Pieter Maritz, der Buernsohn von Transvaal. August Niemann
einen Tritt von einem der fliehenden Ochsen erhalten, wodurch ihm ein gut Stück Haut vom Beine abgeschürft worden war. Aber obwohl sie nun nahe an acht Stunden geschlafen hatten, war der Rausch noch nicht völlig wieder aus ihren Köpfen gewichen, und es dauerte einige Zeit, ehe sie ihre verstörten Mienen verloren. Sie standen zuerst voll Staunen und Verwunderung stumm neben den Löwen, dann aber fingen sie nach des Kobus Vorgang sämtlich an zu schwatzen und ruhmredige Worte darüber zu führen, was sie gethan haben würden, wenn sie die Löwen lebend erblickt hätten. Sie hätten keine Furcht vor Löwen, beteuerten sie; sie hätten den Löwen zeigen wollen, was es heiße, nachts an die Ochsen heranzuschleichen. Die Herren hätten ganz ruhig sein können; solange sie, Kobus, Jan, Christian und die vier Diener des Smauses, dagewesen wären, hätte es keine Gefahr gegeben.
Aber der Missionar brachte sie zum Schweigen. »Schämt ihr euch nicht, ihr faulen Knechte?« rief er. »Wie, Kobus, hast du nicht erst im vorigen Jahre die heiligen Sakramente empfangen und den Taufunterricht genossen, so daß ich billig erwarten könnte, du erinnertest dich noch meiner Ermahnungen und der Lehren der Kirche? Und nun bist du der erste, der sich der Völlerei hingiebt und liegst betrunken am Boden, während die Tiere der Wildnis dich und deine Genossen und deinen Lehrer und Herrn bedrohen? Und dazu willst du noch prahlen und lügen und deine Schuld zu verstecken suchen, anstatt sie zu bekennen und durch Reue wieder gut zu machen?«
Von diesen Worten wurde Kobus tief getroffen, und sein Gewissen ward in ihm rege. Er fing an laut zu weinen und zu schluchzen, seine Betrübnis teilte sich den andern mit, und alle sieben heulten und bekannten, daß sie leichtsinnig und schlecht gewesen wären, daß sie es aber nie wieder sein wollten.
»Nun,« sagte der Missionar, »so macht euch jetzt gleich auf die Beine und schafft Holz herbei, daß wir ein Feuer anzünden können. Sowie aber die Sonne aufgeht, sucht nach den zerstreuten Ochsen, damit wir unsere Reise fortsetzen können.«
Gehorsam machten sich die Schwarzen ans Werk. Beim schwachen Licht der Sterne suchten sie im Dickicht nach trockenem Holze, wobei sie laut sangen und schrieen, um die Hyänen fern zu halten, deren Geheul ringsum von weitem ertönte. Sie brachten auch nach und nach genug herbei, um ein tüchtiges Feuer entzünden und unterhalten zu können. Beim schützenden Schein desselben schlief die Gesellschaft der Reisenden bis zum Morgen.
Nun aber ergab sich eine große Schwierigkeit. Die Zugtiere waren weder zu sehen noch zu hören, und bevor sie nicht zurückgebracht worden waren, konnte der Marsch nicht weitergehen. Noch ermüdet und elend von ihrer Ausschweifung machten sich die farbigen Diener auf, um die Tiere zu suchen. Während dieser Zeit beschlossen die Zulus, auf die Jagd zu gehen, um für Wildbret zu sorgen. Pieter Maritz sah, daß sie sich miteinander besprachen und dann, die Assagaien in der Hand, davongingen. Er war seines Auftrages eingedenk, und obwohl er nicht glaubte, daß sie sich entfernen wollten, fühlte er sich doch verpflichtet, ihnen zu folgen. Rasch sattelte er Jager, warf die Büchse auf den Rücken und ritt ihnen nach.
Sie gingen umschauend und nach allen Seiten spähend nebeneinander und tauschten einen verständnisvollen Blick unter sich aus, als sie den eiligen Schritt des Rosses hinter sich hörten und des Knaben ansichtig wurden. Pieter Maritz sagte ihnen in englischer Sprache, daß er an der Jagd, die sie wahrscheinlich vorhätten, teilnehmen wolle, und nun setzten sie ihren Weg gemeinsam fort, der Knabe zu Pferde, die Zulus vor ihm, Jagdhunden gleich spürend und durch das Buschwerk kriechend. Sie hatten noch nicht lange umgeschaut, da stieß Humbati einen leisen Ruf aus, und zu gleicher Zeit streckte das Pferd seinen Kopf vor und setzte sich alsbald in Galopp. Pieter Maritz sah die Hörner zweier Antilopen in der Ferne über das hohe Gras herblicken.
Aber auch die Antilopen wurden zu derselben Zeit aufmerksam; die dunklen Streifen, welche des Knaben scharfes Auge oberhalb der wogenden Grasfläche erblickt und an ihren dem Korkzieher ähnlichen Windungen als Hörner der größten Antilopenart erkannt hatte, setzten sich in schnelle Bewegung. Wären die Zulus allein auf der Jagd gewesen, so würden sie sich wohl unbemerkt nahe genug an das Wild herangeschlichen haben, um es mit dem Wurfspieß zu erlegen, aber die Gegenwart des Pferdes ward von den feinen Sinnen der Antilopen in der Ferne schon wahrgenommen. Nun galt es schnelle und ausdauernde Verfolgung. Zuerst gewannen die Antilopen einen Vorsprung. Ihre schlanken, sehnigen Glieder durcheilten die Ebene mit so weiten Sätzen, daß der Raum zwischen ihnen und den Jägern sich vergrößerte. Aber Jager trug seinen jugendlichen Reiter mit äußerster Kraftanstrengung vorwärts und streckte die Beine im schnellsten Laufe. Pieter Maritz ließ dem Tiere die Zügel, da er dessen Natur kannte und wohl wußte, wie groß seine Jagdleidenschaft und wie scharf sein Auge war. Er hielt die Büchse mit beiden Händen vor sich, und die Zügel lagen dem Pferde auf dem Halse.
