Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Robin konnte so viel Verschwendung gar nicht fassen. Er kramte sein Lateinbuch hervor und blätterte lustlos darin. Immer wurde ihm die Stunde zwischen vier und fünf unendlich lang. Wenn Thomas um Punkt fünf aus dem Geschäft kam, fuhr schon eine halbe Stunde später der kleine Wagen seiner Mutter vor. Und dann begann das große Glück im Hause Platen.
Barbara hatte gleich von Anfang an dafür gesorgt, dass die Arbeit unter allen Familienmitgliedern gerecht aufgeteilt wurde. Radikal hatte sie mit allen herkömmlichen Vorstellungen bei der Haushaltsführung gebrochen. Es gab zwei Gruppen, die sich abwechselten, wenn Tita gegen fünf Uhr das Haus verließ und in ihren wohlverdienten Feierabend ging. Die eine badete und versorgte Susanne, die andere bereitete das gemeinsame Abendessen zu.
Diese Woche war Barbara für den Küchendienst eingeteilt. Kai half ihr dabei, Thomas und Robin planschten jedoch oben im Bad herum und schienen mit Susanne um die Wette zu jubeln. Der Lärm drang bis in die Küche.
Kai schälte Kartoffeln, Barbara wickelte große Kohlblätter um ein Häufchen Fleisch.
»Soll ich dir etwas verraten, Barbara?«
»Natürlich, Kai. Du weißt doch, wie neugierig ich bin.« Sie lachte. Nach der hektischen Arbeit im Büro erschien ihr das abendliche Kochen wie eine Erholung, besonders, in so netter Gesellschaft.
»Mein Papi hat vorhin gesagt, Susanne muss jetzt bald getauft werden.«
Barbara sah Kai einen Moment nachdenklich an. Sie war eine viel zu begeisterte Hausfrau und Gastgeberin, um nicht sofort in bunten Vorstellungen über ein delikates Festmenü oder ein appetitliches kaltes Büfett zu schwelgen.
»Das wird herrlich«, begeisterte sie sich. »Weißt du schon, wen dein Vater einladen wird und wann das alles vonstatten gehen soll?«
Ohne seine Antwort abzuwarten, legte sie die Kohlrouladen in das brutzelnde Fett.
»Nee«, gab Kai ehrlich zu und betrachtete selbstkritisch eine dicke Schale, die er von einer Kartoffel geschnitten hatte. »Ich weiß nur, dass du Taufpatin werden sollst.«
»Wer hat das gesagt?«, fuhr sie ihn an, während sie so tat, als müsse sie ihr Schürzenband fester binden.
»Ich, Barbara. Papi hat mich gefragt, wer sich dazu eignen würde. Weil er und ich die einzigen richtigen Verwandten von Susanne sind, habe ich ein Wörtchen mitzureden gehabt«, schloss er mit einem stolzen Blick auf sie.
Barbara wandte sich ab und drehte ihre Kohlwickel auf die andere Seite. Ja, sie war glücklich über diesen Vorschlag und empfand es als große Ehre, Taufpatin zu werden. Denn sie hatte Susannchen tief in ihr Herz geschlossen. Das Baby war ein so heiteres, ausgeglichenes Kind und gedieh als Mittelpunkt dieser friedlichen Hausgemeinschaft so prächtig, dass sie ihre ganzen anfänglichen Bedenken vergessen hatte. Sie war nun nicht mehr eifersüchtig auf Dinah Platen, denn sie ahnte, dass Thomas’ zweite Frau im Grunde genommen schwach und hilflos gewesen war. Schwach und hilflos wie jede Frau, die der Liebe ihres Mannes nicht mehr sicher sein konnte. Thomas hatte ihrer Ansicht nach Dinahs Schönheit Ehrerbietung und Besitzerstolz entgegengebracht, doch zu einer echten Bindung war er nicht fähig gewesen. Die Launen seiner zweiten Frau hatten seinen guten Willen schon von Anfang an auf eine so harte Probe gestellt, dass er seine Gefühle zu ihr unter einem dicken Polster von Pflichtauffassung versteckt hatte.
»Und du hast deinem Vater vorgeschlagen, mich als Taufpatin zu nehmen?«
»Klar. Sag ich doch.« Selbstverständlich ließ Kai die letzte seiner geschälten Kartoffeln ins Wasser plumpsen.
»Und dein Vater war sofort damit einverstanden?«
»Klar. Muss er doch.«
Barbara holte ein kleines Töpfchen hervor, um darin Milch für Susannes Abendbrei anzuwärmen. Mit der Babymehl-Packung in der Hand verscheuchte sie Kai scherzhaft.
»Du kannst schon den Tisch decken, Kai.«
»Gibt’s auch Nachtisch?«, fragte er im Hinausgehen.
