Die Vergütung von Betriebsräten. Martina Schlamp
es erfolgt insbesondere eine ausführliche und umfassende Darstellung des gesetzlich vorgesehenen Verfahrens zur Berechnung des Entgeltes von Betriebsräten. Dabei sollen sämtliche Aspekte betrachtet werden, die für die Vergütung von Bedeutung sein können, um so die Probleme bei der Anwendung der Gesetze aufzeigen und daraus mögliche Lösungsansätze entwickeln zu können. Für das Verständnis des Vergütungssystems und seine Bewertung erscheint es zweckmäßig und notwendig, auch auf die Hintergründe und Entwicklungen der Betriebsratsarbeit einzugehen. Insgesamt ist zu betrachten, ob das derzeit geltende Vergütungssystem des Betriebsverfassungsgesetzes der Realität in den Betrieben noch entspricht und ihr angemessen gerecht werden kann oder ob die Regelungen gegebenenfalls einer gesetzlichen Anpassung bedürfen. Denn mit den bekannt gewordenen Fällen aus der Praxis und den aufgeworfenen Aspekten drängt sich die entscheidende Frage auf: Sind die derzeit geltenden Vorschriften zur Vergütung von Betriebsräten noch zeitgemäß?
1 Vgl. z.B. Zimmermann, ArbRAktuell 2014, 278, 279; Rieble, AG 2016, 315, 317; Weinspach, FS Kreutz, S. 492. 2 http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/vw-betriebsraete-zu-viel-geld-zeugt-von-zu-viel-naehezu-den-maechtigen-1.3804694 (zuletzt abgerufen am 18.2.2018). 3 https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/QualitaetArbeit/QualitaetDerArbeit.html?cms_gtp=318944_slot%253D5 (zuletzt abgerufen am 18.2.2018). Dabei wurden im Jahr 2014 im Westen Deutschlands 43 Prozent und im Osten 36 Prozent der Arbeitnehmer von einem Betriebsrat vertreten, vgl. https://www.boeckler.de/5306.htm#jump_5313 (zuletzt abgerufen am 4.1.2016). 4 https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/QualitaetArbeit/QualitaetDerArbeit.html?cms_gtp=318944_slot%253D5 (zuletzt abgerufen am 4.1.2016). 5 https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/ImFokus/IndustrieVerarbeitendesGewerbe/AutomobilindustrieWirtschaftDeutschlandKartell.html (zuletzt abgerufen am 18.2.2018).
Kapitel 1 Grundlagen und Hintergründe der Betriebsratsvergütung
Die Vergütung von Mitgliedern des Betriebsrates ist in dem Betriebsverfassungsgesetz6 ausdrücklich gesetzlich festgeschrieben. Dabei ist es allerdings nicht nur entscheidend, welche Regelungen im Einzelnen für die Bemessung des Entgeltes7 einschlägig sind, sondern es ist ebenso die rechtliche wie auch tatsächliche Ausgangssituation zu betrachten. Vor allem der Entstehungsprozess und die Entwicklung der gesetzlichen Regelungen bis zu ihrem heutigen Stand, aber auch das Zusammenspiel und der Zweck der vergütungsrelevanten Regelungen ermöglichen ein besseres Verständnis der Zusammenhänge. Neben dem Wandel der Betriebsratsarbeit in der betrieblichen Praxis stellen diese Hintergründe bedeutende Grundlagen für eine Bewertung des aktuell bestehenden Vergütungssystems dar.
6 Betriebsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001 (BGBl. I S. 2518), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2509) geändert worden ist. 7 Es wird keine Differenzierung zwischen den Entgeltformen vorgenommen, soweit nicht ein Unterschied ausdrücklich dargestellt bzw. auf eine der Formen näher eingegangen wird.
§ 1 Die Entwicklung des deutschen Betriebsverfassungsgesetzes
Die Gründe des Gesetzgebers für die Einführung eines Betriebsverfassungsrechts in Deutschland sind vielfältig. Hauptanliegen war dabei nicht nur die Regelung des Verhältnisses und der Zusammenarbeit zwischen dem Arbeitgeber und der Belegschaft in einem Betrieb. Der Gedanke der Übertragung des Demokratieprinzips auf die Wirtschaft8 sowie vor allem die Gesichtspunkte von Schutz und Teilhabe9 spielten ebenfalls eine große Rolle. Zurückführen lässt sich das auf die zwangsläufig aus dem Arbeitsverhältnis herrührende strukturelle Ungleichheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bzw. die allgemein anerkannte spezifische Situation, in der sich Arbeitnehmer mit Aufnahme ihrer Arbeitstätigkeit mit Einfügen in die fremdbestimmte Arbeitsorganisation befinden.10 Die Arbeitnehmer unterliegen dem Weisungsrecht und der Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers und begeben sich, indem sie ihre Selbstständigkeit im Hinblick auf Arbeitsabläufe, Organisation etc. verlieren, in eine gewisse rechtliche und soziale Abhängigkeit.11 Das Gesetz sollte eine Teilhabe der Arbeitnehmer an den unternehmerischen Entscheidungen insoweit ermöglichen, als dadurch ihr Arbeitsverhältnis sowie ihre Rechts- und Interessenlage berührt wird, und die Vorhaben und Entschlüsse des Arbeitgebers damit gleichzeitig einer Kontrolle unterwerfen.12
Trotz des sehr früh entstandenen und heute gefestigten Teilhabegedankens in Betrieben ist die Idee der Mitbestimmung durch ein Vertretungs-Gremium – gerade im Bereich Wirtschaft und Arbeit – kein selbstverständliches oder automatisch anerkanntes Prinzip.13 Dem Betriebsverfassungsgesetz in seiner heutigen Form mit dem bestehenden System der Mitbestimmung liegt ein langwieriger Prozess über viele Jahrzehnte zugrunde.
