Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
gedient hatte, wie ein Atelier. Barbara fühlte sich wohl hier. Doch trotzdem ging ihre Arbeit an diesem Abend nicht voran. Sie hatte Thomas noch vor dem Essen klipp und klar erklärt, dass sie nicht die Patenschaft für Susanne übernehmen wolle. Es war ihr nicht entgangen, dass er dabei fast erleichtert aufgeatmet hatte.
»Das war ja auch nur eine Idee von Kai«, hatte er sich entschuldigt. »Wie ich meinen Sohn kenne, wird ihm noch jemand anders einfallen.«
Barbara war ein wenig überrascht gewesen. Im Innersten hatte sie gehofft, es würde aus diesem Anlass zu einer Aussprache zwischen ihnen kommen. Aber Thomas wich ihr – wie schon seit ihrer Ankunft in seinem Hause – merkwürdig freundlich aus.
Jetzt ließ Barbara ihren Bleistift auf ihre Zeichnung sinken und zündete sich eine Zigarette an. Wenn sie nicht genau wüsste, wie sehr ihre Gegenwart den Buben und Susanne half, würde sie sofort ausziehen, überlegte sie. Ja, sie liebte Thomas, obwohl er sich so verändert hatte. Sie begriff auch, dass sie Fehler begangen hatte. Es war nicht nur der flüchtige Kuss gewesen, es war auch ihr unüberlegter Entschluss, hierherzuziehen, tagtäglich mit ihm beisammen zu sein und ihre Gefühle für ihn verbergen zu müssen.
*
»Pst! Robin! Schläfst du schon?«
Zur gleichen Zeit schlich sich Kai in das Zimmer seines Freundes. Ohne viel Umstände zu machen, schlüpfte er zu ihm ins Bett.
»Sie will nicht, Robin.«
»Was will sie nicht?« Robin wusste sofort, wer gemeint war. ›Sie‹, das war seine Mutter, die von allen geliebte Barbara, die Frau, die auf fast unsichtbare Weise die Fäden in ihrer Hand hielt, an denen sie alle zappelten.
»Sie will nicht Taufpatin sein.«
Robins Gesicht drückte Enttäuschung und Wut aus. »Sie spinnt«, stieß er mit liebevoller Respektlosigkeit aus. »Weißt du auch, warum sie nicht will?«
Kai schüttelte den Kopf und räumte das Buch weg, in dem Robin noch bis vor Kurzem gelesen hatte. Es behinderte ihn bei seinen scharfen Überlegungen.
»Wahrscheinlich will sie von meinem Vater nichts mehr wissen. Das mit der Heirat wird nie was, sage ich dir.« Er sagte das mit einem so finsteren Gesichtsausdruck, dass Robin erschauerte.
»Meinst du, es war alles umsonst? Auch der Trick mit deiner Flucht nach Sophienlust?«
»Umsonst war es ja nicht. Sie hat mich geküsst und ist zu uns gekommen.« Kai kicherte glücklich. »Und Papi hat alles brav mitgemacht.«
»Aber nur, weil Tita an dem Tag gesagt hat, sie wolle nicht mehr bei uns bleiben.« Zu viel Triumph gönnte Robin Kai auch nicht.
Sie schwiegen einander an, jeder seinen Gedanken nachhängend.
»’ne neue Taufpatin hätte ich schon«, meinte Kai schließlich und kratzte sich wie ein Alter hinter dem Ohr. »Es könnte Tante Isi sein. Dann müsste sie uns bei der Taufe besuchen und Nick mitbringen.«
»Mensch, Klasse!« Robin stieß Kai so begeistert in die Seite, dass der fast aus dem Bett gefallen wäre. Dann aber wurde er skeptisch. »Meinst du, sie kommen wirklich? Nur wegen so einer Taufe von so einem kleinen Mädchen?«
»Natürlich kommen sie!«, empörte sich Kai. »Was muss denn sonst noch alles passieren, damit sie uns besuchen?«
»Hochzeit oder so etwas«, überlegte Robin laut. Dann überzog ein unheimlich raffiniertes Lächeln sein Gesicht. »Thomas wird ihnen schreiben, um sie einzuladen. Und dann – wenn der Brief fertig ist – sagen wir, wir wollen einen Gruß dazuschreiben. Dabei kritzeln wir einfach was darunter.«
»Was darunterkritzeln? Was denn?« Kai blickte seinen Freund ziemlich verständnislos an.
»Das fällt uns schon noch ein. Es muss etwas nahezu Kriminelles sein.«
»Oje«, stöhnte Kai. Dann verließ er Robins Bett ganz schnell, als würde ihm unheimlich bei so vielen heimtückischen Plänen, die vielleicht doch nichts nützten. Bis jetzt liebten Barbara und sein Vater sich immer noch nicht. Es war wirklich zum Verzweifeln. Aber noch war ja nicht aller Tage Abend.
