Handbuch Ius Publicum Europaeum. Monica Claes

Handbuch Ius Publicum Europaeum - Monica  Claes


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wird, kommt auch eine Mindestdauer juristischer Berufserfahrung naturgemäß nicht in Frage – Beispiele hierfür sind Frankreich und die Schweiz. In Spanien wird demgegenüber einheitlich für Richter, Staatsanwälte, Universitätsprofessoren, Staatsbeamte und Rechtsanwälte eine fünfzehnjährige Berufserfahrung gefordert.[101]

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      Insgesamt kann man im Hinblick auf die Mindestdauer richterlicher oder rechtsberuflicher Tätigkeit von einer Zweiteilung sprechen: Personen, welche entweder ein richterliches Amt ausgeübt oder den Endpunkt einer akademischen Karriere erreicht haben, werden von diesem Erfordernis in großem Umfang dispensiert. Praktiker haben demgegenüber regelmäßig eine nicht unbeträchtliche Berufserfahrung nachzuweisen.

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      In manchen Staaten ist ein Berufsgruppenproporz gegeben, und zwar entweder kraft ausdrücklicher (verfassungs-)gesetzlicher Anordnung oder informeller Natur. Am weitesten geht die Regelung in Belgien, die bei den juristisch ausgebildeten Richtern nicht nur eine mindestens fünfjährige Praxis in einer von vier bestimmten Gruppen von Ämtern fordert,[102] sondern zusätzlich verlangt, dass mindestens einer der Verfassungsrichter diese Praxis als Professor der Rechte und mindestens einer der Verfassungsrichter diese Praxis als Referent des Verfassungsgerichts[103] zurückgelegt hat.[104] Faktisch bedeutet dies, dass Personen aus diesen Berufsgruppen an das Verfassungsgericht berufen werden.

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      Weniger ausdrücklich sind die Regelungen in Deutschland und in Österreich. In Deutschland, wo der Kreis der möglichen Verfassungsrichter in der Verfassung mit „Bundesrichtern und anderen Mitgliedern“ umschrieben wird,[105] sind je drei Mitglieder der beiden Senate aus dem Kreis der Richter an den obersten Gerichten des Bundes zu wählen, wobei eine mindestens dreijährige Tätigkeit an einem solchen Gericht vorliegen soll.[106] Darüber hinaus wird informell auf eine Balance zwischen Richtern und Professoren geachtet.

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      In Österreich ist nur für jene Hälfte der Richter (zuzüglich des Präsidenten sowie des Vizepräsidenten), die von der Bundesregierung vorgeschlagen werden, eine Begrenzung auf den Kreis der Professoren, Richter und Verwaltungsbeamten vorgesehen.[107] Bei den auf Vorschlag der beiden Kammern des Parlaments vorgeschlagenen Richter wird regelmäßig auf einen bestimmten Anteil von Rechtsanwälten geachtet.

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      In einigen Staaten kommt in den Rechtsvorschriften mehr oder weniger deutlich die Erwartung zum Ausdruck, dass Richter von Höchstgerichten als Verfassungsrichter ernannt werden sollen. Neben der genannten deutschen Regelung ist hier Großbritannien zu nennen, wo auf die mindestens zweijährige Ausübung eines hohen Richteramtes abgestellt wird.[108] In Polen müssen die Verfassungsrichter jene Voraussetzungen erfüllen, die auch für Richter des Obersten Gerichtshofes bzw. des Verwaltungsgerichtshofes vorgesehen sind.[109]

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      Ausdrücklich festgelegte ethisch-moralische Standards an die zu bestellenden Verfassungsrichter sind zum Teil implizit festgelegt. So wird beispielweise in Frankreich[110] und in Portugal[111] gefordert, dass die Verfassungsrichter im Besitz der bürgerlichen und politischen Rechte sein müssen. Diese Rechte gehen regelmäßig aufgrund bestimmter strafgerichtlicher Verurteilungen verloren. Explizit wird in Ungarn vom Amt eines Verfassungsrichters ausgeschlossen, wer strafgerichtlich verurteilt wurde.[112] Darüber hinausgehend und auf weichere Kriterien stellt beispielsweise Art. 147 Abs. 3 der bulgarischen Verfassung ab, wonach zum Richter des bulgarischen Verfassungsgerichts nur bestellt werden darf, wer als „moralisch integer“ gilt. In der Tschechischen Republik wird ein „einwandfreier Charakter“[113], in Litauen ein „makelloser Ruf“[114] verlangt während in Polen Verfassungsrichter schlicht „integre Personen“ sein müssen.[115] Ein bekanntes Beispiel bietet auch die in Art. 21 EMRK festgelegte Voraussetzung des „hohen sittlichen Ansehens“ für Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

