Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Abend käme, um seine kleine Tochter zu sehen. Von Peter Knoll sagte sie keinen Ton.
Nachdem Barbara geduscht, ihre Koffer ausgepackt und sich umgezogen hatte, machte sie sich auf den Weg. Sie hatte eines ihrer ganz neuen Kleider angezogen. Es war modisch so perfekt und von so ausgeklügelter Eleganz, dass sie damit ohne weiteres Dinah Platen hätte Konkurrenz machen können. Doch plötzlich schämte sie sich. Niemals hätte sie versucht, Dinah auszustechen. Sie wusste ja, wie sehr Thomas seine Frau geliebt hatte und ihr nachtrauerte.
Kurz entschlossen kehrte Barbara in die Wohnung zurück und wählte ein schlichtes Blüschen zu einem einfachen Rock. Wenn sie sich schon von Thomas Platen angezogen fühlte, so sollte er doch niemals erfahren, wie sehr sie ihn mochte.
»Sie sind allein?« Über das Gesicht Thomas Platens huschte so etwas wie ein erleichtertes Lächeln.
»Herr Knoll ist verreist«, log Barbara.
»Sehr lange oder nur heute?«
Barbara folgte Thomas ins Haus, ohne zu antworten. Von der großen Treppe herunter kam eine ältere, mütterlich aussehende Frau. In ihrem rundlichen Gesicht bildeten sich zwei lustige Grübchen, als sie Barbara freundlich begrüßte.
»Frau Stubenweis«, stellte Thomas vor. »Sie ist die Perle, die meiner kleinen Susanne die Mutter ersetzt.«
»Ich habe schon viel von Ihrem Sohn gehört, Frau Wirthner«, sagte Frau Stubenweis. »Kai und er sind wohl die dicksten Freunde?«
»Sie sind so dicke Freunde, dass man sie in Sophienlust kaum trennen kann«, antwortete Thomas. Dann führte er Barbara in das kleine helle Zimmer neben seinem Schlafzimmer, das früher das Boudoir seiner Frau gewesen war, nun aber als Babyzimmer diente.
In einer alten Bauernwiege lag Susanne. Mit klopfendem Herzen beugte Barbara sich herab, um das Baby genauer betrachten zu können. Dunkle dichte Wimpern säumten die geschlossenen Augen, ein zarter hellblonder Flaum bedeckte das kleine runde Köpfchen.
Barbara stellte überrascht fest, dass der Anblick dieses kleinen Wesens plötzlich alle Bitterkeit der letzten Wochen in ihr verschwinden ließ. Zaghaft strich sie mit dem Finger über eines der rosigen Fäustchen.
»Sie sieht Dinah sehr ähnlich«, flüsterte Thomas. »Sie hat die ganze Schönheit ihrer Mutter geerbt.«
Barbara konnte nicht antworten. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Wenn Dinah Platen dieses Kind gesehen hätte, ob sie dann immer noch so unglücklich über ihren Zustand gewesen wäre?
Ein heftiger Schmerz durchzuckte Barbara. Was würde sie dafür geben, dieses wonnige Baby wie eine Mutter im Arm halten zu dürfen? Wie gern hätte sie selbst noch ein Kind bekommen. Ein Kind, auf das sich ein Mann gefreut hätte.
Thomas Platen schien ihre Gedanken zu erahnen. »Kommen Sie, Barbara«, sagte er mit heiserer Stimme. »Unten wartet eine gute Flasche Wein auf uns. Ich bin sehr froh, dass Sie zu mir gekommen sind.«
Als sie dann in dem großen Wohnraum saßen und Hedwig Stubenweis sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, blickte Barbara ihren Gastgeber zum ersten Mal länger an. Thomas Platen hatte sich verändert. Er war ruhiger und entspannter geworden. Die Trauer um den Tod seiner Frau schien durch den Stolz auf seine kleine Tochter ausgeglichen worden zu sein. Aber er war auch älter geworden. Eine dunkle Hornbrille ließ sein Gesicht schmaler wirken, und zwischen Nasenflügeln und Mundwinkeln hatten sich zwei tiefe Falten eingegraben.
Thomas goss Barbara Wein ein und lehnte sich zurück. Durch die Gläser seiner Brille blickten seine klugen Augen sie aufmerksam an.
»Es gibt nun für mich keinen Grund mehr, Barbara, Kai weiterhin in Sophienlust zu lassen«, begann er, jedes Wort bedächtig aussprechend.
Barbara lauschte ihm mit äußerster Anspannung. Ihr war nicht entgangen, dass er sie schon zum zweiten Mal bei ihrem Vornamen genannt hatte. Während sie das Glas zu ihrem Mund führte, zitterte ihre Hand. Sie hoffte, dass er es nicht bemerken würde. Was geschah bloß mit ihr in seiner Gegenwart? Vergaß sie denn ganz, dass er erst seit Kurzem Witwer war? Konnte sie von einem Mann, der noch vor einem Monat voller Liebe an seiner Frau gehangen hatte, so verwirrt werden?