*
»Sie kommen, Kai!«
Robin hatte am Vormittag des Tauftages oben an seinem Fenster Wache bezogen. Nun jubelte er, als der große Wagen Alexander von Schoeneckers vorfuhr und Denise, Nick und Henrik mit ihrem Vater ausstiegen. Kai trat neben Robin und blickte etwas besorgt hinunter. »Wenn es nur gutgeht, Robin. Wenn es nur gutgeht.«
Robin schneuzte sich. Seine Begeisterung schien nun auch in Furcht überzugehen. Aber dann sagte er mit kräftiger Stimme: »Quatsch, es muss einfach gutgehen. Schließlich vertragen sie sich doch gut. Wir kriegen eine deftige Abreibung, aber das macht nichts. Dafür haben wir hinterher auch richtige Eltern.«
»Und wenn sie sich nun nicht lieben wollen?« Kai war wirklich skeptisch. Ihm war zwischen Barbara und Thomas in letzter Zeit eine merkwürdige Spannung aufgefallen.
»Hauptsache, wir halten zusammen, Kai.« Robin klopfte seinem Freund, der nun endlich sein Bruder werden sollte, auf die Schulter. Sie trugen beide nagelneue Jacken, in denen sie sich noch gar nicht so recht wohlfühlten. Der Klaps war unter dem noch steifen Stoff kaum zu spüren.
Dann rannten sie die Treppe hinunter. In dem großen Wohnraum hatten sich schon einige Gäste versammelt. Mittendrin lag Susanne in ihrem Körbchen, das ihr nun schon fast zu klein wurde, genau wie die alte Bauernwiege. Sie sah sehr feierlich aus in ihrem langen spitzenbesetzten Batistkleid. Aber das kümmerte Susannchen wenig. Immer wieder grapschten ihre kleinen Hände nach der rosaroten Schleife auf ihrem Bauch. Dann sabberte sie das eine Ende nass.
»Aber Susannchen!« Barbara beugte sich über sie. In ihrem bordeauxroten eleganten Kostüm mit der weißen Seidenbluse sah sie heute besonders hübsch aus. Ihr Gesicht drückte in diesem Moment eine Zärtlichkeit für den kleinen Täufling aus, die alle Anwesenden rührte.
Thomas war mit den beiden Jungen hinausgegangen, um die Familie von Schoenecker zu begrüßen. Das Willkommen war herzlich, und über dem ganzen Haus lag eine feierliche Heiterkeit.
Von den anderen Gästen umringt, betrachtete Denise kurz darauf das kleine Mädchen, das sie an diesem Tag über das Taufbecken halten sollte. In ihren Augen standen Tränen. Sie erinnerte sich nun plötzlich an den Tag, an dem sie Kai die entsetzliche Nachricht von Dinahs Tod überbracht hatte. Es war ihr, als höre sie Frau Rennert wieder sagen: ›Wir wollen beten, dass dein Schwesterchen am Leben bleibt.‹
Susanne lächelte. Sie war nun ein halbes Jahr alt und schien es schon jetzt zu genießen, Mittelpunkt zu sein. Immer wieder versuchte sie, das eine Ende ihrer rosaroten Schleife in den Mund zu stecken.
»Das darfst du nicht!« Henrik hatte neugierig in den Babywagen gesehen und kam sich diesem Baby gegenüber wie ein Erwachsener vor.
Barbara lachte. Obwohl sie sich nicht ganz glücklich fühlte, heiterten die vielen netten Menschen sie auf. Die Zuneigung, die die Verwandtschaft Thomas Platens ihr entgegenbrachte, führte dazu, dass sie sich zum ersten Mal in der Villa Platen so ganz zu Hause fühlte. Doch Thomas wich ihr aus. Hatte er ihr nicht verziehen, dass sie die Patenschaft für Susanne nicht hatte übernehmen wollen?
»Und nun zu Ihnen, liebste Barbara!« Denise richtete sich auf und blickte Robins Mutter mit einem so unendlich lieben Blick an, dass Barbara ganz erstaunt war. Sekunden später fühlte sie sich von Denise ans Herz gedrückt. »Es ist die schönste Nachricht, die wir seit langem bekommen haben, Barbara. Wie glücklich werden die beiden Jungen sein, wieder richtige Eltern zu bekommen! Sie haben viel durchgemacht, aber ich glaube, Robin und Kai werden es Ihnen mit echter Dankbarkeit heimzahlen, wenn Sie erst einmal verheiratet sind.«
Barbara blickte sich unsicher und verwirrt um. Sie sah Thomas an, zwischen dessen Brauen sich eine steile Falte gebildet hatte. Es entging ihr auch nicht, dass Robin und Kai sich heimlich anstießen und ihre puterroten Köpfe zusammensteckten.
»Wir haben Ihnen ein Geschenk mitgebracht, Barbara.« Alexander