Eine ganze Welt. Goldie Goldbloom
so obszöne Literatur verbrannt. Wenn einer ihrer Söhne sie entdeckt hätte!
Bilder jeder Art waren in ihrem Haus verboten. Fotos. Gemälde. Skulpturen. Zwei Blumen in Gobelinstickerei hingen im Esszimmer, ein Stück schwarzer Samt, auf das die Klagemauer gemalt war, zusammengehalten von Pailletten. Sie hatte Yidel nur mit Mühe davon überzeugen können, ihr Hochzeitsfoto in ihrem Schlafzimmer aufzuhängen, wo es außer ihnen niemand sah. Durcheinander wie sie war, verwechselte sie das Wort Pelvis mit Pelz und glaubte, dass Val von Gojim-Eltern sprach, die ihre Babys so gerne auf Bärenfellen fotografieren ließen.
»So etwas tun wir nicht«, sagte sie. »Wir fotografieren das erstgeborene Kind am dreißigsten Tag. Wir ziehen ihm weiße Kleider an, etwas hübsches Gestricktes, und bedecken es mit Goldketten.«
»Das ist interessant«, sagte die Hebamme, die sich verschwommen an solche Ereignisse bei anderen Geburten erinnerte. Ein Neugeborenes mit Schmuck zu bedecken konnte nicht hygienisch sein. Ihr war ein Rätsel, warum sogar ältere jüdische Frauen wie Surie jung aussahen. Lag es an ihren Perücken und kuriosen Hüten und Kopftüchern oder an der seltsamen Unschuld, die ihnen allen eigen war? Vielleicht am Fehlen von Make-up? Sollte sie ihr orange gefärbtes Haar lieber grau werden lassen? »Sie werden wahrscheinlich extra Ketten leihen müssen, weil Sie ja zwei Babys kriegen.«
»Nur das zuerst geborene Baby wird so behandelt. Der Kohen will die anderen nicht.«
Val schnaubte, nahm eine Tabelle und kritzelte etwas hinein. »Das ist nett«, sagte sie. Nie kriegte sie diese Sachen auf die Reihe. Jedes Mal, wenn sie glaubte, sie wüsste etwas, jedes Mal, wenn sie dachte, dass eine Frau ihr kulturelles Verständnis schätzen würde, puff, wieder eine neue Schrulle.
Ein Knopf an Suries Bluse sprang ab und fiel zu Boden. Surie kramte in ihrer Handtasche und holte Nadel und Faden heraus. Sie riss ein Stück Faden ab, nahm ihn zwischen die Zähne und kaute darauf herum. Sie biss auf den Faden, als wäre er die Bedrohung durch das Downsyndrom. Sie biss fest zu. Sie wollte ihn zerkauen. Dann nahm sie die Nadel, fädelte ein und nähte mit ein paar heftigen Stichen den Knopf wieder an.
»Das ging aber schnell«, sagte Val. »Vielleicht sollte ich mit Ihnen zusammenarbeiten statt mit den OP-Schwestern vom Krankenhaus. Sie haben beide zwei linke Hände.«
Überrascht lächelte Surie. Nahezu jeden Tag ihres Erwachsenenlebens hatte sie Knöpfe angenäht, und kein einziges Mal hatte jemand ein Wort über ihr Geschick verloren.
3
Am Abend nach der Schewa brachot, nachdem Suries Enkelinnen zu ihrer Mutter hinuntergelaufen waren, spülte Surie alles Extrageschirr, trocknete es ab und räumte es weg. Sie beschloss, das Nachthemd anzuziehen, das ihr eine Freundin zum Scherz nach ihrer Krebsoperation geschenkt hatte. Als sie im Krankenhaus in die anstößige Schachtel geblickt hatte, hatte sie gekreischt und war rot geworden. Damals war es lustig gewesen, genau das Richtige, um ihr ein bisschen freche Energie zu geben, als sie sich völlig niedergeschlagen gefühlt hatte. Sie hätte es wegwerfen sollen, aber das hatte sie nicht getan. Hinten im Schrank fand sie die Schachtel und öffnete sie. Ein ärmelloses, weißes Nachthemd mit einer Schleife aus rosa Seide. Sie zog es über den Kopf und bedeckte die nackten Arme mit ihrer Strickjacke. Unter dem anschmiegsamen durchsichtigen Stoff war die Kugel ihres Bauchs zu sehen. Als sie aus dem Bad kam, hob ihr Mann den Kopf und schaute sie an. »Hübsches Kleid«, sagte er.
Ihr Bett krängte, als sie sich hineinlegte. Sie schlug nicht sofort die Decke über sich. Als ihre Periode aufgehört hatte, hatten sie entschieden, nachts ihre zwei Betten direkt nebeneinanderzustellen. Jeden Morgen schob sie die Betten auseinander und einen kleinen Nachttisch dazwischen. Sie lag auf dem Rücken, neben der Ritze zwischen den beiden Betten, zog den Stoff fester über den Bauch und schaute aus dem Augenwinkel zu ihrem Mann. Er starrte an die Decke.
