Mein Sonntag in Münster. Werner Zillig

Mein Sonntag in Münster - Werner Zillig


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unterstütze diesen Vorschlag, sagt er noch.

      Die meisten Mitglieder der Gruppe sind zuerst einmal erschrocken. Zu abenteuerlich ist diese Idee. Aber dann kommt die Neugierde auf, verbreitet sich in wenigen Minuten hektischen Palaverns. Als abgestimmt wird, sind alle dafür, zu fahren. Einige werden zurückbleiben müssen, weil sie mit Sicherheit unfähig sein werden, Rad fahren zu lernen.

      Die ganze Gruppe geht mit großem Eifer ans Werk, denn in zwei Wochen soll die Hochzeit sein. Fahrräder sind in genügender Zahl vorhanden und werden hergerichtet. Simon hat nachgelesen und weiß jetzt sogar, wie man zerstörte Reifen flickt. Das Gummi wird elastisch gemacht, indem man es in warmes Öl legt, das jemand gefunden hat. Dann, als die Räder fertig sind, beginnt die ganze Gruppe das Fahren zu üben. Zu Simons Überraschung lernen alle Mitglieder, die an der Fahrt teilnehmen sollen, ziemlich schnell. Die Erwartung scheint sie anzuspornen.

      Es gibt noch eine Überraschung. Robert, der Narr, der nicht sprechen konnte und dem die Koordination einfachster Bewegungen Schwierigkeiten machte, Robert lernt Rad fahren. An einem Spätnachmittag war es gewesen. Die, die geübt hatten, hatten ihre Fahrräder am Straßenrand abgestellt. Robert, der den Übenden vom Straßenrand aus zugesehen hatte, schlich sich an eines der Räder heran, stellte den Fuß auf das linke Pedal, schob hüpfend an und fuhr gleich darauf sicher und gewandt die Straße entlang. Simon wusste nicht, wie er sich die Sache erklären sollte. Er bestellte Robert zu sich. Der Narr grinste ihn aus seinem lippenlosen Gesicht an und schwieg. Erst als Simon ihn im Scherz fragte, ob er denn jetzt auch mit nach Nürnberg fahren wolle, hörte Robert auf zu grinsen und nickte heftig mit dem Kopf.

      Simon war mehr als erstaunt. Robert verstand doch sonst nie. Er konnte einfache Arbeiten verrichten, ja, aber nur, wenn man sie ihm augenfällig demonstriert hatte. Vielleicht war das Kopfnicken nur Zufall gewesen?

      Um das zu überprüfen, formulierte Simon die Frage um. »Du willst hierbleiben und nicht mit nach Nürnberg fahren?«, fragte er.

      Sofort schüttelte Robert energisch den Kopf. Ganz offenbar wusste er wenigstens in diesem Fall ganz genau, was er wollte.

      Simon sah keinen Grund, warum man Robert nicht mitnehmen sollte. Man baute noch ein weiteres Fahrrad für Robert. Stolz und sicher fuhr der Narr vor der erstaunten Gruppe die schwierigsten Kurven. Es war, als wollte er noch einmal beweisen, dass er sehr wohl imstande sein würde, die Fahrt zu den Hochzeitsfeierlichkeiten mitzumachen.

      Es ist der 2. Oktober. Die Gruppe bricht auf. Simon, der wegen seines Asthmas nicht richtig in die Pedale treten kann, hat auf dem Rücksitz des einzigen Tandems der Gruppe Platz gefunden. Ein kräftiger Mann sitzt vor ihm und nimmt ihm die meiste Fahrarbeit ab. Die Zurückbleibenden, Narren, Kinder und fahruntaugliche Krüppel, haben zum Abschied gewunken. Genau nach Eugens Anweisungen sucht die seltsame Karawane ihren Weg.

      Eugens Beschreibung ist gut. Ohne alle Probleme fährt die Gruppe an dem zu runden Klumpen zusammengeschmolzenen Nürnberg vorbei in den Süden. Am Mittag des 4. Oktober kommen sie, durch lautes Geschrei der fremden Gruppe willkommen geheißen, in deren Dorf an. Bewundernde Blicke folgen Eugen und Simon, als sie sich begrüßen. Das sind die beiden Männer, die dies möglich gemacht haben. Solche Männer werden es sein, die den Fortbestand der Menschheit ins Werk setzen. Tatkräftig, entschlossen, mutig.

      Weil sie an dem Transport von Jolanda keine Verdienste haben erwerben können, haben es sich die Mitglieder der anderen Gruppe angelegen sein lassen, die Hochzeit so vorzubereiten, dass sie als ein unvergessliches, prachtvolles Ereignis gefeiert werden kann. Essen und Trinken, lange Tischreihen, feierliche Kleidung, alles ist vorhanden.

      Am 7. Oktober, einem Samstag, findet die Hochzeit statt. Eugen, Simon und die besten Männer der anderen Gruppe haben sich zusammengesetzt, um eine Zeremonie auszuarbeiten, die dem Anlass entsprechen kann. Der Initiative Simons ist es zu verdanken, dass diese Hochzeit den Hochzeiten vor dem Krieg gleicht. Hier, mit zwei Menschen, die alle Eigenschaften, die die Menschen vor dem Krieg hatten, unverfälscht bewahrt haben, sollte die Vermählung möglichst so vor sich gehen, wie es vor dem Krieg üblich war. So hatte Simon argumentiert, und er hatte ›Vermählung‹ gesagt, ein Wort, das bis dahin nicht einmal Eugen gekannt hatte.

