Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
der letzte Stern ergraut.
Beim Mausbarbier
»Springst auch zum Bader?«
»Ja!«
»Spring'n wir zusammen!«
»Ein schöner Sonntag heut –«
»Duck dich!«
»Was ist?«
»Ein Has!«
»Ein Has! das ist 'was Recht's!«
»Sei still! wenn er dich hört, so –«
»Nun?«
»Verklagt er uns beim Raben!«
»Du!«
»Was hast? ein Korn?«
»Hihi! die Hälfte fress' ich –«
»Mehlgebacknes?«
»Und mit der andern zahl' ich –«
»Den Barbier? Und ich?«
»Hi! wenn du noch dein Weibchen wärst!«
»Ich beiß' dich –«
»Still! da sind wir!«
»Guten Morgen!«
Aus einem Erdloch
unter einer Wurzel
verbeugt sich tief
ein alter Mausekopf –:
»Frisieren? brennen?
Bitte, nur herein!«
Die Mäuslein nehmen Platz
auf einer Moosbank
und harren stumm
in saubern Spinnwebmänteln,
indes der Alte
seine Eisen draußen
auf einen Stein
ins Sonnenfeuer legt.
»Die Härchen ausziehn?«
»Nach der Mode!«
»Bitte! ...«
Bedächtig zieht
der alte Mausbarbier
die Schnurrbartfädchen
durch das warme Scherlein.
Dann wichst er sie
ein wenig noch mit Harz
und wäscht zum Überfluß
die samtnen Köpfchen
mit Birkenöl
und scheitelt sie geschickt.
Dann knüpft er flink
die Mäntel ab
und bürstet
die sonntäglichen Wämser
spiegelglatt.
Mit Anstand holt
das eine Mäuslein drauf
den Kuchen aus der Tasche:
»Bitte!«
»Danke!« ...
Von seinem Loch aus
guckt der Mausbarbier
dem stolzen Paar
behaglich knabbernd nach
und lugt vergnügt
zum blauen Himmel auf,
der reiche Kundschaft
heute noch verspricht.
Elbenreigen
Auf der Wiese webt und schwebt
Elbenringelreigen;
feiner Füßchen Schnee sich hebt
zu geheimen Geigen.
Schleier schlingen sich im Ring,
Silberflechten flimmern,
Flügel wie von Schmetterlingen
scheu im Monde schimmern.
Jedes Köpfchen krönt ein Kranz
goldner Leuchtlaternchen,
wunderwirr verstrickt der Tanz
all die tausend Sternchen.
Busen wogen, Wangen glühn
bräutliches Begehren –:
Wird der Rechte heut sich mühn,
werden sie nicht wehren.
Lüstern läuft ein lauer Wind
übers Taugelände ...
Plötzlich hebt ein Elbenkind
warnend beide Hände:
»Horcht! Was kommt da übern Berg
durch den Wald gegangen?«
»Hei, die Zwerge, dummen Zwerge
wolln uns fangen, fangen!«
»Husch hinaus! und auf den Strom!« ...
Oh ihr Trotzeköpfchen!
Durch die Bäume lugt ein Gnom –
schüttelt trüb sein Schöpfchen.
»Ur-Ur«
In den dunkelsten Nächten,
wo nur die Eule noch jagt,
zieht durch des einsamsten Waldes
finstersten Teil
ein gespenstischer Stier ...
Sie nur
kennt seinen Namen
und ruft ihn –:
»Ur-Ur ... Ur-Ur ...«
Über ihm streicht sie
mit glühenden Augen ...
Niemand weiß es, denn sie:
Urvater ist es,
Waldvater,
Weltvater,
totgeglaubt,
ewig doch –
»Ur-Ur ... Ur-Ur ...«
Wach
wird der ganze Wald,
horcht,
späht ...
Gedrängt und geduckt,
zittern die Vöglein ...
Unhörbar huscht's
durch die Bäume ...
»Ur-Ur ... Ur-Ur ...«
Geier Nord