Griechische Mythologie. Ludwig Preller
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Auch diese Fabel scheint den natürlichen Uebermuth der menschlichen Cultur auszudrücken, nur in einer beschränkteren Bedeutung, aber dafür in so kecken und frischen Zügen, wie man sie selten findet. Man erzählte von den Aloiden am Olympos, am Helikon, auch auf den Inseln Naxos und Kreta, doch ist die Heimath der Sage offenbar am Olympos zu suchen163. Ihr Vater heißt Aloeus d. i. der Pflanzer, ihre Mutter Iphimedeia d. i. der fruchtbare Culturboden, welcher Kraft und Stärke verleiht. Neben dem irdischen Vater haben sie einen göttlichen, Poseidon, den Gott der befruchtenden Feuchte (φυτάλμιος). Sie selbst heißen Otos und Ephialtes, von welchen Namen der eine das Stampfen des Getreides (ὠϑέω), der andere das Keltern der Trauben (ἐφιάλλομαι) auszudrücken scheint164. Anfangs waren sie winzig und klein, dann aber wuchsen sie so schnell und mächtig in die Höhe, daß sie in kurzer Zeit zu Riesen wurden, denn es nährte sie, setzt der Dichter mit besonderer Bedeutung hinzu, das sprossende Kornfeld (ζείδωρος ἄρουρα, Od. 11, 305 ff.). Es waren die größten und schönsten Menschen die man je gesehen, beinahe so schön wie Orion. Und sie fesselten den Ares, erzählt die Ilias 5, 385 ff., nehmlich in demselben Sinne wie Sisyphos den Tod fesselte, also damit kein Krieg mehr sein sollte, denn was ist mehr befeindet als Krieg und Ackerbau? In ein ehernes Faß165 haben sie ihn gesteckt die Gewaltigen, und dreizehn Monate ist er darin gebunden gewesen und wäre schier verschmachtet, wenn nicht die Stiefmutter der Aloiden dem Hermes seine Haft verrathen hätte, worauf dieser dem Bruder heraus hilft. Nun aber werden sie übermüthig und schnell stürzen sie zusammen: derselbe Ausgang wie in so vielen griechischen Fabeln, nur daß der Uebermuth und in Folge davon auch der Sturz hier kühner gezeichnet ist als irgendwo. Sie fühlen sich so kräftig und tragen ihre Gedanken so hoch, daß sie die Unsterblichen auf dem Olympos selbst angreifen wollten und den Ossa an den Olymp und auf den Ossa den waldigen Pelion setzten, um so die Götterburg zu erstürmen: wodurch gewiß nicht blos der Uebermuth der Aloiden, sondern zugleich die natürliche Folge einer auf Ackerbau und Wohlstand gegründeten Cultur angedeutet werden sollte, daß sie nehmlich von einem außerordentlichen Werke zum andern treibt, wie in der Erzählung vom Thurm zu Babel, der auch mit der Spitze in den Himmel reichen sollte166. Und sie hätten es erreicht, wenn sie zu reifen Jahren gekommen wären. So aber trafen sie die Pfeile Apollons ehe ihnen der Bart gewachsen war. Auf der fruchtbaren Insel Naxos, wo die Aloiden als Heroen verehrt wurden, erzählte man daß Artemis sie getödtet habe167, was auf dieselbe Vorstellung eines frühen und jähen Todes hinausläuft. Zu Askra galten sie für die Begründer dieser Stadt und des Musendienstes auf dem Helikon168, was auf den engen Zusammenhang der menschlichen Bildung mit den Werken des Feldbaues und Ackerbaues deutet. Die von späteren Dichtern durchaus misverstandene Fabel169 hat übrigens ein treffendes Analogon in der kretischen Sage vom Iasion, dem glücklichen Buhlen der Demeter, die ihm den Plutos gebiert, wofür ihn Zeus mit dem Blitze erschlägt.
Fußnote
163 Man zeigte am Tempepaß ein von ihnen gegründetes Ἀλώιον, Steph. B. Der Name lautet Ἀλωάδαι und gewöhnlicher Ἀλωεῖδαι.