»Yidel«, sagte sie, »gefällt es dir wirklich?«
Er sah sie nicht an.
»Es ist kein Kleid.«
»Es ist sehr gut, dass du so ein raffiniertes Vorbild für die Ejniklech bist«, sagte er. »Ihre Bubbie ist immer so elegant.« Er starrte an die Decke und kaute auf seinem Bart herum. Die alte Uhr im Wohnzimmer schien unnatürlich laut zu ticken.
Sie zog den Stoff noch fester um sich und hob die Hüften und wollte unbedingt, dass er es bemerkte.
Wurde er rot? Ja! Und sie auch. Das Nachthemd war zu viel gewesen, zu durchsichtig, zu unanständig für ihn. Sie richtete sich abrupt auf und sprang aus dem Bett, die Federn knarzten und quietschten, und sie lief los, um sich umzuziehen.
»Ich mag dieses alte Flanellnachthemd«, sagte er, als sie zurückkam. Es hatte lange Ärmel und einen hohen Kragen aus Spitze. Er legte den Arm um sie und die Lippen an ihren Nacken. »Es riecht wie du.«
»Wie rieche ich?«
»Nach Bleiche. Vielleicht von dem Pulver, mit dem du die Spüle scheuerst? Und Silberpolitur.«
Sie seufzte und zog die Decke über die Schulter. Dann schob sie die Knie unter das Nachthemd. Ihre Oberschenkel stießen an ihren Bauch, und sie konnte die Zwillinge tief in sich flattern spüren.
»Wie romantisch«, sagte sie. »Putzmittel.«
»Ich liebe es, Großvater zu sein«, murmelte er. Er liebte viel. Er würde auch die Zwillinge lieben. Manchmal war es ermüdend, seiner Begeisterung für alles Mögliche zuzuhören und über das ausrangierte Gerümpel im Keller zu stolpern. Die Mosaikfliesen. Die Strumpfstrickmaschine. Den Haufen Werkzeug, mit dem er das Pergament herstellte, den Exzenterschleifer, der sein Gehör ruiniert hatte. Die halbvollen Dosen mit Farbe. Zumindest strengte er sich an. Manche Männer kamen morgens kaum aus dem Bett. Und es war rührend, wie kindlich er war, wenn er sich für etwas begeisterte. »Zeyde zu sein ist das Beste, was mir im Leben passiert ist. Ich wünschte nur, ich wäre es schon früher geworden, als ich noch jung genug war, um es besser genießen zu können, statt mich so anstrengen zu müssen, wenn ich mich wie heute Nachmittag mit den Mädchen zum Rinnstein hinunterbeugen will.«
»Du bist uralt«, sagte sie leise und lachte. Ihr lag es auf der Zunge, ihm von den Babys zu erzählen. Sie zog seine Hand auf ihren Bauch, damit er die Bewegungen der Zwillinge spüren und die Schwangerschaft selbst feststellen konnte.
»Klapprig«, sagte er und zog sie an sich. Doch dann glitt seine Hand weiter nach unten. »Und du auch, Madame Chlorox.«
»Knack, quietsch, knarz«, sagte sie anstelle seiner Gelenke. »Oder vielleicht sollte ich plitsch, platsch sagen.« Sie lehnte sich an seine Schulter.
Wenn die Zwillinge auf der Welt wären, würde sie das Kostbarste aller Dinge verlieren, diese stille Liebe, die eingetreten war, nachdem die Kinder aus dem Gröbsten heraus waren, als sie und Yidel endlich ein bisschen Zeit hatten, sich gegenseitig zu entdecken. Sie hatte den Geschmack von Rost auf der Zunge.
Auf dem Fensterbrett, gleich hinter Lipas grüner Brille, hatten zwei Tauben Zuflucht vor dem Regen gesucht und gaben seltsame gurgelnde Laute von sich. Ihre Augen waren geschlossen, und im Licht der Nachttischlampe schimmerten ihre Federn nahezu türkis.
»Der neu Pathmark, der aufgemacht hat, ist wahrscheinlich billiger als Greenstein«, sagte er.
»Ich gebe mein Geld lieber einem Menschen. Jemandem, der meinen Namen kennt.«
»Ja«, sagte er. Sie erkannte an der Wärme in seiner Stimme, dass er lächelte, so wie er das A in die Länge zog. An ihren Stimmen hatte sie gemerkt, wenn die Kinder logen. Hörte Yidel nicht, dass sie log? Vielleicht brauchte er neue Batterien für sein Hörgerät. Morgen würde sie welche kaufen. Sie entzog sich seiner Hand, streckte sich und schaltete das Licht aus.
»Du bist ein guter Mann, Yidel«, sagte sie. Er nahm die Ecken seines Leintuchs und der Decke und legte sie über sie. Er schlief rasch ein, sein Gesicht an ihrem Rücken, seine Knie hinter ihre geschoben.
Jetzt lenkten sie keine Worte mehr ab. Kein Enkel verlangte etwas zu trinken oder Hilfe. Nichts war in diesem Zimmer außer der Einsamkeit des Wissens. Ob es ihr nun gefiele oder nicht,