      So hat man denn am Abend des 6. Oktober bereits gefeiert. Polterabend habe man diese Feier vor dem Krieg genannt, weiß Simon zu berichten. Am Morgen des 7. Oktober treffen sich alle im schönsten Haus des Dorfes. Vorne hat man einen großen Tisch aufgestellt. Das Brautpaar tritt durch die rückwärtige Tür des kleinen Saales und schreitet durch einen von allen Gruppenmitgliedern gebildeten Gang nach vorne. Aus einem Lautsprecher scheppert ein Marsch. Es ist die einzige Platte, die die Nürnberger Gruppe besitzt. Man ist stolz auf diese Musik, die sogleich eine gewisse Festlichkeit garantiert.

      Jolanda hat ein weißes Kleid bekommen und dazu einen Schleier. Ihr Mann, der sie um mehr als zwei Köpfe überragt, trägt einen abgewetzten schwarzen Anzug und eine dunkelrote Schleife. Kaum jemand in dem Saal kann seine Rührung verbergen. Einige Frauen weinen.

      Vorne, hinter dem Tisch und mit dem Gesicht zum Publikum, stehen Eugen, Simon und zwei Männer aus der Nürnberger Gruppe. Diese vier Männer haben in den Tagen zuvor die Einzelheiten der Zeremonie festgelegt. Ihre Kenntnisse der Geschichte haben ihnen dabei geholfen. Man war sich einig gewesen, dass es so, wie es bisher in den Gruppen üblich gewesen war, nicht zugehen durfte. Sonst waren die Mitglieder, die einen Geschlechtspartner gefunden hatten, zu den Anführern der Gruppen gegangen und hatten das einfach mitgeteilt. Die Anführer legten dann im Gespräch mit den zukünftigen Eheleuten fest, ob diese Kinder bekommen sollten. Wenn dies nicht geraten schien, wurde über mögliche Methoden der Empfängnisverhütung gesprochen. Das war alles.

      Jetzt besann man sich in den Gruppen der Tradition. Wie war es früher gewesen? Da hatte man ein Fest veranstaltet. Freunde eingeladen. Nachdem sich die Frau und der Mann das sogenannte Jawort – was für ein schöner altertümlicher Ausdruck! – gegeben hatten, aß und trank man zusammen. So soll es dieses Mal wieder sein, denn die beiden, die da heiraten, sind neue Menschen, weil sie den alten Menschen so sehr ähnlich sind.

      Jolanda und ihr zukünftiger Ehemann stehen jetzt vor dem Tisch. Simon ist zuerst an der Reihe. Er spricht von der Schönheit der beiden jungen Leute, er erinnert an die Zeit vor dem Krieg, deren Errungenschaften und Feste. Anschließend rühmt einer der Männer aus der Nürnberger Gruppe den Mut der Mitglieder der fremden Gruppe. Mehrmals spricht er von ›unseren Freunden aus den Bergen‹. Es hat den Anschein, dass er sich unter der Heimat der Höhlenbewohner ein furchtbares, hohes Gebirge vorstellt. Eugen erwähnt er gesondert und nennt ihn mutig und stark. Eugens Miene zeigt eine Mischung aus Ironie und Stolz.

      Dann ist der Augenblick der eigentlichen Trauung gekommen. Zuerst tritt Jolanda einen Schritt vor, und Simon, der nun an der Reihe ist, bemüht sich, seiner Stimme Festigkeit zu geben und das Keuchen zu unterdrücken. Er hat sich feierliche Formeln ausgedacht. Jeder Zuhörer spürt die kleine Erhabenheit dieser Stunde.

      »Ich also will dich, Jolanda, fragen, ob es dein Wille ist, dich dem neben dir stehenden jungen Mann zu vermählen. Ist es so, dann antworte mit einem vernehmlichen Ja.«

      In der allgemeinen Rührung und weil niemand diese Sprache überhaupt noch kennt, ist untergegangen, dass Jolanda offensichtlich ein wenig konsterniert ist. Die geschwungenen Sätze Simons fliegen über das Maß des ihr gerade noch Verständlichen kühn hinweg, verbreiten eine wolkige Stimmung in dem Raum, ohne auf ihre Beklemmung Rücksicht zu nehmen. In der Aufregung der vergangenen Tage sind in Jolandas Gesicht drei große Pickel gewachsen, haben sich rötlich angefüllt und blühen jetzt, in der entscheidenden Stunde, auf das Heftigste. Auch die kleinen Ungereimtheiten des Protokolls fallen niemandem auf. Nun, da Jolanda vorgetreten ist, steht sie nicht mehr neben dem schwarzhaarigen jungen Mann. Aber soll eine solche Kleinigkeit überhaupt beachtet werden? Nein, das wäre schamlos.

      Jolanda öffnet ihren kleinen Mund. Er bleibt für einen Moment offen stehen, dann sagt sie mit ihrer schönen, klaren Stimme: »Jaaa!«

      Sie hat das Ja ein wenig hingezogen. Der hinter ihr stehende Mann ist, kaum dass sie dieses Wort gesprochen hat, mit einem eiligen Schritt neben sie getreten. Der Repräsentant


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