164 Vgl. die etymologische Beleuchtung dieser Fabel b. Pott. Z. f. vgl. Spr. 9, 205 ff.
165 χαλκέω δ' ἐν κεράμω δέδετο. Von den alten Auslegern erklärten einige dieses Faß für einen πίϑος (s. oben S. 75, [Anmerkung 150]), andre für ein Gefängniß. Konnte Eurystheus sich in ein Faß verkriechen, so konnte auch Ares darin verhaftet werden. Es scheint aber ein Fruchtbehälter gemeint zu sein und im Kleinen dasselbe was im Großen die χάλκεοι οὐδοὶ oder ϑησαυροὶ waren, ein σιρός, welches Wort bei Hesych auch durch πίϑος und durch δεσμωτήριον erklärt wird, weil solche Behälter gelegentlich auch als Gefängnisse benutzt wurden. Die 13 Monate der Haft entsprechen einem Schaltjahr.
166 Schon die Alten verglichen diesen Thurmbau, s. Philo d. conf. ling. 2 und Orig. c. Cels. 4. p. 533 D. 515 C. Bei Apollod. 1, 7, 4 wollen die Aloiden das Meer zum festen Lande und die Erde zum Meere machen.
167 Pind. P. 4, 88. Nach Apollodor und den Scholien lief Artemis in der Gestalt einer Hindin zwischen ihnen hindurch, so daß sie zugleich schießend durch einander fielen, ein gewöhnliches Bild der sinnlosen, sich selbst vernichtenden Kraft. Ein τέμενος Ὤτου καὶ Ἐφιάλτου auf Naxos C. I. n. 2420. Auch auf Kreta gab es ein Grab des Otos und Otii campi, s. Plin. 7, 73, Serv. V. A. 3, 578, Steph. B. v. Βίεννος. Endlich huldigte man den Aloiden und ihrer Mutter auch in Karien wo eine Stadt Kerainos auf ihr Gefängniß gedeutet wurde, Paus. 10, 28, 4.
168 Pausan. 9, 29, 1. 2.
169 Bei Plato Symp. 190 B. u. Arist. de mundo 1 sind sie noch Beispiele des menschlichen Uebermuths. Später werden sie mit den übrigen Giganten und Frevlern zusammengeworfen, Virg. Ge. 1, 277 ff.; Cul. 232, Stat. Theb. 10, 848 ff. u. A.
ZWEITER ABSCHNITT.
Die Götter.
Die beste Anleitung zu der schwierigen Aufgabe die griechische Götterwelt einigermaßen zu gliedern und einzutheilen giebt die Dreitheilung der Welt und ihre Vertheilung unter die drei Kronidenbrüder (S. 49); wenigstens tritt diese Eintheilung der Welt in die drei Hauptgebiete des Himmels der Erde und des Meeres, wie sie den Griechen und allen Anwohnern des Mittelmeers so nahe lag, auch sonst bei vielen Gelegenheiten als eine leitende Anschauung hervor170. Selbst Poseidon wird, obwohl sonst zu den Olympiern gerechnet, doch nicht unter ihnen, sondern in der Tiefe des Meeres unter den übrigen Meeresgottheiten wohnhaft gedacht, welche auch sonst mit ihrer bald gaukelnden bald stürmischen Natur, ihrem geheimnißvollen Wesen und der Fülle ihrer wunderbaren Gestalten ein eignes Geschlecht ausmachen. Sonst werden freilich die Götter der Oberwelt und die der Unterwelt einander sehr oft entgegengesetzt171; wobei man sich aber hüten muß deswegen auf einen verschiedenen Ursprung dieser Culte und auf verschiedene Religionen zu schließen. Vielmehr ist der wahre Grund des Unterschiedes auch hier das Naturleben und die daraus für das menschliche Gemüth erwachsende Empfindung. Wie der Himmel der Sitz des Lichtes und der Klarheit ist, so sind auch seine Götter überwiegend von dieser Natur, die auch der Cultus durch Sinnbilder und Gebräuche von entsprechender Beschaffenheit andeutet. Dahingegen das irdische Naturleben in den Bergen und auf den Aeckern, in der Vegetation des Waldes und in den Blumen und Früchten so reich an Bildern der Lust, des Reizes und der Schönheit, aber auch an denen der Hinfälligkeit und schnellen Vergänglichkeit alles irdischen und creatürlichen Lebens ist, daß sich auch dieses sehr natürlich in dem Gottesdienste wiederspiegelte. Dazu kommt daß die Religion dieser Götter, namentlich derer die in der tiefen Erde hausend gedacht wurden (καταχϑόνιοι), der Sitz aller Todesgedanken