Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
eine Schwester möchte ich auch mal haben, Mami.«
Barbara sah ihn an und schwieg. Robin wusste doch, dass das ganz unmöglich war. Warum sagte er so etwas? War es nicht schon schwer genug für sie, ihren Sohn unter Titas strenger Erziehung leiden zu sehen, während sie hinter dem Geld herhetzte?
»Warum bist du so lange nicht gekommen, Mami? Ist Peter Knoll etwa wieder aufgetaucht?«
»Nein, Robin.«
Der Junge kannte die wirklichen Beweggründe von Peter Knolls Verschwinden genauso wenig, wie sie wusste, woher Thomas diese merkwürdigen Dinge über ihren ehemaligen Freund erfahren hatte. Die Männer zwischen zehn und sechsunddreißig hatten Wort gehalten und geschwiegen.
Aber das war nicht der Grund, warum Barbara Thomas’ Haus seit den letzten Tagen mied. Sie wusste nun, wie sehr sie Kais Vater liebte. Zwischen ihr und ihm war ein Vertrauen entstanden, das weit über eine freundschaftliche Beziehung hinausging. Aber sie konnte sein dezentes Werben nicht ertragen. Seit Dinahs Tod war noch nicht einmal ein halbes Jahr vergangen. Würde es nicht so aussehen, als habe sie sich mit Robin in sein Herz geschlichen, um seine dritte Ehefrau zu werden? Barbara war viel zu stolz, um sich dieser Gefahr auszusetzen. Deshalb meinte sie Thomas meiden zu müssen.
»Aber du bleibst doch zum Essen, Mami?«
Barbara kam nicht dazu, diese Frage zu verneinen, denn aus der Küche erscholl ein lautes Gezeter.
»Weißkohl, habe ich gesagt, Kai, Weißkohl! Und nun bringst du mir Wirsingkohl! Was soll ich denn nun tun?«
»Aber der Wirsingkohl ist doch viel grüner? Da habe ich gedacht, er ist reifer als der weiße Kohl …«
Barbara musste hellauf lachen. Sie hielt sich an Robin fest, so viel Vergnügen bereitete ihr das komische Gespräch in der Küche.
Robin sah sie jedoch ernst an. »Das ist nicht zum Lachen, Mami. Tita ist immer ganz außer sich, wenn Kai etwas Falsches mitbringt.«
Eine Tür schlug im Haus zu, gleich darauf kam Frau Stubenweis mit dem Wirsingkohl in der Hand in den Garten gerannt.
»Nun sehen Sie sich das an, Frau Wirthner! Was der Junge mir da wieder anbringt! Ich kann mich auf gar nichts verlassen.«
Bei dem lauten Geschimpfe begann Susanne zu weinen. Es war ein herzzerreißendes Gewimmer, das aus dem Kinderwagen kam. Barbara lief sofort hin.
»Hier, halten Sie mal!« Tita drückte Barbara den Kohlkopf in die Hand und nahm das Baby liebevoll auf den Arm. Barbara lächelte, aber in ihrem Inneren entstand ein Gefühl der Eifersucht. Wie gern hätte sie Susanne selbst an sich gedrückt …
»Das kommt alles von dem dummen Kai, Susannchen«, tätschelte Tita das Baby. »Schon wieder hat er etwas Falsches besorgt.«
»So schlimm ist es doch nicht, Tita. Wirsingkohl ist etwas sehr Feines. Robin mag ihn gern. Nicht wahr, Robin?«
Barbara blickte sich um. Robin war verschwunden. Langsam folgte sie der Haushälterin, die den Kinderwagen in das Haus schob. Die Sonne war schon hinter den Bäumen verschwunden. Die Tage wurden kürzer, der Winter nahte.
Nachdenklich legte Barbara den Kohlkopf in die Küche und setzte schweigend Titas Bügelarbeiten fort. Ja, die gute Frau Stubenweis war überfordert. Susannchen brauchte ihr Recht und noch dazu sehr viel Liebe. Und Kai … Barbara setzte das Bügeleisen ab und zog den Stecker heraus. Leise ging sie die Treppe hinauf. Und während Hedwig Stubenweis mit Susanne scherzte und das Badewasser für sie einlaufen ließ, schritt Barbara auf Kais Zimmer zu.
Auf ihr zartes Klopfen öffnete Robin. Sie sah an ihm vorbei und erblickte Kai. Er hatte sich auf sein Bett gesetzt und den Kopf auf die Hände gestützt. Es sah aus, als weine er.
