Wyatt Earp Paket 2 – Western. William Mark D.
Degorey fuhr stöhnend hoch.
»Doc Holliday? Er – ist auch hier?«
»Yeah, Boy«, entgegnete der Texaner. »Das bellende Husten, das du da vorhin gehört hast, das war seine Stimme. Du kannst dich darauf verlassen, daß wir die aus hundert anderen Revolverstimmen durch noch dreimal so dicke Mauern hindurch erkennen würden.«
Mit brennenden Augen starrte der Overlandmann in die Finsternis. Der Hoffnungsfunke, der so heiß für eine Minute in seine Seele gefallen war, erlosch schon wieder.
»Sie haben ihn eingekreist«, krächzte er. »Sie machen ihn fertig.« Aber draußen blieb alles still.
Da schrie Degorey gellend:
»Da habt ihr es! Sie haben ihn – fertiggemacht! Fertig, wie mich! Wie mich!« Röhrend gellte der Schrei durch den hohlen Kellerraum.
»So beruhige dich doch, Junge«, meinte der Texaner. »Es ist doch Unsinn, was du da sagst. Den Doc macht keiner mit dem Revolver fertig. Und wenn du richtig zugehört hättest, dann wäre dir aufgefallen, daß nach seinen Schüssen Stille herrschte. Verlaß dich darauf, Jimmy: er holt uns hier raus. Und wenn er jedes Brett und jede Planke einzeln von diesem Laden hier herunterschießen müßte.«
Wieder richtete sich der unglückliche Overlandmann hoch, stützte sich auf die Hände und kauerte mit zitternden Armen da. Wie in all den Tagen und Nächten, die er hier steckte, waren seine Augen weit aufgerissen, wie immer, wenn er glaubte ein Geräusch gehört zu haben.
Im Kellergang dröhnten Schritte.
»In Deckung!« zischte Wyatt. Er selbst packte Degorey mit sich und zerrte ihn hinter den Schrank.
An der Tür war ein kratzendes Geräusch, und Wyatt deutete es ganz richtig, als er vermutete, daß ein Revolverlauf durch eines der beiden zuklappbaren Löcher geschoben wurde. Ein hartes, splitterndes Krachen ließ den ganzen Raum erdröhnen.
Luke Short hatte den schweren Schemel mit einem wuchtigen Schlag gegen die Tür gehämmert.
Draußen löste sich ein Schuß. Schrill drang ein Schrei durch den Kellerraum.
»Sie haben den Colt zurückgeschlagen!« brüllte jemand im Gang.
»Werft die Klappe zu!« antwortete die Stimme des Vormanns.
Gerade als der Texaner mit seinem Colt den Trichter der Schießscharte gefunden hatte, flog oben die Klappe zu.
Der Lärm draußen im Kellergang verebbte. Und dann herrschte wieder tiefe Stille, die von der rostigen Stimme des Abilene Postmasters zerrissen wurde.
»Na, was habe ich gesagt? Wo ist er denn – euer Doc? Sie haben ihn fertiggemacht!«
»Reg dich nicht auf, Jim«, suchte der Texaner ihn zu beruhigen. »Wenn es sein muß, holt er uns aus der Hölle.«
Der Missourier war wieder damit beschäftigt, die Wand abzutasten. Endlich hatte er das gefunden, was er suchte. Den Luftschacht.
»Luke. Sie haben doch ein Bowiemesser bei sich?«
»Na klar.« Der Hüne tastete sich heran.
Wyatt hatte den Schrank quergelegt, zerrte ihn an die Mauer und stellte sich darauf.
Short reichte ihm das Messer.
Das kratzende spachtelnde Geräusch ließ den Texaner ahnen, was der Marshal vorhatte.
»Sie haben die Lüftung gefunden?«
»Yeah.«
»Und wollen jetzt einen Stein rausbrechen?«
»Ich versuche es. Der Mörtel ist schlecht und brüchig.«
Der Texaner riß einen seiner Sporen von den Stiefeln, stieg auch auf den Schrank und ließ sich von dem Missourier mit der Hand an den Stein führen.