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      Insgesamt zeigt sich, dass ethisch-moralische Standards nicht flächendeckend als normierte Voraussetzung für das Amt eines Verfassungsrichters vorgesehen sind. Dabei ist aber zu bedenken, dass eine derartige Anforderung für den Antritt eines öffentlichen Amtes generell selten ausdrücklich festgelegt, sondern eher bei der konkreten Bestellung im Auswahlprozess mitbedacht wird. Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen „harten“ Bestellungskriterien liegt es auch auf der Hand, dass Begriffe, welche ethisch-moralische Standards festlegen, nur schwer justiziabel sind und daher wohl eher vermieden werden.

IV. Rückwirkungen der Ausgestaltung des Amtes auf die Bestellung der Richter

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      Das Amt des Verfassungsrichters ist in den meisten Staaten mit hohem Prestige ausgestattet. Stufungen sind durch die Geschichte des Landes und des Verfassungsgerichts, endlich auch mit dem Umfang seiner Kompetenzen bestimmt. Nicht nur über das Land hinausreichend, sondern auch in Deutschland selbst kommt dem Bundesverfassungsgericht eine herausgehobene Stellung im Ansehen und in der Bedeutung zu.

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      Zwei Beobachtungen machen dabei deutlich, dass dies von der materiellen Seite abgekoppelt ist und die Anziehungskraft für hervorragende Juristen in der Gerichtsbarkeit sowie an Universitäten nicht primär von materiellen Faktoren bestimmt ist. Zum einen gibt es in materieller Hinsicht deutlich besser ausgestattete Verfassungsgerichte und Verfassungsrichter mit geringerem Einfluss. Zum anderen zeigt sich, dass die Tätigkeit an einem europäischen Gerichtshof für Verfassungsrichter in manchen Staaten nicht attraktiv scheint, solange sie am Verfassungsgericht im Amt sind, obwohl die materiellen Bedingungen an diesen Gerichtshöfen in aller Regel über jenen des Mitgliedstaates liegen.

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      Eine Rolle für die Attraktivität des Amtes spielen jenseits materieller Faktoren aber auch Gesichtspunkte wie die politische und mediale Zuspitzung der Debatte um Kandidaten im Auswahlprozess, die Amtsdauer und die Zulässigkeit von Nebentätigkeiten oder die Perspektiven der Berufstätigkeit am Ende der Amtszeit. Ein ungewisser Auswahlprozess, kurze Amtsdauer und die Unmöglichkeit in den Ausgangsberuf oder in einen attraktiveren anderen Beruf zurück zu kehren kann hier hindernd sein für ein großes Angebot an Kandidaten. Mit diesem Problem sind gegenwärtig vor allem die europäischen Gerichtshöfe konfrontiert.

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      Zum Zweck der Sicherung der Unabhängigkeit ist praktisch in allen europäischen Staaten mit Verfassungsgerichtsbarkeit die Inkompatibilität des Amtes eines Verfassungsrichters mit anderen Tätigkeiten vorgesehen. Auch Unvereinbarkeiten bestimmen die Auswahl der Richter, weil sie auf den Auswahlprozess insoweit vorwirken, als bestimmte Personen angesichts von Unvereinbarkeiten nicht in Betracht kommen oder nicht interessiert sind. Hierbei kann man zwei Kategorien unterscheiden:

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      Betrachtet man die Unvereinbarkeitstatbestände näher, so zeigt sich zunächst, dass durchgängig ein Verbot besteht, das Amt eines Verfassungsrichters gleichzeitig mit einem anderen öffentlichen Amt auszuüben. Dies ist beispielsweise in Deutschland,[116] Frankreich,[117] Italien,[118] Österreich,[119] Portugal,[120] der Schweiz,[121] Spanien[122] und Ungarn[123] der Fall, wobei zum Teil auf öffentliche Ämter insgesamt abgestellt wird,[124] zum Teil die inkompatiblen Ämter aufgezählt werden.[125]

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      Ebenso weitreichende Beschränkungen finden sich im Hinblick auf politische Funktionen und Tätigkeiten: Stellvertretend


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