Safe Harbor. H.J. Welch
ab und griff über den Tisch. »Danke«, sagte er. »Aber ich hatte schon oft im Leben Angst. Es kommt darauf an, wie man mit der Angst umgeht.«
Robin schaute auf die Hand in der Tischmitte. Sollte das heißen…?
Robin sah sich um. Es waren kaum Leute in der Nähe und niemand schien sie zu beachten. Auf der Straße fuhren Autos vorbei und hinterm Haus rauschte das Laub in den Bäumen. Sie waren unter sich.
Zeit, sich ein Herz zu fassen. Er räusperte sich und lachte so unbekümmert wie möglich. »Willst du üben, Händchen zu halten?«
Dair biss sich auf die Lippe. »Wenn du es so ausdrücken willst… Malory – also meine Ex – hätte ich einfach an der Hand genommen. Ich dachte mir, es wäre nett, wenn ich es bei dir genauso mache. Falls dir das nicht unangenehm ist?«
Guter Gott. Der Mann hatte wirklich keine Ahnung, welche Wirkung er auf Robin ausübte. Es war so süß. Robin musste sich zusammenreißen und so tun, als wäre es total in Ordnung. Als würde sein Herz nicht so aufgeregt pochen, dass es ihm fast aus der Brust sprang.
»Nein«, sagte er bemüht selbstbewusst. »Ganz und gar nicht. Es ist vermutlich eine gute Idee, so ungezwungen wie möglich zu sein, nicht wahr? Besser, wir üben es vorher. Sonst zucken wir noch zusammen, wenn wir uns berühren. Oder so. Wie auch immer.« Er plapperte. Er musste aufhören zu plappern. Robin hob die Hand und ließ sie in Dairs fallen, ohne lange darüber nachzudenken.
Nur dass der Hautkontakt ihn traf wie ein Blitzschlag und er innerlich in Flammen ausbrach. Er unterdrückte einen Schauer, als sein Körper auf die Berührung von Dairs warmer, schwieliger Hand reagierte.
Dair grinste. »Kinderleicht«, erklärte er.
»Ja«, quiekte Robin.
Dair schien das Gefühl zu analysieren, die Hand eines anderen Mannes zu halten. Oder… war es das wirklich? Es hatte sich angehört, als hätte er – von seiner Ex abgesehen – noch nie intimen Kontakt zu einem Menschen gehabt. Also war es vielleicht nur das Gefühl, die Hand eines anderen Menschen zu berühren, die neu für ihn war.
Dair rieb mit dem Daumen über Robins Knöchel. »Ist das in Ordnung?«
Robin brauchte einen Moment, um sich zusammenzureißen, bevor er antworten konnte. »J-ja. In Ordnung. Solange es dir nichts ausmacht.«
Dair nickte und zog die Augenbrauen hoch. »Natürlich nicht. Es ist doch kein Unterschied, oder? Nur zwei Menschen, die sich kurz an der Hand halten. Ich kann nicht verstehen, warum manche Leute sich so darüber aufregen können, dass du ein Mann bist und keine Frau. Wenn man die Augen schließt, fällt es gar nicht auf. Eine Hand ist eine Hand. Was zählt, ist nur, wem sie gehört. Die Beziehung, die man zu der Person hat.«
Robin sah ihn bewundernd an. Es sollte nicht so verdammt sexy sein, dass Dair so fortschrittlich dachte. »Ja«, krächzte er. »Wenn das nur jeder so sehen würde.«
Dair nahm grinsend eine Pommes, tunkte sie ins Ketchup und schob sie sich in den Mund. Dann leckte er sich das Salz von den Fingern. Robin war über sich selbst überrascht, weil er nicht zu wimmern anfing.
Dair hielt ihn immer noch in der Hand und streichelte leicht über den Handrücken. »Meine Familie war locker mit solchen Sachen, weißt du? Sie haben viel über Menschen gesprochen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden – beispielsweise die LGBT-Gemeinschaft, Farbige oder Behinderte. Dann, bei den Marines, hat sich niemand dafür interessiert, wer du warst. Jeder hat über jeden hergezogen, aber jeder war für seine Kameraden da. Gleichheit in jeder Beziehung. Ich habe einfach eine niedrige Toleranzschwelle für diesen bigotten Scheißkram.«
Robin nahm all seinen Mut zusammen und streichelte Dairs Hand leicht mit dem Daumen. »Du hast recht.« Er räusperte sich. »Ich wünschte, die Menschen würden etwas fairer und gleicher behandelt. Oder manche Leute würden einfach nur die Vorurteile und Probleme anerkennen, mit denen ihre Mitmenschen zu kämpfen haben. Ich glaube, ich lasse manchmal viel zu viel von diesem Scheißkram durchgehen.«
Dair drückte seine Hand. »Hey, wir können uns nicht in jede Schlacht stürzen. Wir geben unser Bestes.«
Robins Herz brach. Dair war so verdammt perfekt. Abgesehen davon, dass er nicht schwul war, obwohl man das kaum glauben konnte, so fest hielt er Robins Hand.