Barbara hatte Kai noch nie so gesehen. Mit einem ratlosen Blick sah sie Robin an. Der schloss die Tür und trat ihr auf dem Flur entgegen. »Kai weint, Mami. Du sollst es nicht sehen, sonst wird er noch trauriger. Er schämt sich, weil er dich doch so gern …«
»Lass mich zu ihm, Robin.«
Ihr Sohn schüttelte den Kopf. »Es geht nicht, Mami.«
»Und das alles wegen des Kohlkopfes?«
Robin nickte ernsthaft. »Das verstehst du nicht, Mami. Tita ist sehr lieb, aber sie schimpft zu viel mit Kai. Ich habe ja dich, aber Kai hat nur seinen Papi zum Liebhaben. Und Thomas fragt immer nur nach Susannchen.«
Barbara strich Robin übers Haar und sah durch das Fenster in den Garten. Sie wäre zu gern zum Essen geblieben und hätte alles mit liebender Hand in Ordnung gebracht. Aber dann würde sie wieder Thomas begegnen und sie wusste wirklich nicht, wie lange sie seiner liebevollen Art noch würde widerstehen können. Wieder stieg dieses quälende Gefühl der Scham in ihr auf. Sie konnte Thomas ihre wahren Gedanken nur verheimlichen. Dinahs Schatten stand noch über ihnen, und er war übergroß.
»Tröste Kai, Robin. Ich muss jetzt gehen.«
Er brachte sie zur Tür und geleitete sie zur Gartenpforte.
»Und wann kommst du wieder, Mami?«
»Besuche du mich morgen, Robin.«
Irgendetwas Dunkles und Trauriges huschte über sein Gesicht. Aber sie schloss die Augen davor. Nach einem flüchtigen Kuss eilte sie nach Hause. Sie wollte Thomas nicht begegnen.
*
»Wach auf, Mami, schnell!«
Barbara blinzelte gegen das Licht, das mitten in der Nacht in ihrem Schlafzimmer angeknipst worden war. Mühsam erkannte sie die Silhouette ihres Sohnes, der sich über sie beugte. Ihr Herz machte einen großen Satz. Dann richtete sie sich auf.
»Robin! Was machst du denn hier?« Ein Blick auf die Uhr verwirrte sie noch mehr. Es war halb eins.
Ihr Sohn hatte einen Wohnungsschlüssel von ihr bekommen, aber warum war er mitten in der Nacht bei ihr eingedrungen? Sie hatten sich doch erst vor ein paar Stunden getrennt?
»Es ist wegen des Kohls, Mami!«
»Was?« Barbara sah plötzlich ein wenig dumm aus. Sie fuhr sich mit den Händen durch ihr verwuscheltes Haar und räusperte sich den tiefen Schlaf aus der Kehle.
»Du musst sofort aufstehen, Mami. Kai will abhauen. Er will wieder zurück nach Sophienlust, weil Tita wegen des Kohls geschimpft hat. Er hat solche Sehnsucht nach Barri und den anderen in Sophienlust. Dort wurde ja auch nicht so viel geschimpft.«
Nun erst war Barbara hellwach. Sie sprang aus dem Bett, angelte einen dicken Pullover aus dem Schrank, wühlte ein Paar zerknautschte Jeans hervor und schlüpfte in aller Eile hinein.
»Woher weißt du, dass Kai fortlaufen will?«
»Er hat sich aus dem Zimmer geschlichen. Ich sollte mitkommen, wollte aber nicht. Dabei dachte ich, er würde es allein nicht tun. Dann konnte ich nicht einschlafen und habe schwaches Licht unten im Garten gesehen. Es kam aus der Garage. Kai pumpt sein Fahrrad auf.«
Barbara war schon auf dem Korridor. Sie holte ihren Trenchcoat von der Garderobe, kramte ihre Autoschlüssel aus ihrer Handtasche hervor und verließ eilig die Wohnung.
»Mit dem Fahrrad!«, schimpfte sie leise, als der Lift ihr nicht schnell genug kam. »Mit dem Fahrrad, so ein Unsinn!«
»Du musst Kai verstehen, Mami. Er ist so allein.«
»Er hat einen Vater, Robin. Einen sehr guten lieben Vater.«
Robin presste die Lippen aufeinander und sah sie verständnislos an. »Aber Thomas ist immer so schlecht gelaunt.«
»Ach, das ist doch gar nicht wahr«, entgegnete sie heftig, hielt ihm die Lifttür auf und drückte auf den Knopf, als könnte sie damit die Geschwindigkeit des Aufzugs erhöhen.
Robin lehnte sich gegen die Wand. Aus halb geschlossenen Augen sah er seine Mutter an. »Natürlich ist er manchmal schlecht gelaunt«, beharrte er auf seinem Standpunkt. »Wenn du da bist, nicht. Aber wenn du nicht