übrigen Richter wählen, wenn auch mitunter mit geringfügigen Abweichungen.

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      In der Mehrheit der Staaten Mittel-, und Osteuropas erfolgt eine Wahl des Präsidenten durch die Richter des Verfassungsgerichts; in westeuropäischen Staaten findet eine Wahl durch die Richter in Belgien,[23] in Italien[24] und in Portugal[25] statt. In der Schweiz[26] und in Ungarn[27] wird der Präsident durch das Parlament gewählt. In Deutschland wählen Bundestag und Bundesrat im Wechsel den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und den Vizepräsidenten.[28] Der Vizepräsident kann auch dann durch den Bundesrat gewählt werden, wenn die gewählte Person kurz zuvor als neuer Richter eines Senats vom Bundestag gewählt wurde, weil es ausschließlich darauf ankommt, welches Organ im konkreten Fall zur Wahl des Vizepräsidenten zuständig ist. Zum Präsidenten wird nach der jahrzehntelangen Praxis der amtierende Vizepräsident gewählt, wodurch es zu einem Wechsel des Präsidentenamtes zwischen den Vorsitzenden der beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts kommt. In Frankreich bestellt der Präsident der Republik den Präsidenten des Gerichts,[29] in Österreich schlägt die Bundesregierung den Präsidenten zur Ernennung vor[30] und auch für den Präsidenten des Supreme Court in Großbritannien ist dasselbe Wahlverfahren wie für die übrigen Mitglieder durchzuführen.[31]

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      Eine Mittellösung wurde in Spanien und in Polen gewählt. Hier ernennt jeweils das Staatsoberhaupt (also der König bzw. der Staatspräsident) den Präsidenten des Gerichts auf Vorschlag der Richter des Verfassungsgerichts aus dem Kreis der Verfassungsrichter.[32] Wie labil hier die Gewaltenteilung ist, zeigen die Unterschiede zwischen Spanien und Polen und insbesondere die Rechtsentwicklung in Polen. Während in Spanien die Entscheidung letztlich bei den Richtern liegt, war für Polen bis zum Jahr 2016 ein Zweier-Vorschlag vorgesehen, der im Vorjahr


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