Pieter Maritz, der Buernsohn von Transvaal. August Niemann
vier holländische Schiffe in der Bai am Tafelberge, und etwa hundert Kolonisten unter Führung des unternehmenden Johann van Riebek, welcher vordem Schiffsarzt gewesen war, stiegen ans Land und gründeten eine Handelskompanie, welche mit der Ostindischen Kompanie in Verbindung stand. Die Holländer bauten eine kleine Festung, legten einen großen, schönen Garten an und handelten mit den Hottentotten um Elfenbein, Straußenfedern und andere Landesprodukte. Als es ihnen gut ging, schickten ihnen die Generalstaaten von Holland eine große Anzahl von Mädchen aus den Armen- und Waisenhäusern nach, und so wurden Familien gegründet.
»Als nun die Kolonie zu Wohlstand kam und sich immer weiter ausbreitete, indem sie den Hottentotten Land abkaufte, da kamen immer mehr Menschen aus Holland herüber, und unter den guten auch schlechte Leute, welche die Eingeborenen betrogen und mißhandelten. Herr Peter Kolb erzählt, daß die Hottentotten gute, ehrliche, sanftmütige und liebevolle Menschen gewesen sind, welche ihr Wort heilig hielten und die Gerechtigkeit achteten. Sie nährten sich von Obst, Kräutern, Wurzeln und Milch, und viele wurden über hundert Jahre, manche hundertunddreißig bis hundertundfünfzig Jahre alt. Als sie aber die gekochten Speisen der Europäer und deren gesalzene und gewürzte Gerichte, besonders aber den Branntwein kennen lernten, da wurden sie lecker und trunksüchtig, bekamen viele Krankheiten, wurden nicht mehr alt und verloren ihre Tugenden. Dazu kamen sie in Streit und Krieg mit den Europäern, wurden deren Sklaven und starben in der Knechtschaft schnell aus oder wurden Räuber, welche Buschmänner genannt wurden, und fielen im Kampfe, so daß sie jetzt nur noch zerstreut in den Ländern wohnen, welche ehedem von ihnen dicht bevölkert waren.
»Der Europäer aber wurden immer mehr. In den Jahren 1685 bis 1688 kamen französische Protestanten herüber, welche nach Aufhebung des Edikts von Nantes ihre Heimat verließen, um ihren Glauben zu bewahren. Zuerst kamen nur dreihundert, nach und nach aber wohl viertausend Franzosen. Doch mußten sie sich den Holländern fügen, und in ihren Kirchen wurde holländisch gepredigt. Auch Deutsche kamen in großer Zahl aus ihrem Vaterlande herüber. Sie vermischten sich gleich den Franzosen mit den Holländern, und alle zusammen nannten sich Buern, das heißt Bauern: Leute, welche Ackerbau und Viehzucht treiben. Die Buern aber eroberten ringsum Land und schickten vom Jahre 1774 an kleine Heere aus, welche Kommandos genannt wurden und nach allen Seiten hin ihre Herrschaft weithin bis zum Oranjefluß und Vaalfluß befestigten. Damals aber hatten auch schon einige von Gott dem Herrn ausgesandte Männer angefangen, den Heiden das Evangelium zu predigen, und mitten zwischen Blut und Mord und gierigem Trachten nach Erwerb zogen Missionare umher, um den Frieden Christi zu predigen.
»Aber noch andere Ankömmlinge lernte das Land kennen, ein mächtiges Volk, das sich den Buern überlegen zeigte. Das stolze England, welches an allen Punkten der Erde seine Schiffe, seine Handelsleute und seine Krieger landen läßt, zeigte sich auch am Kap. Im Jahre 1806 mußten die Kolonisten die Herrschaft der Briten im Kaplande über sich ergehen lassen, und was der Fleiß, der Mut und auch die ungerechte Gewinnsucht der Buern den Hottentotten abgenommen hatten, fiel nun dem stärkeren Räuber zur Beute. Grollend zogen die Buern immer weiter nach Norden, um nicht unter britischen Gesetzen, sondern unter ihren eigenen zu stehen, und im Jahre 1837 setzten sie sich in den Ländern fest, die wir jetzt Oranjefreistaat und Transvaal nennen. Im Jahre 1848 gründeten sie unter Andreas Pretorius nach offenem Kampfe mit den Engländern auf dem rechten Ufer des Vaalflusses den Staat Transvaal, in welchem wir uns jetzt befinden, und 1854 erklärten sich auch die Buern auf dem linken Vaalufer, zwischen Oranjefluß und Vaalfluß für unabhängig und nannten ihr Land Oranjefreistaat, obwohl der englische Gouverneur der Kapkolonie, Sir Henry George Smith, am 3. Februar 1848 die Königin von England für die Oberherrin aller dieser Landstriche erklärt hatte. Seitdem haben die Buern vieler Freiheit genossen, denn die Engländer hatten nicht die Macht, ihre Herrschaft zur Geltung zu bringen; doch nun hat sich die Lage verändert. Vor neun Monaten, am 12. April 1877, ist Sir Theophilus Shepstone, der englische Kommissar für die Angelegenheiten der Eingeborenen von Natal, mit einer Schar berittener Polizeibeamten nach Pretoria, der Hauptstadt von Transvaal, gekommen, hat dort die englische Fahne aufgezogen und das Land für englisch erklärt. Das hat die Buern sehr erbittert, und wer weiß, welche Kämpfe und schreckliche Dinge daraus entstehen werden.«
