Safe Harbor. H.J. Welch
und Robin zuckten zusammen, als Peyton aus ihrem Zimmer getorkelt kam und beinahe das Sofa umgerannt hätte. Sie fasste sich stöhnend an den Kopf. Die Shorts und das T-Shirt ihres Pyjamas waren mit mörderisch dreinblickenden Kaninchen bedruckt.
»Aua«, zischte sie und blinzelte in das Sonnenlicht, das durch die Fenster in die Wohnung schien.
»Hallo, Dornröschen«, sagte Robin grinsend. »Was macht dein Kopf?«
»Ich habe viele, viele Beschwerden.« Sie kam zu ihm an die Kücheninsel gestolpert, nahm ihm die Tasse Kaffee ab und trank sie in einem Schluck aus. »Welcher Idiot ist auf die Idee gekommen, den Whiskey aus dem Schrank zu holen?«
»Du«, antworteten Dair und Robin im Chor.
Peyton zog eine Grimasse. »Mein gestriges Ich ist eine Nutte.«
Robin verdrehte die Augen und Dair kicherte über Peytons obszönes Geschimpfe. Sie gab nach und Robin seine Tasse zurück. Dann holte sie sich ihren eigenen Kaffee und setzte sich an die Kücheninsel.
»Ich hoffe, du hast Hunger.« Dair füllte die Teller bis zum Überlaufen und stellte zwei davon vor seinen Freunden ab.
Peyton gab ein Geräusch von sich, das sich für Dair verdächtig nach einem orgasmischen Stöhnen anhörte. »Willst du nicht mein falscher Freund sein?«, scherzte sie und machte sich über ihr Frühstück her.
Während Dair seinen Teller abstellte, beobachtete er aus dem Augenwinkel, wie Robin dem Frechdachs Smudge ein Stück Schinken gab, bevor er zu Messer und Gabel griff. Dair lächelte erleichtert, weil er hier nicht der einzige Softie war.
Sie aßen zügig, aber schweigend, bis sie genug Nahrung zu sich genommen hatten, um ihren Kater zu bändigen, und genug Kaffee getrunken, um ihren Kopf wieder in die Gänge zu bringen.
»Okay«, sagte Peyton, nachdem ihr Schlingen wieder zivilisierteren Tischmanieren gewichen war. »Ich habe eine Idee. Eigentlich sind es sogar zwei Ideen. Erstens – Dair, was hältst du davon, wenn du sagst, du wärst bisexuell?«
»Äh…« Darüber hatte er noch nicht nachgedacht.
Robin nickte und wedelte mit seiner Gabel. »Oh, das ist eine gute Idee. Die Leute werden alle den Mund aufreißen und sagen: Oh, und jetzt bist du schwul? Nachdem du über zehn Jahre mit einer Frau zusammen warst, ist das vielleicht logischer, als wenn du jetzt sagtest, du wärst schwul.«
Dair nickte erfreut, weil Robin sich an dieses Detail erinnert hatte. »Klar.« Es hörte sich wirklich logisch an. So zu tun, als würde er einen neuen Aspekt seiner Persönlichkeit entdecken, könnte sogar recht nett sein. Es fühlte sich jedenfalls merkwürdig richtig an.
Robin lachte leise und schaute nach unten, wo Smudge immer noch auf Häppchen wartete. »Mein Freund ist bi, Smudge. Wie modern bin ich denn?«
Smudge wedelte bellend mit seinem fluffigen Schwanz.
»Idee Numero dos.« Peyton hielt zwei Finger hoch. »Es geht ums Pack. Wenn ich hier allein bin und jeden Tag eine 12-Stunden-Schicht arbeite, gibt es Probleme. Insbesondere ein zwar kleines, aber sehr destruktives Problem.«
Sie schauten auf den Boden zu Smudge. Der Kleine stand schwanzwedelnd vor ihnen und sah sie erwartungsvoll an.
»Ah«, sagte Dair zustimmend.
Die Katzen würden allein zurechtkommen und Jimmy schlief sowieso den ganzen Tag. Aber Smudge? Es gab einen Grund, warum die unteren Schranktüren keine Griffe mehr hatten und Dair nur noch ein Paar unbeschädigte Turnschuhe. Und das, obwohl meistens einer der drei in der Wohnung war.
»Aber das ist okay. Ich habe schon eine brillante Lösung für das Problem gefunden.« Peyton grinste. »Ihr werdet Smudge mitnehmen.«
»Nach Pine Cove?«, stammelte Robin und hätte sich beinahe an seinem Kaffee verschluckt.