Es war fast, als wollte Dair diesen Moment noch unglaublicher machen. »Ich habe eine Idee«, sagte er und seine Augen strahlten. »Wenn wir schon echt wirken wollen, sollten wir ein Selfie machen und auf Facebook posten. Was meinst du? Das würde es doch viel glaubwürdiger machen, als wenn ich einfach so aus dem Nichts heraus auftauche, ja?«
Sein Vorschlag hörte sich vollkommen vernünftig an. Trotzdem wurde Robin von Panik gepackt. Es kam ihm vor, als würden sie damit eine unsichtbare Grenze überschreiten. Es war ein physischer Beweis für ihre vorgetäuschte Beziehung. Aber was hatte er denn erwartet? Wenn Dair als sein Freund mitkam, würde es Fotos von ihnen geben und die Leute würden mit ihm reden. Robin hatte sich vorgenommen, das Spiel vorbehaltlos mitzumachen. Dazu gehörte auch, die Illusion seiner Beziehung zu Dair glaubhaft zu machen, bevor sie nach Pine Cove kamen.
»Gute Idee«, sagte er und lächelte so gut es ging. »Schon fast skrupellos. Du bist gut in so was.«
»Ich ziehe die Bezeichnung einfallsreich vor«, erwiderte Dair augenzwinkernd. »Also los. Wir brauchen ein Selfie, das sie alle eifersüchtig macht.«
Robins Hand hätte beinahe gezittert, als er das Handy aus der Tasche zog und die Kamera einstellte, damit sie ein Bild machen konnten. Die ersten Versuche wurden nichts und er zog eine Grimasse. Hoffentlich wurde Dair nicht ungeduldig.
»Warum versuchst du es nicht mit einem anderen Winkel?«, schlug Dair zu Robins Überraschung vor und posierte geduldig, bis Robin mit dem Ergebnis zufrieden war.
Dummerweise hatte Robin die Kontaktlinsen in der Reisetasche und seine Brille machte Probleme, weil sich das Licht in den Gläsern spiegelte. Er kam sich an Dairs Seite so verdammt idiotisch vor, aber Dair zog ihn nur näher an sich.
»Ein letzter Versuch noch«, flüsterte er Robin ins Ohr. »Denk nicht so viel nach.«
Also machte Robin noch einige Schnappschüsse und stellte zu seiner Überraschung fest, dass einer davon tatsächlich das beste Bild von allen war. »Oh«, sagte er schwach. In diesem Bild sah er richtig gut aus. Noch bezaubernder war allerdings Dair, der ihn auf eine Weise ansah, die man nur als Zuneigung interpretieren konnte. Vermutlich hoffte er nur, dass Robin sich endlich beeilen und ein passendes Foto schießen würde. Aber für einen kurzen Moment konnte Robin wirklich glauben, dass Dair sein Freund war.
Dann war der Moment wieder vorbei. Sie bezahlten ihre Rechnung und scheuchten den armen Smudge in den Truck zurück. Die Berge der pazifischen Nordwestküste ragten hoch über ihnen auf, als sie sich wieder auf den Weg machten. Robin bearbeitete versunken das Selfie, bis es seinen Vorstellungen entsprach. Noch länger dauerte es dann, den passenden Text dazu zu finden.
Schließlich schrieb er: So froh, den besten Mann der Welt mit nach Hause zu bringen. Weil es stimmte.
Aber das musste Dair nicht wissen.
Kapitel 5
Dair
Obwohl Dair schon immer in Seattle und Umgebung gelebt hatte – Lakewood, Olympia und so weiter –, war er noch nie viel weiter östlich als Snoqualmie oder Monroe gewesen. Während sie durch den Okanogan-Wenatchee-Nationalpark fuhren, fragte er sich, warum. Es war atemberaubend schön hier.
Blauviolette Berge mit glänzend weißen Kappen aus Schnee erhoben sich über den dunkelgrünen Pinienwäldern, denen Robins Heimatstädtchen seinen Namen verdankte. Telefonmasten säumten den Rand der Straße, die sich durch die Hügel wand und sie immer näher zu dem Ort führte, den Robin so lange gemieden hatte.
Wieder köchelte die Wut in ihm auf und er umklammerte das Lenkrad mit festem Griff. Er wollte nicht, dass Robin ihn so zornig erlebte. Glücklicherweise wurde Robin durch Smudge abgelenkt, der ihn mit feuchten Hundeküssen