Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
lächeln. Er sagte: »Dein neues Fahrrad ist wirklich großartig, Robin. Wir müssen deiner Mutter noch schreiben und uns bei ihr bedanken.«
»Habe ich schon«, keuchte Robin.
»Dann werde ich ihr schreiben, wie gut es dir geht.«
Robin sandte dem Mann neben sich einen kurzen Blick zu. »Wenn Sie ihr schreiben, schreibe ich auch noch.«
Kai beschleunigte seine Fahrt und fügte begeistert hinzu: »Wir müssen ihr unbedingt erzählen, wie Nick bei unserem letzten Gasthof die Hühnerdiebe entdeckt und verprügelt hat. Das wird eine lustige Geschichte. Frau Wirthner wird staunen.«
Nick hatte Kais Worte gehört. Er bildete immer den Schluss der Vierergruppe, um Barri am nächsten sein zu können. Nun aber kam er nach vorn.
»Übertreibe bloß nicht so, Kai. Ich habe die Hühnerdiebe doch gar nicht verprügelt. Nur verscheucht habe ich sie.«
Kai zog eine Flunsch und sah seinen Vater an, als erwarte er von ihm Zuspruch. Aber Thomas blickte weit über die Landschaft hinweg und begann ein Lied zu pfeifen. Er wollte sich nicht einmischen. Keine Erziehung war so erfolgreich wie die unter Gleichaltrigen.
Robin blickte ihn bewundernd an. Es imponierte ihm mächtig, wie Kais Vater sich verhielt. Er war nicht so herablassend wie andere Erwachsene und erst recht nicht so kleinlich wie Peter Knoll, der jedes Mal, wenn er auftauchte, zu schimpfen begann.
»Dort drüben winkt ein Kirchturm zu uns herüber«, stellte Thomas jetzt fest. »Das Dorf sieht sehr einladend aus. Dort wollen wir heute übernachten.«
Er ließ sich zurückfallen und blickte Barri an. Der große Hund hatte genau wie der Radler die Steigung mit großer Anstrengung geschafft. Nun aber hing ihm die Zunge zum Hals heraus.
»Lasst uns jetzt schon rasten, Jungens. Barri hat Durst.«
Seine kleinen Freunde ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie suchten sich einen Platz zwischen den Bäumen und ließen sich dort im Schatten nieder. Kai holte seine Feldflasche hervor und ließ klares Wasser in ein kleines Näpfchen gluckern, damit Barri trinken konnte.
»So, nun schlabber mal schön, Barri.«
Barri wedelte kurz mit dem Schwanz, dann machte er sich über die köstliche Erfrischung her.
Thomas und die drei Jungen labten sich an einem großen Stück Melone. Sie hatten sich niedergesetzt und spuckten die Kerne auf die Wiese. Dann ließen sie sich ins Gras fallen und sahen in den Himmel, wo kleine weiße Wölkchen dahinsegelten.
Kai hatte sich ganz nah zu seinem Vater gekuschelt, und Thomas nahm ihn glücklich in den Arm. Eine seltsame Ruhe überkam ihn. Weit und breit war kein Autogeräusch, auch nicht der Lärm irgendeiner Maschine zu vernehmen. Er schloss die Augen und dachte an seine kleine Tochter Susanne. Das Baby war bei Frau Stubenweis in den besten Händen. Und doch konnte er in sich eine gewisse Sorge nicht bekämpfen. Ob Susannchen auch weiterhin so viel Appetit entwickelte? Ob sie wohl wie er im Schatten eines Baumes Mittagsruhe hielt?
Nick holte Thomas aus seinen väterlichen Gedanken zurück. »Nur noch ungefähr achtzig Kilometer, Herr Platen. Dann sind wir wieder in Sophienlust.«
Thomas schmunzelte. »Das macht noch genau zwei Tage, Nick. Dann ist unser Ausflug zu Ende. Aber …«, er machte mit Absicht eine Pause, »ich wollte euch noch eine Burg zeigen. Sie liegt nicht direkt auf unserem Weg, aber sie hat ein kleines Museum in ihren dicken Mauern. Es ist wirklich lohnenswert, das Museum anzuschauen.«
»Auch eine Folterkammer?«, fragte Kai ganz begierig.
Thomas nickte. Er hatte sich gedacht, dass es den Jungen Freude bereiten würde, so etwas kennenzulernen. Ihn selbst aber erinnerte es an seine Jugendzeiten. Er hatte damals schon beim Anblick der Geräte eine Gänsehaut bekommen.
Als Thomas seinen Kopf zur Seite wandte, merkte er, dass Robins Augen traurig auf ihm ruhten. Der Junge hatte sich an seiner anderen Seite niedergelassen und schien bis vor Kurzem mit Nick in die Landkarte geschaut zu haben. Nun wirkte er plötzlich wie verloren.
