Handbuch Ius Publicum Europaeum. Monica Claes

Handbuch Ius Publicum Europaeum - Monica  Claes


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der ersten Gruppe fassen den Kompetenzstreit in enger Anlehnung an die klassische Gewaltenteilungsdoktrin primär als Streit zwischen den – jeweils in ihren obersten Organen verkörperten – Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative auf. In diesem Sinne weist Art. 134 Abs. 2 italienische Verfassung der Corte costituzionale die Zuständigkeit für die Entscheidung von „Zuständigkeitskonflikten zwischen den Staatsgewalten“ (conflitti di attribuzione tra i poteri dello stato) zu. Nach Art. 37 Abs. 1 des Verfassungsgerichtsgesetzes vom 11. März 1953 sind darunter (nur) solche Konflikte zu verstehen, die zwischen den zu verbindlicher und abschließender Erklärung des Willens der jeweiligen Gewalt befugten Organen entstehen (tra organi competenti a dichiarare definitivamente la volontà del potere cui appartengono) und die Abgrenzung der den verschiedenen Gewalten durch die Verfassung zugewiesenen Kompetenzbereiche betreffen.

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      Noch deutlicher hat die Konzeption des Kompetenzstreits als Konflikt zwischen den Staatsgewalten im russischen Verfassungsgerichtsgesetz Ausdruck gefunden. Nach Art. 94 Abs. 1 des Gesetzes verhandelt das Verfassungsgericht der Russländischen Föderation Verfassungskonflikte ausschließlich unter dem Aspekt der durch die Verfassung festgelegten Trennung der staatlichen Gewalt in die gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt.

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      Der Schutz der gerichtlichen Autonomie gegenüber der Exekutive, aber auch gegenüber anderen Organen der Judikative außerhalb des eigenen Instanzenzugs, spielt eine besondere Rolle bei der Abgrenzung der Beteiligungsfähigkeit im österreichischen Kompetenzkonflikt, der nach Art. 138 sowohl zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden als auch zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und allen anderen Gerichten sowie zwischen den ordentlichen Gerichten und anderen Gerichten statthaft ist. Weitergehend konzipiert die slowenische Verfassung den Kompetenzkonflikt zwischen der Judikative und den anderen Staatsgewalten als eine eigenständige Form des Kompetenzstreits, die gleichberechtigt neben dem Kompetenzkonflikt zwischen den politischen Organen (Staatsversammlung, Staatspräsident und Regierung) tritt (Art. 160 slowenische Verfassung).

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      In keinem dieser Länder hat aber die Verteidigung der Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt qua Organstreit eine ähnliche große praktische Bedeutung erlangt wie in Italien. Sie steht hier im Zusammenhang mit der Schwäche der politischen Organe Italiens bei der Aufdeckung und Beseitigung von Missständen in Parlament, Regierung und Verwaltung, die wiederholt zu Konflikten zwischen der Justiz und den politischen Gewalten geführt hat.[77] Nicht zufällig betrifft die Mehrzahl der von der Corte costituzionale in den letzten Jahrzehnten entschiedenen Zuständigkeitskonflikte Auseinandersetzungen zwischen den Gerichten und den parlamentarischen Kammern über den Umfang der parlamentarischen Indemnität.[78]

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      Anders als bei der Legislative und der Exekutive billigt die Corte costituzionale nicht nur den obersten Gerichtshöfen und der Vertretung des Richterstandes sowie sich selbst,[79] sondern auch den Instanzgerichten die Parteifähigkeit im Kompetenzstreitverfahren zu. Begründet wird dies mit der fehlenden hierarchischen Leitungsstruktur im Bereich der Gerichtsbarkeit. Jedes Gericht genieße im Rahmen seiner rechtsprechenden und streitentscheidenden Tätigkeit sachliche Unabhängigkeit und unterliege nur einer Rechtskontrolle durch den Kassationshof; es könne damit den Willen der rechtsprechenden Gewalt für seinen Zuständigkeitsbereich abschließend zum Ausdruck bringen.[80]

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      Weitaus stärker hierarchisch gegliedert ist hingegen die Exekutive. Die Regierung wird im Hinblick auf die in Art. 95 der Verfassung vorgeschriebene einheitliche Führung von Politik und Verwaltung auch im Organstreitverfahren als Einheit behandelt. Die Antragsbefugnis steht daher grundsätzlich nicht dem sachlich zuständigen Minister, sondern dem Regierungskollegium als solchem zu.[81] Allerdings fasst die Rechtsprechung die Möglichkeit einer eigenen Parteistellung eines Ministers für den Fall ins Auge, dass er durch einen gegen ihn persönlich gerichteten Misstrauensantrag innerhalb des Regierungskollegiums gewissermaßen isoliert und in eine unmittelbare Konfliktbeziehung zu den parlamentarischen Kammern gebracht wird.[82]

