Handbuch Ius Publicum Europaeum. Monica Claes

Handbuch Ius Publicum Europaeum - Monica  Claes


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      In jenen Fällen, in denen der Präsident durch die Richter gewählt wird, sind im Regelfall von der Mitgliedschaft zum Gericht abgekoppelte Amtszeiten als Präsident vorgesehen, die zum Teil wesentlich kürzer sind als die Amtszeit des Richters;[34] zum Teil wird auch die Wiederwahl begrenzt.[35] In den Fällen der Bestellung des Präsidenten „von außen“ endet das Amt im Regelfall mit dem Ende der Amtszeit als Richter.

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      Häufig wird die Entscheidung über die Wahl oder die Ernennung eines Richters nicht von dem in der Verfassung vorgesehenen Organ selbst oder alleine getroffen, sondern findet eine Mitwirkung von Ausschüssen statt. Die Qualität dieser Ausschüsse und ihr Verhältnis zum vorschlagsberechtigten Organ ist ebenso verschieden wie der Einfluss dieser Ausschüsse.

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      Soweit Parlamente ein Vorschlagsrecht haben, ist es üblich, dass Ausschüsse der jeweiligen Kammer des Parlaments die Entscheidung des Plenums vorbereiten, zumal dann, wenn die Kammer eine gewisse Größe überschreitet. So besteht im deutschen Bundestag ein eigener Wahlausschuss, der nach den Regeln der Verhältniswahl aus zwölf Mitgliedern des Bundestages zusammengesetzt ist.[36] Dieser Wahlausschuss beschließt einen Wahlvorschlag mit mindestens acht Stimmen seiner Mitglieder.[37] Erst nach Erstellung des Wahlvorschlages erfolgt die Wahl durch den Bundestag mit qualifizierter Mehrheit.[38] Demgegenüber ist bei den vom Bundesrat zu wählenden Verfassungsrichtern kein vorgeschaltetes Auswahlgremium vorgesehen.[39] Ein dem deutschen Wahlausschuss ähnliches Modell findet sich in Ungarn, wo die Kandidaten von einem Nominierungskomitee vorgeschlagen werden.[40] In Frankreich ist für die Vorschläge des Präsidenten der Republik, der Nationalversammlung und des Senates eine Art Vetorecht der beiden permanenten legislativen Ausschüsse von Nationalversammlung und Senat vorgesehen, indem ein negatives Votum von wenigstens drei Fünfteln der Mitglieder im jeweiligen Ausschusses (im Falle der Vorschläge des Präsidenten der Republik beider Ausschüsse) die Ernennung verhindert.[41]

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      Diese Ausschüsse sind in aller Regel auf bestimmte Zuständigkeiten spezialisierte Ausschüsse, entweder für Wahlen oder für bestimmte andere Aufgaben, wie etwa Verfassungsangelegenheiten.[42] Merkmal dieser Ausschüsse ist, dass sie sich ausschließlich aus Mitgliedern des Parlaments zusammensetzen.

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      Daneben wirken in einigen Staaten auch Ausschüsse mit, die sich wenigstens zum Teil auch aus sachverständigen Mitgliedern zusammensetzen, die gerade nicht aus dem Kreis der Parlamentarier stammen. Auf europäischer Ebene setzen sich die beratenden Ausschüsse, die an der Wahl der Richter des EGMR und des EuGH mitwirken, ausschließlich aus Sachverständigen, überwiegend ehemalige Richter der europäischen Gerichtshöfe und (aktive oder ehemalige) Verfassungs- und Höchstrichter in den Mitgliedstaaten zusammen. Der Ausschuss der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, der die Anhörungen der Kandidaten für den EGMR durchführt, besteht hingegen ausschließlich aus Parlamentariern.

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      Im Vereinigten Königreich trifft ein spezielles Fachgremium die Auswahl der Supreme Court-Richter: Die Supreme Court Selection Commission setzt sich zusammen aus dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten des Supreme Court, dem Mitglied der gerichtlichen Auswahlkommission für England und Wales, dem Mitglied des gerichtlichen Auswahlgremiums für Schottland sowie dem Mitglied der gerichtlichen Auswahlkommission für Nordirland.[43] Eines der Mitglieder aus den zuletzt genannten gerichtlichen Auswahlkommissionen bzw. dem Auswahlgremium darf kein Jurist sein.[44] Es besteht eine starke Bindung des vorschlagsberechtigten Lord Chancellor an den Vorschlag des Fachgremiums.[45]

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      Zum Teil sehen die einschlägigen Regelungen vor, dass sich die Kandidaten für das Amt eines Verfassungsrichters einer Anhörung stellen müssen, die zumeist vor einem Parlamentsausschuss stattfindet. Die Anhörung hat den Zweck, die Qualifikation des Kandidaten vor der eigentlichen Wahl einer Überprüfung zu unterziehen.