Thomas ahnte, was in ihm vorging. Die enge Verbundenheit zwischen Kai und ihm musste Robin wehtun. Nur noch drei Wochen würde Kai mit ihm auf Sophienlust sein, dann würde Robin allein sein.
Thomas winkte Robin zu sich. »Sei nicht traurig, dass unsere kleine Reise bald zu Ende geht, Robin. Wenn du willst, begleitest du uns nächstes Jahr wieder. Und über Weihnachten bist du ja bestimmt bei deiner Mutter. Dann sind wir wieder Nachbarn.«
Robin senkte den Kopf. »Mhm«, machte er.
»Au backe, prima!« Kai hob den Kopf und blickte Robin mit einem wilden Ausdruck an. »Weißt du, was wir dann machen? Wir bauen eine Folterkammer bei uns im Keller. Wir können ja jetzt auf der Burg genau sehen, wie das gemacht wird. Und dann rächen wir uns an den bösen Kerlen aus der Tranzgasse.«
Robin musste lächeln. Er verstand sehr gut, dass Kai diesen dummen Vorschlag machte, um ihn aufzuheitern. Aber so richtig klappte das nicht.
Angesichts des Fehlschlags fuhr Kai noch aufgeregter fort: »Die braten wir dann und vierteilen sie. Vorher nehmen wir ihnen aber das Geld ab, das …«
»Halt die Klappe«, sagte Robin schnell. Er hatte Angst, Kai könnte sich verplappern.
Es war schon zu spät. Thomas war neugierig geworden. »Was habt ihr denn für Feinde in der Tranzgasse?«, fragte er interessiert. »Das ist doch eine etwas verrufene Gegend. Wohnen da etwa Klassenkameraden von euch?«
Kai sah Robin an. »Ja«, log er schnell. »Ganz fiese Kerle mit sehr viel Taschengeld. Es quillt ihnen nur so aus den Taschen.«
Nick lachte. »Du übertreibst mal wieder. Und abnehmen lassen die es sich bestimmt nicht.«
»Haha«, protzte Kai und machte ein ganz gefährliches Gesicht. »Darum foltern wir sie ja zuerst.«
»Ach, hör doch auf mit deinen Angebereien, Kai. Die Geschichte glaube ich dir nun wirklich nicht.« Nick legte die Karte zusammen und schickte einen verächtlichen Blick zu Kai. »Alles ganz schön. Aber dein sensationelles Großstadtleben besteht ja doch nur in deiner Fantasie.«
Das wiederum konnte Kai sich nicht bieten lassen. Schließlich wollte er nicht gerade vor seinem Vater sein Gesicht verlieren.
»Nichts ist mit Fantasie«, begehrte er trotzig auf. »Alles, was ich dir erzählt habe, stimmt!«
»Ja, ja …« Nick legte sich zurück, verschränkte die Arme unter dem Kopf und blinzelte in die Sonne. »Nichts wie Räubergeschichten mit käuflichen Mädchen, Zuhältern und Gangstern.«
Robin wandte den Kopf von einer Seite zur anderen. Er beobachtete Nick, dann Kai. Sein Freund wurde puterrot und schwieg.
Thomas hatte sich aufgesetzt und starrte seinen Sohn an. »Was erzählst du da? Was sind das nun wieder für üble Geschichten?«
»Nichts, Papi. Gar nichts«, stammelte Kai. Auch Nick schwieg nun. Thomas aber nahm sich vor, dieser recht abenteuerlichen Sache auf den Grund zu gehen. Er kannte Kai als einen fantasievollen Schlingel, der gern übertrieb, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass Kai nun schon Märchen aus diesem Milieu erfand. Deshalb nahm er sich vor, ein Wort unter Männern mit ihm zu reden. Schon an diesem Abend, sobald sie Quartier in einem Gasthof bezogen hatten.
Kurze Zeit später schleppten sie ihre Rucksäcke über eine kleine gewundene Treppe unter das Dach eines Wirtshauses. Hier oben in den Mansardenzimmern gab es rotweiß-karierte Bettwäsche, eine alte Waschkommode mit Schüssel und Krug und knarrende Dielen.
»Heute Nacht schläft Kai bei mir«, verkündete Thomas. »Nick wird sich mit Robin und Barri begnügen.« Er lachte, aber ihm entging nicht, wie traurig der Freund seines Sohnes ihn ansah. »Hast du Angst, dass Barri schnarcht?«, fragte er Robin.
Da lachte der Junge kurz auf. »Nein, Herr Platen.« Er drehte sich um und verließ das Zimmer. Thomas sah nicht mehr, welchen bitteren Blick er seinem Sohn zuwarf.
»Warum darf