Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Tod. Statt dir zu helfen habe ich nur immer versucht, dich durch andere Leute davon zu überzeugen, dass mich keine Schuld trifft. Du bist ganz allein gewesen mit diesem furchtbaren Leid. Wollen wir versuchen, gemeinsam damit fertig zu werden?«
Der tiefe Schlaf hatte Reni über die kritische Schwelle schreiten lassen. Das aufrichtige Bemühen ihres Mannes, ihr zu helfen, brach nun den letzten Bann. Sie lächelte unter Tränen, als sie sagte: »Arme kleine Gitti. Niemand hat gewusst, dass sie so krank war. Jetzt ist sie ein Englein im Himmel.«
Bodo legte seine Lippen auf ihren blassen Mund.
»Ja, Reni. Sie ist bestimmt ein Engel. Wir müssen es hinnehmen und ertragen, dass sie nicht bei uns bleiben durfte. Aber unsere Liebe darf daran nicht scheitern.«
Reni schmiegte die feuchte Wange in seine Hand. »Es ist, als wäre ich von einer langen Reise zurückgekommen, Bodo. Es war eine Irrfahrt. Das sehe ich jetzt ein. Aber ich konnte nicht anders. Es trieb mich mit böser Macht fort. Darf ich jetzt zurück zu dir nach Hellendorf? Ich habe Heimweh.«
»Wir fahren gleich ab, Reni.«
Seine starken Arme umschlossen sie. Sie fühlte seine Kraft und seine Liebe.
»Ich möchte zu Gittis Grab, Bodo. Erst wenn ich an ihrem Grab war, schließt sich der Kreis.«
Reni stand auf. Sie war blass und schwankte ein wenig. Aber ihre dunklen Augen blickten klar, und ihr Gesicht wirkte nicht mehr wie eine Maske, sondern war tief von innen her belebt.
Während Reni sich wusch und ankleidete, nutzte Bodo die Zeit, um dem wartenden Dr. Volkert und Denise von Schoenecker Bescheid zu geben.
»Ich bin nun nicht mehr vonnöten«, sagte der Arzt. »Ihre Frau ist gesund. Ihr Wunsch, endlich die letzte Ruhestätte ihres Kindes zu besuchen, ist ein klarer Beweis dafür.«
Bodo streckte ihm die Hand hin. »Sie und Asta haben mich in letzter Minute vor einem Schritt zurückgehalten, der uns nur Unglück gebracht hätte. Ich danke Ihnen, Doktor.«
»Bedanken Sie sich bei Asta. Ich habe nämlich in dieser Sache ein paar Fehler gemacht. Aber das ist jetzt glücklicherweise nicht mehr wichtig.«
Nachdem Bodo von Hellendorf das Biedermeierzimmer verlassen hatte, küsste Ulrich Volkert Denise die Hand und erklärte: »Nicht nur von Asta habe ich allerlei zu lernen, sondern auch von Ihnen. Darf ich einmal wiederkommen, auch wenn ich hier keine Patientin mehr habe?«
»Sie sollen uns immer willkommen sein, Doktor. Ein wenig gehören Sie nun schon zu unserer Gemeinschaft.«
Dr. Volkert verabschiedete sich. Er meinte, es sei besser, wenn er Reni von Hellendorf jetzt nicht begegne. Das unmittelbare Gespräch mit ihrem Mann sei wichtiger.
»Und Sie wollen zu Asta Berner, nicht wahr?«, fügte Denise mit warmem Verständnis hinzu.
»Auch das, gnädige Frau. Es wäre eine Lüge, das abzustreiten.«
Kurz nachdem Ulrich Volkert Sophienlust verlassen hatte, erschienen Bodo und Reni im Biedermeierzimmer.
»Bist du böse, wenn wir noch heute nach Hellendorf zurückfahren, Denise?«, fragte Reni. »Sicher hältst du mich für undankbar. Aber ich muss endlich nach Hause.«
»Gewiss sollst du nach Hause, Reni.«
»Ich habe meine Koffer schon gepackt«, gestand Reni. »Wir könnten gleich fahren.«
»Wollt ihr noch eine Kleinigkeit essen?«, bot Denise an.
»Unsere Emmi macht uns gern etwas«, versicherte Bodo. »Verzeih, wenn wir es plötzlich so eilig haben. Wir kommen in ein paar Tagen wieder und machen dann einen Dankbesuch.«
»Nicht nötig, Bodo. Wir freuen uns mit euch. Zu gegebener Zeit werden wir uns schon wiedersehen.«
Die Koffer wurden zum Auto getragen.