Pieter Maritz hatte dieser Erzählung aufmerksam zugehört, denn vieles von dem, was der Missionar vortrug, war ihm unbekannt, und er liebte es, zu lernen. Besonders aber hörte er gern alles, was die Geschichte seines Vaterlandes anging. Als der Missionar aber schwieg, sah der Knabe ihn mit blitzenden Augen an und sagte, indem seine Hand fest den Lauf der Büchse umschloß; »Mein Vater hat gestern, als er starb, die Engländer unsere Feinde genannt, und ich hoffe es bald zu sehen, daß wir ihnen zeigen, auf welcher Seite das Recht ist.«
Der Missionar antwortete nicht, denn er begriff, was in der Seele des Knaben vorging. Er nahm sein astronomisches Instrument zur Hand und setzte alsdann den Magnesiumdraht in der Laterne in Glut. Als der außerordentlich helle, blendende Schein aufflammte, gerieten die Umhersitzenden in das höchste Erstaunen. Keiner von ihnen hatte je ein solches Licht gesehen, und als der Missionar beim Schein desselben mit dem Sextanten arbeitete und bald gen Himmel, bald auf die Zahlen des Instruments blickte, rückten die Zulus voll Entsetzen zurück. Sie waren überzeugt, daß hier die größte Zauberei vollführt werde, ein eiskalter Schauder lief ihnen über den Rücken, und ihre Lippen wurden blaß vor Furcht. Doch eingedenk ihrer Würde und der Gegenwart des Juden und des Knaben, welche ruhig sitzen blieben, gaben sie ihrer Neigung, schleunigst davonzulaufen, nicht nach, sondern zwangen sich, ihre Angst zu verbergen. Während so die tiefste Stille herrschte, der Missionar seine Notizen machte und ringsum alles finster war, bis auf den kleinen überaus hellen Fleck, den die Laterne beschien, ging mit einem Male ein ängstliches Schnauben durch die Herde des ruhenden Hornviehs, und unmittelbar darauf ertönte ein furchtbares Gebrüll in nächster Nähe. Ungeheurer Tumult erhob sich bei diesem Ton, welcher die Erde zu erschüttern schien. Sämtliche Ochsen sprangen mit ängstlichem Brüllen vom Boden auf und stürzten nach allen Richtungen hin auseinander, die an den Wagen gebundenen Pferde stiegen in die Höhe, schlugen mit den Vorderbeinen und zerrten so heftig an den Zäumen, daß die schweren Wagen sich bewegten. Die Zulus waren aufgesprungen und hielten ihre Assagaien kampfbereit in der Hand, der Jude lag, von einem Ochsen zu Boden geworfen, laut schreiend da, Pieter Maritz hielt sein Gewehr schußbereit in den Händen, und der Missionar hatte die Thür der Laterne weit geöffnet und leuchtete im Kreise umher, um zu sehen, von wo die Gefahr drohe.
Jetzt fiel das Licht der Laterne auf die Öffnung im Gebüsche, dem Fluß gerade gegenüber, und in ihrem hellen Scheine waren zwei ungeheure Löwen zu erblicken, welche kaum dreißig Schritte weit entfernt waren. Die Tiere standen aufrecht und unbeweglich nebeneinander, ihre großen Köpfe waren von langen gelben Mähnen umwallt, und ihre Gesichter blickten mit feierlichem Ernst vor sich hin. Augenscheinlich waren sie geblendet von der Flamme des Magnesiumdrahts und konnten nichts von dem erkennen, was vor ihnen lag. Denn es war alles dunkel bis auf den Platz, auf welchem sie selber standen, und sie waren so deutlich zu sehen, daß man die starren schwarzen Spürhaare ihrer Oberlippe hätte zählen können.
Pieter Maritz hatte die Büchse an die Wange erhoben und stand so ruhig wie ein Steinbild. Jetzt berührte er den Drücker, eine Flamme fuhr aus der Mündung hervor, und, gerade ins rechte Auge getroffen, stürzte der größte der beiden Löwen zusammen. Da duckte sich der andere Löwe und sprang, ehe der Knabe zum zweiten Schuß recht zielen konnte, in gewaltigem Satze voll Mut ins Ungewisse hinein vorwärts. Er kam dicht vor dem Schützen zur Erde, hier blendete ihn der Lichtschein nicht, und mit einem Schlage seiner gewaltigen Tatze mußte er jetzt den Knaben erreichen. Aber in diesem Augenblicke der größten Gefahr kam Hilfe. Zu derselben Sekunde, wo Pieter Maritz sein Gewehr senkte, um es auf den Feind dicht vor sich zu richten, traten mit Blitzesschnelligkeit zwei dunkle athletische Gestalten vor das Untier, und zwei Assagaien bohrten ihre blinkenden scharfen Stahlspitzen in den Rachen und in das Herz des Löwen. So zahlten Humbati und Molihabantschi den Zoll ihrer Dankbarkeit gegen den Buernsohn.
Der Kampf mit dem Löwen.
Beide Löwen wälzten sich zum Tode verwundet in den letzten Zuckungen und schlugen mit den Krallen in die Erde, da kamen auch die farbigen Diener, ihrer sieben an Zahl, herbei. Sie waren durch das Gebrüll aus