Wyatt Earp Paket 2 – Western. William Mark D.
des Stallvorbaues eine riesige Gestalt, die mit raschen Schritten näherkam. Aus dem Küchenfenster des Boardinghouse fiel ein schwacher Lichtstrahl und beleuchtete den Mann. Er war von geradezu herkulischen Körperformen. Selbst der lange Vormann Lester Croydons war noch fast klein gegen ihn zu nennen. Unter dem weißen Hut blickte ein dunkles, kantiges Gesicht hervor. Jetzt bleckte der Mann ein schimmernd weißes, prächtig gewachsenes Gebiß und feixte.
»Hallo, Marshal. Alles bereit.«
Wyatt reichte ihm die Hand. »Thanks, Luke.«
Auch Holliday gab dem Abenteurer aus Texas die Hand.
»War doch ein guter Gedanke des Marshals, Sie mitzunehmen, Mister Short. Da habe ich doch wenigstens jemanden, mit dem ich mal anständig pokern kann.«
Yeah, es war Luke Short. Er war wieder einmal mitgekommen. Wyatt hatte es ihm nicht abschlagen wollen, als er im letzten Augenblick vor dem Abritt der beiden im Marshals Office auftauchte, fix und fertig zum Ritt, gestiefelt und gespornt. Seit sich der bärenstarke, schußschnelle und wirklich schon riskant-mutige Luke Short unten in Arizona so gut bewährt hatte, gab es keinen Grund für den Marshal, den wirklich brauchbaren Mann nicht mitzunehmen. Er war mit seinen schlagfertigen Antworten und seinem kräftigen Humor ein guter Ausgleich zu dem oft gallenbitteren, scharfen, spöttischen Holliday.
Wyatt hatte ihn die Pferde hierherbringen lassen, da er beabsichtigte, der Croydon-Ranch einen nächtlichen Beobachtungsbesuch abzustatten.
Anfangs hatten sie sich ausgemacht, daß Luke Short die Overland am Morgen hinüber nach Salina fahren sollte. Aber da der Texaner auf dem nächtlichen Ritt gebraucht werden konnte und es ohnehin besser war, wenn Jonny Vancelar von der Abilener Poststation in Salina mit der Kutsche auftauchte als ein wildfremder Mann, hatte sich der Marshal wohl oder übel entschlossen, den jungen Overlandmann einzuweihen.
Sie ritten über die Mainstreet, bogen neben der Station in eine Seitengasse ein und führten die Pferde in den Hof.
Vancelar, ein kräftiger, vierundzwanzigjähriger Bursche, hörte die Geräusche. Er kam sofort mit dem Gewehr an die Haustür.
Dann sah er den vermeintlichen Overlandmann Stapp.
»Hallo, Mister Stapp! Sie sind noch mal zurückgekommen? Ich dachte, Sie und Mister Hellmers schliefen längst.«
Wyatt kam langsam auf die Treppe zu und blieb vor der untersten Stufe stehen.
»Hör zu, Jonny, ich muß dir etwas sagen. Ich heiße nicht Stapp.«
In die Augen Jonny Vancelars trat ein jäher Schreck. Instinktiv hob er das Gewehr an. Da sah er hinter Wyatt die beiden anderen Männer aus dem Dunkel auftauchen.
»Laß das Gewehr unten, Jonny. Mein Name ist Earp. Ich bin von Salina aus geru…«
»Earp?« stammelte der Bursche völlig entgeistert.
»Yeah. Ich werde es dir erklären, Jonny.«
»Sind Sie etwa Wyatt Earp?« unterbrach ihn der Bursche.
»Yeah.«
Jonny hob die Linke und wischte sich über die Augen. Dann deutete er auf den vermeintlichen Hellmers. »Und er? Ist er etwa Doc Holliday?«
»Yeah«, antwortete Wyatt Earp. »Und der andere ist Luke Short. Ich werde dir jetzt…«
»Doc Holliday!« Der Bursche hatte es fast andächtig gesagt. »Und Luke Short! – Augenblick mal, Marshal, das ist ein bißchen viel für die Abendstunde. Wyatt Earp, Doc Holliday und Luke Short!«
»Vielleicht sagt er es noch ein paarmal und etwas lauter, dann weiß es in einer halben Stunde die ganze Stadt«, meinte der Georgier.
Wyatt winkte dem Burschen.
Jonny Vancelar kam in den Hof.