»All right. Ich versuche die andere Seite zu lockern.«
Die beiden arbeiteten wie wild darauflos.
Mörtelstücke und Steinsplitter prasselten auf den Schrank hernieder, und nach zwanzig Minuten war Wyatt mit dem Messer so tief um den Stein vorgedrungen, daß er ihn bereits mit beiden Händen packen konnte.
»Wir müssen es zusammen versuchen.«
Sie legten ihre »Werkzeuge« nieder und krallten ihre Finger in den Stein. Gemeinsam zerrten sie daran.
Beim dritten Ruck knirschte es in der Deckenmauer.
»Na wartet nur, Boys. Einen faulen Zahn werden wir euch gleich ziehen.«
Mit Berserkerkräften rissen die beiden starken Männer an dem Stein. Es war ein großer behauener Felsstein, der die Lüftung nach unten bis auf einen dünnen Spalt verschloß.
Schon wollte der Marshal das Messer wieder in die Hand nehmen, als der Stein plötzlich nachgab und den Texaner mit sich zu Boden riß.
In das Prasseln der Mörtel- und Mauerstücke hinein rief der Missourier besorgt:
»Was passiert?« Er war vom Schrank gesprungen und tastete nach dem Riesen.
»Nicht doch«, kam da dessen Stimme aus dem Staubwirbel. »Das Ding war schwerer als ich und hatte es eiliger auf den Boden zu kommen. Ich habe nur meinen Hut verloren.«
Auch Wyatt hatte die Augen voller Mörtelstaub. Trotzdem war er gleich wieder oben und tastete die Öffnung ab.
»Zounds! Da ist ja ein richtiger Schacht!«
Tatsächlich hatte das Rancherhaus Lester Croydons also nicht nur ein Unterkellergang, sondern auch einen echten Luftschacht dazu. Eine höchst merkwürdige Sache im Westen.
Wozu brauchte der Rancher einen solchen Raum? Das war ja ein perfektes Verlies. Ein Gefängnisloch, das unauffindbar war.
Fast unauffindbar.
Der Missourier zog sich an zwei vorspringenden Mauerkanten hoch und zwängte sich in den Schacht. Nur mühsam kam er vorwärts. Das Luftloch wurde immer enger. Dennoch verspürte Wyatt die frische Luft immer deutlicher und stärker.
In diesem Moment fielen unten im Kellergang Schüsse.
Und gleich darauf fraß sich das harte Bellen der Revolver des Gamblers dazwischen.
Luke Short jubelte auf. »He, Jimmy, hast du das gehört? Das ist Musik in meinen Ohren, verstehst du?«
Wieder bellten die Sixguns des Georgiers draußen. Diesmal schon erheblich näher.
»Jim, steh auf!« dröhnte die Stimme des Riesen durch den Kellerraum. »Da kommt Doc Holliday!«
Der Overlandmann raffte sich auf und lehnte sich schwankend an die Wand.
An der Tür waren jetzt Geräusche. Mit harten Stößen wurden die Riegel zurückgeschlagen.
Die Tür sprang auf.
Fackelschein drang in den Raum.
»Doc Holliday!« rief der Texaner.
Der Gambler stand in der Tür, in der Linken die Fackel, in der Rechten den Revolver. Zuckend tanzte das rotgelbe Licht durch den Raum und zerfraß die Finsternis.
»Wo ist der Marshal?«
Luke Short deutete in die Ecke. Dann zog er die Brauen zusammen. »He, da war er eben noch!«
Er rannte auf die Ecke zu und sprang auf den Schrank.
»Wyatt!«
»Yeah!« kam es dumpf aus dem Kamin zurück.
»Wir können raus. Doc Holliday ist hier!« Luke Short kam wieder zur Tür zurück.
»Er war schon halb draußen, Doc. – Wie haben Sie uns gefunden?«
»Als ich Ihren Revolver hörte…«
»Sie haben meinen Revolver gehört? Ich