A. Von den Anfängen bis zu ersten gesetzlichen Regelungen des Teilhabegedankens
Betriebliche Teilhabegedanken waren in Deutschland schon sehr früh, noch vor der industriellen Revolution zu verzeichnen. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es erste Ansätze, Arbeiterinteressen im Betrieb durch paritätisch besetzte Fabrikvereine oder Arbeiterausschüsse gebündelt zu vertreten.14 Die entsprechende Vorlage eines Entwurfes zu einer Gewerbeordnung in der Nationalversammlung im Jahre 1848/49 hatte sich allerdings nicht durchgesetzt; obwohl diese Bestrebungen gesetzlich nicht festgeschrieben wurden, gelten sie dennoch als Vorläufer des heutigen Betriebsverfassungssystems.15 Letztendlich ausschlaggebend für die Idee einer Teilhabe an Entscheidungen des Arbeitgebers war die in den folgenden Jahren zunehmende Industrialisierung in Deutschland und die florierende Wirtschaft mit zahlreichen neuen Fabriken. Die Mechanisierung der Produktion mit Erfindung der Dampfmaschine sowie die vermehrten Fortschritte der Elektrotechnik ermöglichten eine Massenproduktion von Gütern, welche rasch zu einer grundlegenden Veränderung der Arbeitsbedingungen in den deutschen Fabriken führte. Die Arbeiter waren ihren übermächtigen Fabrikanten schutzlos ausgeliefert. Nicht nur die Arbeitsbedingungen, die u.a. durch lange Arbeitszeiten und Kinderarbeit geprägt waren, sondern auch die neuen Gefahren, die durch die veränderten maschinellen Arbeitsabläufe und die gesundheitsgefährdenden Arbeiten in den Kohle-, Stahl- und Chemiebetrieben für die Arbeiter bestanden, ließen die Rufe nach einer Arbeitnehmervertretung laut werden.16 Trotzdem blieb es in der Zeit nach der Nationalversammlung in den Betrieben zunächst lediglich bei vereinzelten und nur auf freiwilliger Basis gegründeten Arbeiterausschüssen einiger liberal eingestellter Unternehmer.17 Erst Ende des Ersten Weltkrieges wurden gesetzlich verankerte, obligatorische Arbeitnehmerausschüsse jedenfalls für die Bereiche des Bergbaus und – aufgrund der Kriegsmüdigkeit sowie des militärischen Zusammenbruchs Deutschlands – in anderen, für den Krieg und die Versorgung wichtigen Betrieben mit über 50 Arbeitern und Angestellten eingeführt.18
Umfassend anerkannt wurde die gleichberechtigte Mitbestimmung dann zum ersten Mal in der Weimarer Reichsverfassung von 1919, in deren Artikel 165 ein Rätesystem mit Betriebsräten auf unterster Stufe vorgesehen war. Realisiert wurde dieses Prinzip in dem Betriebsrätegesetz im Jahr 1920, das die Mitbestimmung erstmals innerhalb der Betriebsverfassung gesetzlich regelte, wenngleich die Befugnisse der Arbeitnehmervertretungen relativ gering waren.19 Dennoch enthielt dieses Gesetz Regelungen zur Rechtsstellung und insbesondere zur Vergütung der Betriebsräte. Auch wenn hier primär noch keine Arbeitsbefreiung für Betriebsratsarbeit vorgesehen war und Betriebsratssitzungen nach § 30 BRG nach Möglichkeit außerhalb der Arbeitszeit abgehalten werden sollten, hat das Gesetz in seinem § 35 BRG ausdrücklich angeordnet, dass die Betriebsratsmitglieder ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt zu verwalten haben. Eine notwendige Arbeitsversäumnis durfte aber dennoch nicht zu einer Minderung des Entgeltes