Die Vergütung von Betriebsräten. Martina Schlamp
bei Ausübung des Amtes in § 95 BRG vorsahen, von einer Begünstigung allerdings nicht die Rede war. Ein deutlicher Rückschritt dieser Entwicklungen war dann zur Zeit des Nationalsozialismus zu verzeichnen, in der durch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) im Jahr 1934 die bestehenden Regelungen gänzlich wieder aufgehoben und entsprechend der nationalsozialistischen Ideologie durch das sog. Führerprinzip ersetzt wurden, so dass der Betriebsleiter wieder die alleinige Leitungsbefugnis des Betriebes innehatte.20 Erst der Sieg der Alliierten ermöglichte eine erneute Umkehr und einen Neubeginn. So wurden nach Ende des Deutschen Reiches die nationalsozialistischen Regelungen wieder aufgehoben und ein neues Rahmengesetz – das Kontrollratsgesetz Nr. 22, auch Betriebsrätegesetz genannt – erlassen, das zwar Geltung für ganz Deutschland hatte, in einzelnen Bundesländern aber die Einführung landesrechtlicher, auch voneinander abweichender Betriebsratsgesetze ermöglichte.21 Da einige Länder von dieser Möglichkeit Gebrauch machten, führte dies zu einer erheblichen Rechtszersplitterung, die schnell Forderungen nach einer bundesgesetzlichen Regelung als einheitliche Basis nach sich zog.22
Am 11. November 1952 trat sodann – nach erbitterten, politischen Auseinandersetzungen und langandauernden inhaltlichen Streitigkeiten23 – ein für alle Länder der Bundesrepublik Deutschland einheitliches Betriebsverfassungsgesetz in Kraft. Inhaltlich führte es das Weimarer Betriebsrätegesetz von 1920 zwar fort, ging aber noch weit über dessen Regelungen hinaus.24 Besondere Kennzeichen dieses Gesetzes waren neben der Trennung von Betriebsrat und Gewerkschaften die Unabhängigkeit des Betriebsrates von dem Arbeitgeber, gegenseitige Friedenspflicht sowie das Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit.25 Im Gegensatz zu seinem Vorgänger setzte das neue Gesetz damit mehr auf die Idee der Sozialpartnerschaft. Es sah nunmehr auch ausdrücklich Freistellungsmöglichkeiten vor und führte wie schon das Betriebsrätegesetz von 1920 die Qualifizierung des Betriebsratsamtes als unentgeltliches Ehrenamt in § 37 BetrVG fort. Erstmals hat es in § 78 Abs. 1 a) BetrVG nicht nur eine Benachteiligung, sondern auch die Begünstigung eines Mandatsträgers, die „um seiner Tätigkeit willen“ erfolgt, mit Strafe versehen.
B. Einführung und Reformen des Betriebsverfassungsgesetzes
Das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 zeigte sich im Wesentlichen als zweckdienlich und hatte sich im Laufe der Jahre bewährt, obwohl es bereits von Anfang an einige Kompromisslösungen enthielt. Insbesondere die Gewerkschaften, aber auch Arbeitgeberverbände hatten mit ihren Wünschen bei dem Erlass des Gesetzes das Nachsehen.26 Sein zunächst sehr gering anmutender tatsächlicher Anwendungsbereich in nur sechs Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe stellte sich dennoch sehr weitreichend dar, weil eine Anwendung gerade in den (Groß-) Betrieben erfolgte, in denen zwei Drittel und damit die Mehrheit aller Arbeitnehmer beschäftigt waren.27 Dennoch wurden nach einiger Zeit Reformwünsche laut, eine Anpassung des seit dem Jahr 1952 im Wesentlichen gleich gebliebenen Betriebsverfassungsgesetzes an die veränderten wirtschaftlichen, technischen und sozialen Verhältnisse vorzunehmen.28 Vor allem die Fortschritte im Elektronik- und IT-Bereich brachten Veränderungen der Arbeitsformen und -abläufe in den Betrieben mit sich; das lag vor allem an der zunehmenden Automatisierung der Produktion, die kennzeichnend für die ab den 1960/70iger Jahren erfolgte dritte industrielle Revolution in Deutschland war. Als Gründe für eine dringend notwendige Reform des Gesetzes wurden aber nicht nur technische Neuerungen, sondern auch wirtschaftliches Wachstum sowie vor allem der Wandel gesellschaftlicher Anschauungen angeführt.29