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      Dieser Verfahrensschritt hat in historischer Perspektive eine besondere Ausprägung im Rahmen der Bestellung der Richter des US Supreme Court erlangt. Im Rahmen des Bestätigungsverfahrens („Confirmation proceedings“) im Senat findet seit den 1940er Jahren eine Anhörung der Kandidaten vor dem Senate Judiciary Committee statt. Wie in keinem europäischen Land wird hier die Person des (einzigen) vom Präsidenten nominierten Kandidaten einer Prüfung unterzogen.[46] Im Vorfeld der eigentlichen Anhörung hat der Nominierte eine Reihe von Fragebögen auszufüllen, die Mitglieder des Ausschusses erhalten Einsicht in FBI-Akten und können gegebenenfalls auch von sich aus Untersuchungen anstellen. Dabei geht es bereits in diesem Stadium zum einen um die juristische Qualifikation, zum anderen um Einstellungen zu bestimmten gesellschaftspolitischen Fragen. Die eigentlichen Anhörungen waren zunächst nicht öffentlich und werden nach einer schrittweisen Öffnung seit der Nominierung von Justice Sandra Day O’Connor sogar im Fernsehen übertragen, wobei man im Gegenzug seit 1992 auch eine nicht-öffentliche Anhörung zu vertraulichen Angelegenheiten durchführt.[47] Der Ablauf und die Reihenfolge der Fragen stellenden Senatoren sind genau festgelegt. Im Mittelpunkt der Hearings stehen (insbesondere bei Professoren) Veröffentlichungen sowie die bisherigen Urteile der Richter, im Allgemeinen aber auch die Tätigkeit in bisherigen Berufen und Ämtern, im Einzelfall auch das Privatleben. In den letzten Jahrzehnten rückten, ausgehend von Befragungen zu bestimmten Entscheidungen des Supreme Court, die politischen Einstellungen der Nominierten in den Mittelpunkt der Anhörungen.[48] Am Ende steht eine Abstimmung verbunden mit einer Empfehlung, die für das Plenum formal nicht bindend ist, der aber regelmäßig in der letztlich entscheidenden Abstimmung gefolgt wird.

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      In Europa finden Anhörungen der Kandidaten für künftige Verfassungsrichter in Österreich, in Spanien und in Ungarn sowie für die Richter des EGMR und des EuGH statt.

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      In Spanien müssen jene Richter, die vom Parlament zu wählen sind, vor dem zuständigen Ausschuss erscheinen, dort werden sie nach den Regeln der Geschäftsordnung befragt.[49] In Ungarn ist eine Anhörung durch den Ausschuss für Verfassungsangelegenheiten vorgesehen.[50]

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      In Österreich werden alle Bewerber für Richterstellen, für die die Wahl den beiden Kammern des Parlaments obliegt, zu einer Anhörung („Hearing“) eingeladen. Die vom National- oder Bundesrat zu wählenden Richter[51] haben sich seit Ende der 1990er Jahre einem Hearing zu unterziehen. Im Nationalrat findet die Anhörung seit 1998 vor einem ad hoc aus Vertretern aller im Nationalrat vertretenen Parteien gebildeten Gremium statt, in dem der Obmann des Verfassungsausschusses den Vorsitz führt. Das Gremium beschließt aber weder einen verbindlichen Wahlvorschlag noch eine Empfehlung.[52] Im Falle des Bundesrates finden die Hearings seit 1997 im Rahmen von parlamentarischen Enqueten[53] unter dem Vorsitz des Präsidenten des Bundesrates statt. Die Hearings sind nicht öffentlich, beim Bundesrat wird jedoch die Niederschrift über die parlamentarische Enquete zur Verfassungsrichterwahl veröffentlicht.

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      Im Zusammenhang mit der Durchführung von Anhörungen steht die öffentliche und mediale Aufmerksamkeit für die Wahl insgesamt. Während die Auswahl von künftigen Richtern des US Supreme Courts wochen- und monatelang Gegenstand der Medienberichterstattung und ihre Anhörung von Fernsehübertragungen begleitet ist, findet eine breitere Diskussion von Richterkandidaten


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