Handbuch Ius Publicum Europaeum. Monica Claes

Handbuch Ius Publicum Europaeum - Monica  Claes


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      Insgesamt wird deutlich, dass die Staatsbürgerschaft eine selbstverständliche und daher teilweise nicht ausdrücklich normierte Voraussetzung für die Wahl zum Richter eines nationalen Verfassungsgerichts ist. Die unionsrechtlich gewährleistete Freizügigkeit der Arbeitskräfte steht diesem Inländervorbehalt schon aufgrund des hier zweifellos anwendbaren Art. 45 Abs. 4 AEUV nicht entgegen.

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      Eine mit der Staatsangehörigkeit in Verbindung stehende, den persönlichen Status betreffende Voraussetzung ist die regionale Herkunft eines Verfassungsrichters. Diesbezüglich trifft die österreichische Bundesverfassung Regelungen, dass bestimmte bzw. ein bestimmter Anteil der Verfassungsrichter seinen Wohnort außerhalb der Bundeshauptstadt hat: Drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder müssen ihren ständigen Wohnsitz außerhalb von Wien haben.[76] Tatsächlich besteht eine deutliche Zentralisierungstendenz, nur mehr ein kleiner Teil der Richter wohnt überwiegend außerhalb der Bundeshauptstadt, dem Sitz des Gerichts.[77] In Staaten, in denen der Sitz des Gerichts nicht in der Hauptstadt ist,[78] ist diese Tendenz von vorneherein schwächer.

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      Jenseits dessen gibt es aber insbesondere in Bundesstaaten einen informellen Regionalproporz, demzufolge bestimmte Stellen mit Richtern aus einer Region, einem Land oder einem Kanton besetzt oder wenigstens auf Vorschlag von Entscheidungsträgern aus diesen regionalen Einheiten besetzt werden. Solche informellen Absprachen gibt es etwa in Deutschland oder in Österreich, wobei der Regionalproporz mitunter durch einen von parteipolitischen Gesichtspunkten beeinflussten Proporz überlagert wird.[79]

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      In Belgien ist mittelbar ein regionaler Proporz dadurch rechtlich verankert, dass auf die Sprache der Richters in differenzierter Weise abgestellt wird: Die Richter müssen je zur Hälfte französisch- bzw. niederländischsprachig sein.[80] Für jene sechs Richter, die aus dem Kreis der Juristen ernannt werden, wird auf die Sprache ihres Diploms abgestellt, für die „Politiker“-Richter[81] wird auf die Lage des Wahlkreises abgestellt.[82]

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      Ein gewisses Mindestalter für die Bestellung zum Richter eines nationalen Verfassungsgerichts ist regelmäßig de jure oder de facto festgelegt. Dabei finden sich einerseits Vorschriften, die ein nach Lebensjahren festgelegtes Mindestalter festsetzen: Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise Belgien, Deutschland (jeweils Vollendung des 40. Lebensjahres) sowie Ungarn (Vollendung des 45. Lebensjahres). Häufiger ergibt sich aus der unter 4. näher dargestellten Mindestdauer einer bestimmten juristischen Tätigkeit faktisch ein gewisses Mindestalter, um als Verfassungsrichter bestellt zu werden. Hier ist das österreichische Beispiel illustrativ, wonach die Erfordernisse eines Abschlusses des juristischen Studiums sowie zehnjähriger juristischer Berufserfahrung[83] es ausschließen, dass Personen unter 30 Lebensjahren als Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes bestellt werden können. Ähnliches gilt beispielsweise für Italien, wo ein nicht unbeträchtliches Mindestalter der Richter des Corte costituzionale faktisch dadurch erreicht wird, dass diese entweder hohe richterliche Positionen ausgeübt haben müssen oder als Rechtsanwälte eine mindestens zwanzigjährige Berufserfahrung aufweisen müssen.[84] Nicht unerwähnt bleiben sollen jedoch auch jene Staaten, die – wie beispielsweise Frankreich oder die Schweiz – lediglich die Innehabung der politischen Rechte als Voraussetzung vorsehen und daher theoretisch auch 18-Jährige als Mitglieder der jeweiligen Gerichte bestellt werden könnten. Ein Blick in die Liste beispielsweise der Bundesrichter in der Schweiz zeigt jedoch, dass alle hauptamtlichen Richter das 40. Lebensjahr vollendet haben.[85]