Da nahm der Missourier seinen Marshalstern aus der Tasche. »Hier, Jonny, kennst du den?«
»Yeah, Marshal, ich kenne ihn. Ich habe ihn schon in der Zeitung gesehen. Damals, als Sie Milt Rice unten in Dodge stoppten. Und außerdem habe ich mir schon seit Tagen den Kopf darüber zerbrochen, wo ich Hellmers schon gesehen habe. Jetzt weiß ich es genau: Er ist Doc Holliday! Ich habe ihn hier vor Jahren gesehen. Damals war ich fünfzehn oder sechzehn. Er spielte im großen Casino, und dann war da die Schießerei mit Higgins und…, aber er sah damals allerdings etwas anders aus. Er trug einen sauberen schwarzen Anzug und eine Krawatte, ein weißes Hemd und…«
»Du mußt doch zugeben, daß das zu einem Overland Gunman nicht gerade paßt«, unterbrach ihn Wyatt. Und dann erklärte er ihm, was zu erklären war.
Jonny Vancelars Herz schlug schneller. »Marshal, Sie können sich auf mich verlassen wie auf Doc Holliday und Luke Short. Ich danke Ihnen, daß Sie Vertrauen zu mir haben. Ich werde Sie ganz sicher nicht enttäuschen.«
Wyatt schüttelte ihm die Hand. Auch Doc Holliday und der Texaner drückten dem jungen Postmaster die Hand.
»Es geht jetzt um Jeff Wilkins’ Leben!«
»All right, Marshal. Ich werde also morgen die Overland nach Salina hinüberbringen, wenn Sie nicht zurück sind. Mein Bruder vertritt mich gern mal für einen Tag. Er hat früher schon für Jimmy Degorey gearbeitet, genau wie ich, und ist also mit allen Arbeiten vertraut.«
»Und haben Sie nur keine Angst, Jonny, wir sind in der Nähe.«
Der Bursche grinste breit und meinte:
»Wenn Sie in der Nähe sind, Marshal, fahre ich die Overland auch durch die Hölle.«
*
Die drei Reiter verließen die Stadt in nordwestlicher Richtung.
Luke Short hatte die Lage der Croydon Ranch so gut ausgekundschaftet, daß er seine beiden Gefährten trotz der Dunkelheit sicher hinführen konnte.
Schließlich sahen sie auf einer Hügelkuppe die Bauten vor sich auftauchen. Es war eine mittlere Ranch, von einem provisorischen Zaun umgeben. Wyatt setzte mit seinem Pferd über das Gatter und hielt auf einen Schuppen zu, der abseits von der großen Scheune stand.
Luke Short folgte ihm.
Der Georgier trennte sich von den beiden. Seiner nützlichen Gewohnheit folgend, umritt er die Gebäude und näherte sich dem Anwesen von der Rückseite her.
Hinter dem Schuppen rutschten Wyatt und Luke aus den Sätteln.
Der Marshal schlich sich, als er den Zügel seines Pferdes an einer eisernen Krampe befestigt hatte, an die Ecke des Schuppens und äugte zum Hof hinüber.
Der Texaner schob sich hinter ihn. »Sie haben sich da ziemlich nahe herangewagt, Marshal. Wie nun, wenn Croydon einen scharfen Köter hat?«
»Der hätte längst gebellt, auf jeden Fall aber, als wir vorn am Gatter waren und darübersetzten.«
Der Riese fletschte die Zähne. »Stimmt. Aber ich habe schon von Hunden gehört, die so raffiniert sind, zu warten, bis der Eindringling in Bißnähe ist.«
»Yeah, ich habe sogar schon mit solchen Tieren zu tun gehabt.«
»Das dürfte doch ziemlich unangenehm sein?«
»Ist es – aber wenn man keine andere Wahl hat, muß man das Risiko eben auf sich nehmen.«
Luke fragte nach einer Weile flüsternd:
»Der Doc sucht wohl wieder den Hintereingang?«
Wyatt nickte.
Da lachte der Texaner in sich hinein. »Ich muß sagen, das ist immer noch großartig organisiert bei euch beiden.«
Wyatt hatte den Hof eine Weile beobachtet, duckte sich jetzt nieder und näherte sich dem etwa fünfzehn Yards entfernt stehenden Scheunenbau.
Luke Short kam nach.
Sie schlichen sich an der Hinterfront der Scheune entlang und konnten von der nächsten Ecke aus die Stallungen erreichen, ohne über ungeschütztes