Gesammelte Werke. Henrik Ibsen
sitzen!
Dagny. Dein Haß ist ungerecht. Sigurd, Sigurd, das gleicht Dir wenig!
Einer der Männer nähert sich Oernulf. Nun ist das Grab bestellt.
Oernulf wie aus dem Schlaf erwachend. Das Grab – bestellt? Nun ja –
Sigurd. Jetzt sprich mit ihm, Dagny!
Dagny nähert sich. Vater, es ist kalt hier draußen; ein Unwetter zieht herauf.
Oernulf. Hm, sei ohne Sorge! Das Grab ist fest und gut gebaut, – sie ruhen sicher darin.
Dagny. Ja, aber Du – ?
Oernulf. Ich? – Mich friert nicht.
Dagny. Du hast heut noch nichts gegessen; willst Du nicht hineingehen? Das Nachtmahl steht bereit.
Oernulf. Laß das Nachtmahl stehen! Mich hungert nicht.
Dagny. Aber so still hier zu sitzen, glaub' mir, das frommt Dir nicht; Du bist es nicht gewohnt.
Oernulf. Wohl wahr. Ein Etwas schnürt mir die Brust zusammen; ich kann nicht Atem holen.
Er verbirgt abermals das Antlitz in den Händen. Pause. Dagny setzt sich neben ihn.
Dagny. Morgen rüstest Du Dein Schiff und fährst mit uns gen Island, nicht?
Oernulf ohne aufzublicken. Was soll ich dort? Nein! Ich will zu meinen Söhnen.
Dagny schmerzlich. Vater!
Oernulf erhebt das Haupt. Geh hinein und laß mich! Haben die Stürme eine Nacht oder zwei mich umbraust, so denk' ich, ist's geschehen.
Sigurd. So darfst Du nicht denken.
Oernulf. Befremdet Dich mein Wunsch nach Ruhe? Mein Tagwerk ist ja vollbracht, meine Söhne sind bestattet. Heftig. Geht! – Fort! Fort! Er verbirgt wieder sein Antlitz.
Sigurd leise zu Dagny, die sich erhebt. Laß ihn noch eine kleine Weile sitzen!
Dagny. Nein, – ich weiß mir Rat – ich kenne den Vater! Zu Oernulf. Dein Tagwerk ist vollbracht, sagst Du; doch ganz noch nicht. Bestattet hast Du Deine Söhne – aber Du bist ja Skalde? Es ziemt sich ihr Gedächtnis zu singen.
Oernulf schüttelt das Haupt. Singen? Nein, nein! Gestern könnt' ich es, heute bin ich zu alt.
Dagny. Und doch muß es sein. Ruhmwürdige Männer waren alle Deine Söhne; ihnen sei ein Lied geweiht, und das kann in unserer Sippe keiner außer Dir!
Oernulf blickt Sigurd fragend an. Ein Lied? Was meinst Du, Sigurd?
Sigurd. Ich meine, Deiner Tochter Begehr ist billig.
Dagny. Deine Nachbarn auf Island möchten es übel deuten, wenn die Totenfeier den Söhnen Oernulfs bereitet wird, und kein Sang noch gedichtet ist. Deinen Söhnen zu folgen, dazu hast Du noch Zeit genug.
Oernulf. Gut, ich will's versuchen. Und Du, Dagny, merk' auf, damit Du den Sang hernach in Runen ritzen kannst.
Die Männer kommen näher mit den Fackeln, so daß sich eine Gruppe um Oernulf bildet; er schweigt eine Weile, sinnt nach und hebt dann an:
Trübt den Sinn die Trauer,
Fremd ist ihm die Freude;
Traf den Sänger Sorge,
Tönt sein Lied vom Leide.
Des Gesanges Segen
Gab der Gott mir, Brage –
Künde meinen Kummer,
Klinge drum, o Klage!
Erhebt sich.
Grausam ward der Norne
Groll ob mir entladen;
Glück und Glanz verglommen
Über Oernulfs Pfaden.
Sieben Söhne waren
Mir vom Gott gegeben;
Gramvoll geht der Greis nun,
Liebeleer durchs Leben.
Sieben Söhne sah ich
Schön um mich sich scharen,
Schutz und Schirm dem Wiking
Mit den weißen Haaren.
Tot sind nun die Tapfern!
Wehr und Wall zerfallen!
Einsam irrt der Alte,
Öd' sind Haus und Hallen!
Thorolf, mir so teuer,
Letzter von den Lieben –
Wollt' das Weh verwinden,
Wärst mir Du geblieben!
Lieb wie Lenzeslächeln,
Wonne war Dein Wesen;
Wuchsest hold und herrlich
Als ein Held erlesen!
Tobend tief im Innern
Wächst das Weh, das wilde,
Das die alte Brust mir
Zwängt wie zwischen Schilde.
Neidisch nahm die Norne
All mein Eigen wieder,
Schüttete der Schmerzen
Schale auf mich nieder.
Wehrlos bin ich worden;
Hätt' ich Götterstärke:
Rastlos sänn' ich Rache
Für der Norne Werke!
Die den Todesstreich mir
Tief ins Herz versetzte,
Die mir ruchlos raubte,
Alles – auch das Letzte! –
Ist für Oernulf alles Nun in Nacht versunken? Nein, es hat der Sänger Suttungs Met getrunken!
Mit steigender Begeisterung.
Meine Söhne sanken;
Doch mit Dichtermunde
Geb' von meinem Leide
Laut im Lied ich Kunde!
Lind auf meine Lippen
Legt' ein Gott mir Töne –
Kling hinaus, o Klage,
Übers Grab der Söhne!
Heil Euch, Helden! Ruhmreich
Reitet auf vom Grabe! –
Erdenweh und -wunden
Heilt die Göttergabe!
Er holt tief Atem, streicht sich das Haar von der Stirn zurück und sagt:
So! Nun ist Oernulf wieder frisch, wieder stark! Zu den Männern. Kommt mit zum Nachtmahl, Ihr Gesellen; wir haben ein schweres Tagwerk gehabt! Geht mit den Knechten ins Boothaus.
Dagny. Gepriesen seien die Hohen im Himmel, die so guten Rat mir schenkten! Zu Sigurd. Willst Du nicht hineingehen?
Sigurd. Nein, – dazu hab' ich wenig Lust! Sag', ist alles bereit für morgen?
Dagny. Ja. Ein Totenhemd, mit Seide gesäumt, liegt auf der Bank. Aber ich weiß gewiß, daß Du Gunnar im Kampf bestehen wirst. Darum hab' ich nicht geweint bei der Arbeit.
Sigurd. Alle guten Mächte mögen verhüten, daß Du je weinest um meinetwillen!
Er bleibt stehen und blickt umher.
Dagny. Was lauschest Du?
Sigurd. Hörst Du nichts? – dort! Deutet nach links.
Dagny. Ja, es geht wie ein seltsam Unwetter über die See.
Sigurd, indem er nach dem Hintergrund geht. Hm, es wird noch harten Hagel regnen in diesem Wetter. Ruft. Wer ist da?
Kåre links draußen.