Während er weitersprach, senkte Barbara ihren Blick. Sie hob ihn erst wieder, als er fragte, ob es nicht auch ihr möglich sei, Robin wieder zu sich zu nehmen.
»Nein«, antwortete sie bestimmt. »Es geht nicht. Ich habe meine Position in unserem Betrieb sehr verbessert. Ich bin ständig auf Reisen.«
Lange sah er sie an. »Soll das heißen, dass Robin für immer in Sophienlust bleiben soll? Haben Sie keine Sehnsucht nach Ihrem Kind? Geht Ihnen die Karriere vor Ihr Mutterglück?«
»Nein, Herr Platen«, antwortete sie etwas energischer. »Aber ich muss schließlich Geld verdienen.«
Er stellte sein Glas ab und sah sie merkwürdig lächelnd an.
»Dann sollten Sie heiraten, damit Sie sich die Aufsicht über Robin mit Ihrem Mann teilen können. Aber«, fügte er fragend hinzu, »Herr Knoll scheint auch sehr viel unterwegs zu sein, nicht wahr?«
Barbara zwang sich zu einem Lächeln. »Genauso ist es«, log sie und versuchte seinem Blick auszuweichen.
»Wenn er einmal für längere Zeit in unserer Stadt ist, würde ich ihn gern kennenlernen, Frau Wirthner. Robin hat mir viel von ihm erzählt.«
Barbara bebte innerlich. Es war nicht nur deswegen, weil Thomas sie eben wieder bei ihrem Nachnamen genannt und damit eine gewisse Distanz zwischen ihnen geschaffen hatte. Sie fühlte sich auch in eine Sackgasse geraten, aus der es kein Zurück mehr gab. Sie konnte Kais Vater doch nicht anvertrauen, welchem üblen Gaunertrick sie aufgesessen war, dass Peter sie um einen großen Geldbetrag erleichtert hatte, dass sie eigentlich Anzeige bei der Polizei gegen ihn hätte erstatten müssen.
Barbara erhob sich, obwohl sie ihr Glas noch nicht ausgetrunken hatte. »Ich bin müde, Herr Platen, da ich erst heute aus Paris zurückgekehrt bin.«
Er stand vor ihr und blickte sie unendlich traurig an.
»Ich weiß«, entgegnete er ernst, »es ist nicht leicht, einer anstrengenden Tätigkeit nachzugehen. Wenn man dann erschöpft nach Hause kommt, fühlt man sich doppelt allein.«
Schweigend schritten sie zur Haustür.
»Ich werde Sie nach Hause geleiten, Barbara.«
»Nein, danke, ich gehe lieber allein.« Sie nickte ihm flüchtig zu und trat in die Dämmerung des Sommerabends hinaus.
Barbara hatte den Garten noch nicht verlassen, da hörte sie seine Stimme noch einmal. »Aber anrufen darf ich Sie doch, Barbara?«
Sie blieb stehen und blickte zurück. »Ja, Thomas.« Und sie war dankbar, dass die Entfernung zwischen ihnen bereits so groß war, dass er die Tränen nicht sehen konnte, die in ihren Augen standen.
*
Durch die hügelige Landschaft schlängelte sich eine schmale asphaltierte Straße. Sie führte an Wäldern und Wiesen vorbei, ließ den Blick auf Felder voll wogenden Korns frei und war wie geschaffen für eine sommerliche Radtour.
Thomas Platen unternahm sie in großer Begleitung. Er hatte nicht nur Kai, sondern auch Robin und Nick mitgenommen. Den Abschluss der Gruppe bildete Barri, der ihnen mit heraushängender Zunge folgte.
Die vier hatten viel zu lachen. Es waren wunderbare Tage gewesen, voller Heiterkeit und Harmonie. Thomas hatte nicht geahnt, wie schön so eine Fahrt sein konnte. Der Entschluss, Robin zu dieser Ferientour mitzunehmen, war ihm nach dem Treffen mit Barbara Wirthner gekommen. Er hatte ihr geglaubt, dass sie viel zu tun habe. An jenem Abend hatte sie merkwürdig nervös und unkonzentriert gewirkt, so ganz anders als sonst. Da er entschlossen gewesen war, Kai bald zu sich zu holen, hatte Robin ihm doppelt leidgetan. War es nicht seine Idee gewesen, die beiden Jungen in ein Heim zu bringen? Sollte Robin nun allein dort bleiben, während Kai die Geborgenheit seines Elternhauses genießen würde?
Thomas blickte zur Seite und sah Robin an. Sie bewältigten gerade eine