Dass das Betriebsverfassungsgesetz insbesondere im Bereich der Mitbestimmung und Mitwirkungsmöglichkeiten des Betriebsrates diesen dynamischen Entwicklungen angepasst werden musste, steht außer Frage. Schon 20 Jahre nach seiner Einführung wurde die notwendige Reform mit einer Neufassung des Gesetzes im Jahr 1972 daher umgesetzt. Auch wenn sich das Gesetz mehr als eine konsequente Weiterentwicklung30 seines Vorgängers als eine umfassende Neuregelung einordnen lässt, stellte es dennoch – so auch die Begründung des Gesetzesentwurfes – eine komplett neue Kodifikation des Betriebsverfassungsrechts und nicht eine bloße Änderung einzelner bestehender Vorschriften31 dar. Mit dem neuen Gesetz wurden neben der Einräumung eigener Rechte für Arbeitnehmer die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte des Betriebsrates verstärkt, erweitert und auf weitere Bereiche ausgedehnt.32 Ziel war es, die betriebliche Wirklichkeit mit der gesetzlich festgelegten Betriebsverfassung durch moderne Regelungen wieder in Einklang zu bringen und das Gesetz zugleich auch für künftige Entwicklungen zu öffnen.33 Vorschriften hinsichtlich der Rechtsstellung des Betriebsrates wurden im Grundsatz nicht geändert, allerdings teilweise neu gefasst oder – gerade im Bereich der Arbeitsbefreiung bzw. Freistellung – um einige Punkte erweitert. So wurde in § 37 BetrVG der Ausgleich für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit ausführlich geregelt sowie Schutzvorschriften hinsichtlich der beruflichen Entwicklung in finanzieller wie auch beruflicher Hinsicht mit aufgenommen. Auch der Bereich der Teilnahme von Betriebsräten an Schulungen hat eine umfassende Regelung erfahren. Darüber hinaus wurde die dauerhafte Freistellung von Betriebsräten in § 38 BetrVG ausführlich festgesetzt.
Nach seiner Einführung hat das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 meist nur noch geringfügige Änderungen erfahren, zuletzt im Juli 2017. Die letzte größere Neuerung des Betriebsverfassungsgesetzes wurde durch die Reform im Jahr 2001 vorgenommen. Deren Bedarf wurde in erster Linie mit „tiefgreifenden Veränderungen der Arbeits- und Wirtschaftswelt“ begründet.34 Aufgrund neuer Produktions- und Arbeitsmethoden seien moderne Formen der Betriebsratsarbeit notwendig geworden.35 Mit der Reform sollte der Realität in den Betrieben wieder ausreichend Rechnung getragen und die Betriebsverfassung zugleich zukunftsfähig gemacht werden.36 Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder, insbesondere deren Vergütung, hatten die Neuerungen allerdings nicht.
8 Vgl. den Bericht der sog. ersten Biedenkopf-Kommission, einer Sachverständigenkommission zur Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Mitbestimmung, welche darin die „Formel von der Demokratisierung der Wirtschaft“ verwendet, BT-Drucks. VI/334 S. 65; vgl. auch DKKW/Däubler, Einl. Rn. 47 f. 9 GK-BetrVG/Wiese, Einl. Rn. 78 ff.; Fitting, § 1 Rn. 1; Gamillscheg, § 32 S. 22. 10 GK-BetrVG/Wiese, Einl. Rn. 72; Fitting, § 1 Rn. 1; ErfK/Koch, § 1 BetrVG Rn. 1. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich im Arbeitsvertrag dazu, sich in den Betrieb zu einzufügen und seine Tätigkeit aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers (§ 106 GewO) weisungsabhängig auszuführen, vgl. HWGNRH/Rose, Einl. BetrVG Rn. 5 (eine dem § 106 GewO entsprechende Regelung findet sich nun auch in § 611a Abs. 1 S. 1, 2 BGB). 11 GK-BetrVG/Wiese, Einl. Rn. 73. 12 HWGNRH/Rose, Einl. BetrVG Rn. 2; ErfK/Koch, § 1 BetrVG Rn. 1 f.; Richardi, Einl. Rn. 1. 13 v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 1 Rn. 2. 14 Richardi, Einl. Rn. 6; HWGNRH/Rose, Einl. BetrVG Rn. 8. 15 HWGNRH/Rose, Einl. BetrVG Rn. 8; Richardi, Einl. Rn. 6. 16 http://www.praxis-fortbildung.de/downloads/HistorischeEntwicklungBetriebsverfassung.pdf (zuletzt abgerufen am 18.2.2018). 17 DKKW/Bachner, Einl. Rn. 2; Richardi, Einl. Rn. 7. 18 Richardi, Einl. Rn. 8 ff.; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 2 Rn. 2. 19 Richardi, Einl. Rn. 11; GK-BetrVG/Wiese, Einl. Rn. 14; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 2 Rn. 3. 20 v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 2 Rn. 4; DKKW/Bachner, Einl. Rn. 13. 21 Fitting, Einl. Rn. 3; Richardi, Einl. Rn. 13. 22