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      Im Bereich der Legislative sind die beiden parlamentarischen Kammern (Abgeordnetenkammer und Senat) im Hinblick auf die von ihnen jeweils selbstständig ausgeübten Befugnisse in der Gesetzgebung und bei der Kontrolle der Regierung unabhängig voneinander parteifähig.[83] Die Beteiligungsfähigkeit im Organstreit steht ferner den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zu. Trägerin des Untersuchungsrechts ist zwar die jeweilige parlamentarische Kammer als solche; sie kann dieses Recht jedoch nicht selbst ausüben, sondern ist nach Art. 82 der Verfassung auf die Einschaltung eines Untersuchungsausschusses angewiesen, der bei der Durchführung des Untersuchungsauftrags Unabhängigkeit genießt.[84] Der Parlamentspräsident wiederum kann seine verfassungsmäßigen Befugnisse im Zusammenhang mit der Einberufung der Kammern, dem Vorsitz in den Sitzungen und der Anhörung durch den Staatspräsidenten vor der Auflösung der Kammern im Kompetenzstreit geltend machen.[85] Nicht beteiligungsfähig sind hingegen die Fraktionen, die in der Verfassung keine Erwähnung gefunden haben[86], während die einzelnen Mitglieder des Abgeordnetenhauses und die Senatoren ihr parlamentarisches Rede-, Initiativ- und Stimmrecht jedenfalls dann im Wege des Organstreits verteidigen können, wenn die Verletzung dieser Rechte unter Berücksichtigung der Autonomie der jeweiligen parlamentarischen Kammer in der Auslegung und Anwendung ihrer Geschäftsordnung schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich erscheint.[87]

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      Während den politischen Parteien die Beteiligungsfähigkeit versagt geblieben ist,[88] hat die Corte costituzionale den Anwendungsbereich des Kompetenzstreits über den Staatsapparat im eigentlichen Sinne (Stato-apparato) auf gesellschaftliche Kräfte ausgedehnt, denen die Ausübung verfassungsrechtlich relevanter öffentlicher Funktionen konkurrierend zu den Staatsorganen übertragen ist (Stato-communità). Dies trifft insbesondere auf den Teil der Wählerschaft zu, der einen auf die Aufhebung bestehender gesetzlicher Regelungen gerichteten Volksentscheid nach Art. 75 der italienischen Verfassung unterstützt und damit in Konkurrenz zu den parlamentarischen Kammern legislative Befugnisse in Anspruch nimmt.[89] Allerdings beschränkt sich die Antragsbefugnis der Initiatoren des Volksbegehrens auf die Durchführung des Referendums in Übereinstimmung mit den Vorschriften der Verfassung. Über weitergehende Rechte, die sich auf die materielle Durchsetzung des in dem Volksentscheid verlautbarten Willens gegenüber den gesetzgebenden Organen beziehen, verfügen sie dagegen nicht.[90]

b) Organstreitverfahren als Streit um Befugnisse und Kompetenzen von Verfassungsorganen und Organteilen

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      Die Bestimmungen der zweiten Gruppe konzipieren dagegen den Kompetenzstreit als Streit zwischen Verfassungsorganen, wobei es nicht darauf ankommt, ob das betreffende Verfassungsorgan sich einer der (klassischen) Staatsgewalten zuordnen lässt oder nicht. In einem solchen System bereitet die Annahme von Organstreitigkeiten innerhalb derselben Staatsgewalt, etwa zwischen den beiden Häusern des Parlaments, keine grundsätzlichen Schwierigkeiten. Dieses Regelungsmodell findet sich im deutschen[91] und im spanischen[92] Verfassungsrecht. Der konkrete Anwendungsbereich des Kompetenzkonflikts bzw. Organstreits hängt damit maßgeblich von der Konkretisierung des Kreises der beteiligungsfähigen Organe und Institutionen ab. Zum Teil sind die beteiligungsfähigen Organe enumerativ in der Verfassung bzw. im Verfassungsgerichtsgesetz aufgeführt. Dies gilt z.B. für die polnische Verfassung von 1997, die in Art. 192 bestimmt, dass in Kompetenzstreitigkeiten zwischen zentralen Verfassungsorganen des Staates (nur) der Staatspräsident, die Marschälle des Sejm und des Senats, der Ministerpräsident sowie die Präsidenten des Obersten Gerichts, des Hauptverwaltungsgerichts und der Obersten Kontrollkammer antragsberechtigt sind. Ähnlich beschränkt Art. 59 Abs. 1 c) LOTC in Spanien die Parteifähigkeit im Organstreitverfahren auf die Regierung, die


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