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      Insgesamt zeigt sich, dass für die Mehrzahl der nationalen Verfassungsgerichte de jure oder de facto ein bestimmtes Mindestalter verlangt wird. Selbst dort, wo dies nicht ausdrücklich normiert wird, werden regelmäßig Personen zu Richtern bestellt, die zumindest das 40. Lebensjahr vollendet haben, wobei auch hier Ausnahmen die Regel bestätigen. Die Festlegung jedenfalls eines nach Lebensjahren bestimmten Mindestalters ist für Staatsämter insgesamt eher unüblich und ansonsten regelmäßig nur bei republikanischen Staatsoberhäuptern anzutreffen.[86]

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      In vielen Fällen ergibt sich das Erfordernis juristischer Qualifikation für das Amt eines Verfassungsrichters implizit aus der regelmäßig geforderten und unter 4. dargestellten Mindestdauer richterlicher oder rechtsberuflicher Tätigkeit. Zum Teil – wie beispielsweise in Österreich[87], in Portugal[88] und in Ungarn[89] – wird das Erfordernis des Abschlusses eines juristischen Studiums ausdrücklich normiert. In Polen müssen die Verfassungsrichter „distinguished by their knowledge of law“ sein.[90] Hinzuweisen ist auf jene Staaten, in denen keinerlei juristische Ausbildung gefordert wird: Dies trifft beispielsweise auf Frankreich und auf die Schweiz zu,[91] wobei als Richter des Schweizerischen Bundesgerichts aber regelmäßig Personen mit (wenn auch möglicherweise nicht formaler) juristischer Bildung bestellt werden.[92] Auch im Conseil constitutionnel sind die rechtskundigen Mitglieder in der Mehrheit. Dabei ist für Frankreich die universitäre Bildung in den politischen Wissenschaften (sciences politiques) eine Qualifikation, die für zahlreiche öffentliche Ämter als Alternative zu den juristischen Studien als hinreichend gilt.[93]

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      Dagegen bildet im Falle Belgiens nur für die Hälfte der Richter eine rechtsberufliche Tätigkeit (und demgemäß eine juristische Qualifikation) eine Ernennungsvoraussetzung; für die andere Hälfte ist eine mindestens fünfjährige Mitgliedschaft zu einem parlamentarischen Organ auf Bundes-, Gemeinschafts- oder Regionalebene ausreichend.

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      Insgesamt zeigt sich, dass die Voraussetzung juristischer Qualifikation für das Amt eines Verfassungsrichters regelmäßig de jure vorgesehen ist und auch in den wenigen Ausnahmefällen de facto weit überwiegend Juristen als Verfassungsrichter bestellt werden. Eine Bestellung von Personen, deren formale Bildung sich auf eine Schulausbildung beschränkt, erscheint heute undenkbar.

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      Regelmäßig wird die Bestellung von Richtern nationaler Verfassungsgerichte an ein gewisses Mindestmaß an juristischer Berufserfahrung vor der Ernennung geknüpft. Auffällig ist dabei, dass mitunter zwischen den einzelnen Berufsgruppen im Hinblick auf die geforderte Dauer der Tätigkeit differenziert wird: So wird bei Personen, die bereits vor ihrer Bestellung zum Verfassungsrichter ein richterliches Amt ausgeübt haben, zum Teil keine Mindestdauer dieser Tätigkeit festgelegt. Ein Beispiel hierfür ist die Bestellung zum Richter an den italienischen Corte costituzionale: Als Richter an einem der obersten ordentlichen Gerichte bzw. Verwaltungsgerichte kann man auch ohne bestimmte Mindestdauer dieser Tätigkeit als Richter am Corte costituzionale bestellt werden; demgegenüber wird für Rechtsanwälte eine zwanzigjährige Berufserfahrung gefordert.[94] Sehr ähnlich ist die Situation für zu bestellende Richter am Supreme Court des Vereinigten Königreiches, wo die Kandidaten aus dem Richterkreis lediglich zwei Jahre ein hohes Richteramt ausgeübt haben müssen, jedoch von „praktizierenden Juristen“ (gemeint sind im Wesentlichen Anwälte) eine fünfzehnjährige Berufserfahrung gefordert wird.[95] Eine ähnliche Privilegierung findet sich auch bei Wissenschaftlern, deren berufliche Stellung regelmäßig vom Erfordernis einer gewissen Mindestdauer einer juristischen Tätigkeit dispensiert, wobei zu veranschlagen ist, dass regelmäßig – wie beispielsweise in Italien[96] oder Ungarn[97] – eine Professur an einer Universität gefordert ist und eine solche zumindest einige Jahre einschlägiger Berufserfahrung voraussetzt. In den meisten anderen Fällen wird eine juristische Berufserfahrung von – wie in Österreich[98] oder in Polen[99] – mindestens zehn Jahren bis hin zu – wie in Ungarn[100] – 20 Jahren verlangt.


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