»Ja«, bestätigte Peyton. »Ich kann mich dumpf erinnern, dass ich gestern Nacht noch gegoogelt habe. Pine Cove scheint ein sehr hundefreundliches Städtchen zu sein.«
Robin wischte sich den Kaffee vom Kinn und dachte über ihre Worte nach. »Stimmt. Soweit ich mich erinnern kann, haben die meisten Geschäfte einen Hund.«
»Ist jemand in deiner Familie allergisch?«, erkundigte sich Dair. Er wollte Smudge nicht allein zurücklassen und riskieren, dass die Wohnung in Stücke zerlegt wurde. Außerdem würde sich der kleine Kerl einsam fühlen. Andererseits wollte er Robins Familie auch nicht zu viel zumuten.
»Nein«, antwortete Robin stirnrunzelnd. »Wir hatten früher auch einen Hund. Ich bin sicher, sie würden sich freuen, wenn der Kleine zu Besuch kommt.«
»Und ich habe definitiv herausgefunden, dass in eurem Motel Tiere erlaubt sind. Ist das nicht cool? Ihr müsst übrigens noch daran denken, rechtzeitig die Zimmer reservieren zu lassen.«
Robin nickte. »Okay. Ja, werden wir. Ich denke, das müsste gehen, oder? Dair, ist es dir recht, wenn wir Smudgy mitnehmen?«
»Absolut. Je mehr, desto besser.«
Erleichtert begannen sie mit der Planung. Sie wollten morgen früh aufbrechen. So hatte Dair noch den Rest des Tages Zeit, alles vorzubereiten, um mit einem Hund quer durch den Staat Washington zu fahren. Er konnte noch in einen Laden fahren und ausreichend Futter, Schälchen und Spielzeug besorgen. Er wollte Smudges Hundekissen mitnehmen, damit der Kleine nicht auf den vertrauten Geruch verzichten musste und sich wie zu Hause fühlen konnte.
Dair war überzeugt, dass sie viel Spaß haben würden. Er war seit seinem Ausscheiden aus dem Militär nicht mehr so aufgeregt und voller Vorfreude gewesen. Natürlich wäre es lange nicht so gefährlich. Niemand würde sein Leben riskieren. Aber trotzdem – es war eine Reise ins Ungewisse.
Was Dair am meisten überraschte, war die Freude darüber, diese Reise mit Robin zu unternehmen. Er hoffte, es würde der Beginn einer neuen Phase ihrer Freundschaft werden. Wer konnte schon wissen, wie eng ihre Freundschaft nach diesem Streich sein würde?
Kapitel 4
Robin
Während sie Seattle und die Bay Area hinter sich ließen, kämpfte Robin mit der Tatsache, in dem Ford Ranger mit seinem Schwarm allein zu sein und extrem nahe bei ihm zu sitzen.
Mit seinem Schwarm. Er kam sich vor, als ginge er wieder zur Schule. Hatten erwachsene Männer überhaupt einen Schwarm? Aber irgendwie passte das Wort zu seinen Gefühlen und da er es nicht laut aussprechen musste, wollte er es – für sich – weiter benutzen.
Dair war der Inbegriff der Ritterlichkeit. Er war Robins Retter in dieser peinlichen Situation, saß mit einem Lächeln im Gesicht neben ihm und summte die Musik mit, die im Radio spielte. Er hielt Robin sogar die Tür auf und schloss sie hinter ihm, wenn der ins Auto ein- oder ausstieg.
So viel Freundlichkeit und Fürsorge hatte Robin nicht verdient, aber es fühlte sich so gut an, dass er sich erlaubte, sie wenigstens ein kleines bisschen zu genießen. Er war mit einem attraktiven Ex-Marine unterwegs, der dieses lächerliche Spiel mitmachte, um ihm einen Gefallen zu tun.
Robin hoffte, dass diese Woche wenigstens richtige Freunde aus ihnen machen würde. Schließlich veranstalteten Firmen auch gemeinsame Wochenenden für ihre Mitarbeiter, um den Zusammenhalt zu fördern. Jay hatte durch seine Teilnahme an den Junggesellenabschiedsfeiern seiner Freunde viele neue Kumpel kennengelernt. Warum also sollten er und Dair durch dieses gemeinsame Erlebnis nicht auch bessere Freunde werden? Sicher, sie hatten nicht viele Gemeinsamkeiten. Doch das traf auf Robin und Peyton auch zu und sie waren trotzdem dicke Freunde.
Unglücklicherweise verbrachte er die erste halbe Stunde der Fahrt am Handy, weil der erste Arbeitstag ohne ihn seine Kollegen in den Nervenzusammenbruch zu treiben drohte. Wirklich, Robin wusste, dass er gut war. Aber sie schienen es noch nicht einmal versuchen zu wollen, ohne ihn zurechtzukommen. Sie wollten sich nur zurücklehnen und alles andere ihm überlassen. Nach einer Weile pikte ihn Dair mit dem Finger ins Bein und sagte lautlos: »Du hast Urlaub.«
So