Reni lächelte wehmütig, als sie die stolze Henne mit ihren Juniküken jenseits der Hecke vorbeiziehen sah. »Manuela«, sagte sie leise. »Wir müssen etwas für das Kind tun, Bodo. Ihre Eltern sind sehr arm, aber Manuela soll in eine gute Zukunft hineinwachsen. Ist es dir recht?«
»Natürlich, Reni.«
»Wir werden die Familie aufsuchen und ein Sparkonto für das Kind anlegen. Wenn Manuela größer ist, können wir dafür sorgen, dass sie den Beruf erlernt, den sie sich wünscht. Dieses Kind hat mir sehr geholfen. Meinst du nicht?«
Bodo streifte ihre Wange mit den Lippen. »Ja, Reni. Du hast die Begegnung mit Manuela Cortez wohl gebraucht.«
»Aber auch den Abschied von ihr, Bodo«, fügte Reni hinzu. »Ich weiß nun, dass ich kein Recht habe, den Eltern das Kind abzuverlangen, wie ich mir einbildete. Manuela soll in der Familie aufwachsen, zu der sie gehört. Ich bin sicher, dass man mit ihrer Mutter und ihrem Vater Freundschaft schließen kann. So werden wir Manuela nie ganz aus den Augen verlieren, hoffe ich.«
Schwester Regine und Irmela hatten unauffällig dafür gesorgt, dass es ausnahmsweise einmal keinen großen Bahnhof beim Abschied von Sophienlust gab. Sie beschäftigten die Kinderschar so geschickt, dass die Abfahrt des Hellendorfer Wagens kaum bemerkt wurde.
*
Die Sommerferien hatten angefangen. Reni war schon mehrmals zu Besuch in Sophienlust gewesen und hatte mit allen Kindern gespielt. Sie hatte auch erzählt, dass Maria und Fernando Cortez jetzt eine hübsche Wohnung in Maibach bekommen hätten, und sie brachte Grüße von Manuela mit.
An einem besonders heißen Nachmittag erschien Reni unangemeldet in Schoeneich und fuhr nach Sophienlust weiter, weil man ihr sagte, dass Denise dort zu finden sei. Sie wollte die Freundin allein sprechen, doch das erwies sich als recht schwierig, denn die Bewohner des Hauses der glücklichen Kinder befanden sich in großer Aufregung. Denise bemühte sich, die Wogen ein wenig zu glätten. Sie stand mitten in der Kinderschar und hielt einen Brief in der Hand, den sie nur stückweise vorlesen konnte, weil sie immer wieder von den Ausrufen und Fragen unterbrochen wurde.
»Verzeih, Reni. Du musst dich gedulden«, rief Denise der Freundin zu.
»Es gibt wieder eine Hochzeit«, mischte sich Henrik ein, der seiner großen Freundin sofort entgegenlief. »Dein Doktor heiratet. Weißt du das schon?«
»Aber ja, Henrik. Das war doch kein Geheimnis.«
»Wir dachten, die beiden heiraten in Sophienlust«, äußerte Pünktchen mit deutlicher Enttäuschung. »Hochzeiten sind doch das Schönste auf der Welt.«
»Wenn ihr mich endlich weiterlesen lassen würdet, wäre das sehr nett«, bat Denise.
»Psst – psst, Tante Isi liest weiter!«
Allmählich kehrte Ruhe ein, und Denise las: »Am liebsten würde Ulrich die Kinder von Sophienlust vollzählig zu unserer Hochzeit einladen, liebe Frau von Schoenecker …«
»Warum tut er’s dann nicht?«, unterbrach Nick seine Mutter.
»Kann ich denn nicht einen einzigen Satz zu Ende lesen? Ihr seid wirklich sehr ungeduldig. Die Überraschung kommt ja noch.«
Wieder beschwichtigten sich die Kinder gegenseitig.
»… leider würde das für meinen alten Vater ein bisschen zu aufregend und anstrengend werden.«
»Wir sind doch nicht anstrengend«, empörte sich Vicky.
»Rrrruhe!«, kommandierte Nick, der seine Mutter eben erst selbst unterbrochen hatte.
»Deshalb haben wir gedacht, dass wir einen Polternachmittag am Tag zuvor veranstalten. Wir erwarten dazu alle Kinder und alle erwachsenen Bewohner des Hauses, Magda nicht zu vergessen. Mit den Bussen müsste sich der Transport wohl durchführen lassen. Wenn nicht, schicke ich einen großen Omnibus aus unserer Fabrik. Wir freuen uns sehr auf dieses Fest.«
»Also doch ein Fest«, strahlte Pünktchen. »Wir müssen uns etwas ausdenken. Eine Aufführung vielleicht.«
»Wir können auch etwas