»Apfelmus, von Tita gekocht.« Barbara lächelte verschmitzt. Sie wusste, dass nun der große Protest einsetzen würde. Um sie zu entlasten, kochte Frau Stubenweis zuweilen in großen Mengen irgendetwas vor. Diesmal war es Apfelmus gewesen. Sie aßen schon eine Woche daran, weil die gute Frau es energisch abgelehnt hatte, die köstliche Fruchtmasse einzufrieren.
Kai lehnte sich nun mit theatralischer Geste gegen den Türpfosten und schüttelte sich. »Geht dieses Mus denn nie zu Ende?«
»Doch, Kai. Heute. Und morgen koche ich Zitronenspeise.«
Er strahlte sie an. »Du bist ein Engel, Barbara. Ein richtiger Zitronenengel.« Dann verkrümelte er sich, um seinen anderen Aufgaben nachzugehen, und Barbara war allein. Mit einem deprimierten Gesicht sah sie in den Milchtopf. Was sollte sie nur tun? Sie konnte Susannchen doch nicht über das Taufbecken halten. Damit würde sie die Familie Platen nur noch mehr an sich binden. Es war schlicht unmöglich, ihnen das zuzumuten. Sie mussten jemand anderen finden.
Barbara holte tief Luft. Sie lebte jetzt zwei Wochen bei den Platens und fühlte sich so glücklich wie noch nie in ihrem Leben. Aber ihre eigene Wohnung hatte sie nicht aufgelöst. Sie wollte damit allen, auch Robin, beweisen, dass ihr Aufenthalt hier nicht endgültig war. Denn irgendwann, wenn Kai sich daran gewöhnt hatte, nun nicht mehr das einzige Kind von Thomas zu sein, konnte sie mit Robin in ihre Wohnung zurückkehren. Sie konnte es dann nicht nur, sie musste es dann auch tun. Sie wollte sich nicht über eine Hintertreppe – als Haushälterin und Ersatzmutter – in das Herz von Thomas Platen einschleichen.
Barbara biss sich auf die Lippen, während sie die Baby-Nahrung in den Kinderteller gab. Sie dachte an den winzigen flüchtigen Kuss, den sie Thomas damals auf die Wange gehaucht hatte. Warum nur hatte sie es getan? Thomas hatte noch nie eine Bemerkung über ihren eiligen Zärtlichkeitsbeweis gemacht. Statt dessen benahm er sich ungewöhnlich zurückhaltend. War es nur die Angst vor einer neuen Bindung? Hatte er erkannt, dass seine überstürzten Annäherungsversuche nur eine Verzweiflungstat gewesen waren, als er sich allein und von den drei Kindern in seinem Haus überfordert gefühlt hatte? Oder hielt er sich wirklich nur an das Versprechen, in ihr nichts als einen Mutterersatz für Kai und Susanne zu sehen?
Ein unbewusst heftiger Stoßseufzer entrang sich ihrer Brust. Es war jetzt alles noch verwickelter geworden.
In diesem Moment schlangen sich zwei Arme um sie. Es war Robin. Er war leise in die Küche geschlichen, um Susannes Breichen zu holen. Liebevoll schmiegte er sich an seine Mutter.
»Es ist so schön, dass du hier bist, Mami. So soll es immer bleiben. Auch wenn du abends noch oben arbeitest und wir dich nicht stören dürfen, ist es viel schöner als früher.«
»Ja, Robin«, antwortete sie ernst. »Das mag sein. Aber immer wird es nicht so bleiben. Eines Tages werden wir wieder in unsere kleine Wohnung ziehen und dort allein leben. Es war doch damals auch schön mit uns zweien, nicht wahr?«
»Och …« Das war alles, was er sagte. Und damit fügte er ihr einen tiefen Schmerz zu. Barbara tat so, als habe sie es nicht bemerkt. Eifrig rührte sie in Susannes Brei herum.
Robin sah ihr zu. »Du musst dich beeilen, Mami. Susanne hat Hunger.« Plötzlich lachte er laut auf. »Sie hat eben sogar in ihren großen Zeh gebissen, als Thomas sie wickelte. Der Arme ist ganz nervös geworden.«
Nun musste auch Barbara lächeln. Es rührte sie, wie der junge Vater sich ihrer Anordnung fügte und nun wirklich selbst mit Hand anlegte. Sie ahnte, dass es dem reichen, verwöhnten Mann nicht leichtfiel, aber er hatte sich mit verbissenem Eifer in seine neue Pflicht eingearbeitet. Und selbst in der Woche, in der er Küchendienst hatte, schmeckte das Essen.
*
Drei Stunden später hatte sich Ruhe über die Villa Platen gesenkt. Nur der Geschirrspüler brummte noch bedächtig in der Küche.
Thomas saß mit einer Pfeife im Mund über seinen Berechnungen in dem kleinen Arbeitszimmer neben dem großen Wohnraum, Kai und Robin hatten sich in ihre Schlafzimmer zurückgezogen und schmökerten noch ein wenig unter der