Doch erstaunte der Knabe, als er wahrnahm, daß mit dem langgestreckten Galopp seines edlen Pferdes die Zulus Schritt hielten. Er war es gewohnt, die Schwarzen schnellfüßig zu sehen, denn auch die Kaffern und Hottentotten, Betschuanen und Namaquas, welche er kannte, zeichneten sich durch Behendigkeit im Laufen aus. Aber niemals hatte er Menschen von solcher Schnelligkeit gesehen, wie diese erprobten Krieger des kriegerischsten aller südafrikanischen Völker. Humbati hatte sich rechts, Molihabantschi links gewandt, und sie strebten danach, das verfolgte Wild auf kürzerer Linie einzuholen, falls es sich etwa im Bogen seitwärts wenden sollte. Zwar dort, wo das Gras niedrig und der Boden sehr eben war, kam Jager vor, und die Zulus blieben zurück; wo aber das hohe Gras dem Pferde im Laufe hinderlich war oder wo Büsche im Wege standen und wo es Hügel hinauf und Hügel hinunter ging, da gewannen die Läufer ihren Raum zurück. Ihre nackten schlanken Gestalten, deren glänzend schwarze Haut die feurigen Strahlen der Sonne zurückwarf wie ein Spiegel, glitten so gewandt wie schimmernde Schlangen durch das saftige Grün und die prächtig in allen Farben glühenden Blumen dieses fruchtbaren Landstrichs, und ihre muskulösen Beine durchmaßen wie im leichten Tanz die weite Entfernung. Die langen Federn des blauen Kranichs, welche sie in ihrem dicht gelockten Haar trugen, wehten wie im Sturmwind nach rückwärts, während sie so, die Assagaien in der Faust hoch erhoben, dahinjagten.
Wohl zeigten sich Herden einer kleineren Antilopenart auf dem Wege, und die Jagd auf diese Tiere würde leichter und ergiebiger gewesen sein; wohl erhoben sich Ketten von Hühnern und Fasanen vom Boden; aber es hatte sich nun der Eifer des Wettlaufs der Jäger bemächtigt, und sie fühlten, daß es mehr der Ehre galt als dem Gewinn. Sie wollten alle den Triumph feiern, die Ongiris, die stolzesten aller Antilopen, erjagt zu haben, und wiederum zwischen den Zulus und dem Buernsohn war das Feuer des Ehrgeizes im Wettkampf entbrannt. Ja selbst Jager schien zu fühlen, was es galt, denn er blickte mit rollenden Augen bald vorwärts auf die Beute, bald seitwärts nach den behenden schwarzen Gestalten, und er lief mit nie an ihm gesehener Schnelligkeit.
Jetzt durchfegte er ein Dickicht stachlichter Büsche, und ein langer Riß in der Haut ließ dem Tiere die Blutstropfen über den braunen Hals herablaufen. Ein Dorn von Kaktus zerriß auch den Ärmel von Pieter Maritz' Bluse. Aber die schlanken Gestalten der Zulus waren links und rechts in gleicher Linie mit dem Pferde, und vorwärts ging es. Nun kamen sie in ein sumpfiges Land, wo die herrlichsten schneeweißen Kelche der Kalla, glänzende blaue Blüten von Lilien und die wunderlichen farbenstrahlenden Gebilde der Orchideen dicht gedrängt gleich dem schönsten Teppich sich ausbreiteten. Ein Wirbel von Schlamm erhob sich unter den Hufen des Pferdes, und nur ächzend kam es an der andern Seite wieder auf festen Boden. Aber auf beiden Seiten glitten die Zulukrieger wie auf Flügeln über den morastigen Boden hin, indem sie gewandt auf faulende Stämme sprangen, die im Schlamm lagen und von einem Holze sich auf das andere schwangen. Nun ging es einen Hügel hinauf, auf der andern Seite hinunter. Unten floß ein silberhelles Wasser, wohl zwanzig Schritte breit. Ohne zu zaudern, warf Jager sich in die Flut und schwamm hindurch. Aber als er auf dieser Seite hineinstürzte, stiegen die Zulus schon auf der andern Seite heraus, und während Jager schnaubend mit den Fluten kämpfte, flogen die Zulus schon den nächsten Hügel hinan, und die Wassertropfen rollten von ihren schwarzen Leibern herab, in der Sonne glitzernd und ohne eine Spur von Nässe auf der fettigen Haut zurückzulassen.
Pieter Maritz biß die Zähne zusammen. Hier, wo Berg und Thal wechselten, mußte er das Rennen verlieren. Er kam die Höhe hinauf, und hier erblickte er die Zulus schon mehr als zweihundert Schritte im Vorteil. Doch zugleich erblickte er jetzt deutlich die Antilopen. Sie waren zu Anfang die schnelleren gewesen, aber nun war ihre Kraft erschöpft.