Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
bot. Mutter und Sohn gingen einträchtig nebeneinander her. Man merkte, dass es zwischen ihnen keine Heimlichkeiten oder Probleme gab. Denise von Schoenecker war ja auch glücklich verheiratet …
»Tante Isi ist schön, nicht wahr?« Heidi sah auffordernd Barbara an.
»Ja, Heidi, Denise von Schoenecker ist wunderschön.« Barbaras Blick hing voller Bewunderung an dieser damenhaften Erscheinung mit den dunklen Haaren und dem edlen gütigen Gesicht. Das Gelb des schwingenden Rockes leuchtete in der Sonne.
»Ich werde mich zum Abendessen umziehen, Robin«, beschloss Barbara. Sie hatte sich nach der entsetzlichen Erfahrung mit Peter Knoll gehen lassen. Das wusste sie. Aber trotzdem hatte sie eines ihrer wunderschönen Kleider mitgebracht, die Robin so gefielen.
»O ja, Mami, mach dich ganz schön!« Robin blinzelte sie an wie ein kleiner Kavalier. »Ich bringe dich auch in dein Zimmer.«
Er tat es und verließ dann diskret den Raum, als Barbara sich anschickte, sich umzukleiden. Robin wollte zu Kai und sich das Mitbringsel anschauen. Aber als er das Zimmer betrat, hockte Nick auf seinem Bett, sah ihn strafend an und sagte: »Du nervst deine Mutter ja ganz schön, Robin. Ich finde es nicht sehr nett, wie du sie ausfragst.«
»Ph!« Robin trat vor den Spiegel und fuhr sich mit seinem Taschenkamm durch das volle Haar. Das war die einzige Vorbereitung, die er zum Abendessen traf. Darin unterschied er sich nicht von den anderen Jungen seines Alters.
»Schließlich ist deine Mutter eine sehr junge patente Frau. Sie hat ein Recht auf ihr Privatleben. Irgendwann einmal wird sie doch heiraten«, begann Nick von Neuem. »Sie wird schon wissen, welchen Mann sie auswählt. Warum stellst du so böse Fragen, wenn sie dich besucht? Findest du das nett?«
Über den Spiegel hinweg trafen sich Robins und Kais Blicke. Zwischen ihnen war das Geheimnis über Peter Knoll zu einem festen Freundschaftsbund geworden. Keiner durfte davon erfahren. Auch Nick nicht, den sie so bewunderten.
»Meine Mutter hat ja auch zum zweiten Mal geheiratet«, fuhr der Fünfzehnjährige unbeirrt fort. »Da habe ich mich auch nicht eingemischt. Und mein Vater ist der beste Vater der Welt. Ich habe immer Vertrauen zu meiner Mutter gehabt.«
»Vertrauen!« Robin sprach es voller Bitterkeit aus. Nick ahnte ja nicht, wie sehr er seine Mutter liebte, wie es ihn quälte, dass sie sich mit diesem schrecklichen Menschen abgab.
»Ich werde sie nach dem Abendessen doch wieder fragen«, kündigte er trotzig an.
Das gefiel Nick überhaupt nicht. Die zarte Frau mit dem rötlichen Haar hatte ihm direkt leid getan, als sie Robins unangenehme Neugier über sich hatte ergehen lassen müssen. Er erhob sich und schimpfte: »Du bist richtig blöd, Robin. Aus dir spricht nichts als kleinliche Eifersucht. Später, wenn du groß bist, wird es dir einmal leidtun, dass du durch dein dämliches Verhalten das Lebensglück deiner Mutter zerstört hast.«
»Was geht dich das eigentlich an?« In Robins Augen glitzerten Tränen der Wut. »Kümmere dich doch um deine eigenen Angelegenheiten!«
Die Tür knallte, Robin hatte das Zimmer verlassen. Verblüfft starrte Nick ihm nach.
Kai hatte sich bis jetzt sehr intensiv mit dem Paket befasst, das Barbara ihm von seinem Vater mitgebracht hatte. Nun aber sah er den größeren Jungen an, als habe er schon lange auf eine Chance gewartet, Robin in Schutz nehmen zu können.
»Das mit Robin und Peter Knoll ist etwas ganz anderes, Nick«, erklärte er mit wichtiger Miene. »Was sich da abgespielt hat, verstehst du gar nicht. Schließlich leben wir in einer Großstadt. Da geschehen Dinge, die du dir nicht erträumst. Hier passiert ja nicht viel, aber bei uns …, huiii!« Er wedelte mit der Hand durch die Luft und zog die Augenbrauen hoch, um Nick den Geschmack des vermeintlich aufregenden Großstadtlebens hautnah zu vermitteln.
»Du spinnst ja!« Nick sprach es von oben herab aus, als habe er ein kleines Kind vor sich.
»Ich spinne überhaupt nicht!«, fuhr Kai auf. Und dann vergaß er alle seine guten Vorsätze und erzählte Nick von der aufregenden Nacht, in der er Peter Knoll zusammen mit Robin beobachtet hatte.
Nick glaubte ihm kein Wort. Die Geschichte hörte sich wirklich zu unmöglich an, und Barbara Wirthner machte so gar nicht den Eindruck eines Gangsterliebchens.
»Du spinnst«, wiederholte Nick verächtlich. »Oder du hast zu viele Krimis gelesen.«
Nick verließ kopfschüttelnd das Zimmer der beiden Jungen. Er hatte nicht einmal Lust, Robin nach dem Wahrheitsgehalt dieser Räubergeschichte zu fragen. Kai schwindelte eben ein bisschen, um ihm, dem Größeren, zu imponieren. Das taten alle mal. Es war kein Grund zur Beunruhigung.
*
Denise hielt ein Schreiben in der Hand und blickte vom Fenster des Biedermeierzimmers hinaus in den Park. Ihre Augen glänzten feucht, ihre Lippen bebten. Warum war immer sie es, die den Kindern so schreckliche erschütternde Mitteilungen machen musste? War es die Quittung dafür, dass sie so viele schöne Augenblicke beim Anblick der glücklichen Kinder auf Sophienlust erleben durfte?
Frau Rennert trat ein. »Sie haben mich rufen lassen, Frau von Schoenecker?«
Denise nickte. »Ja, Frau Rennert. Bitte, rufen Sie Kai Platen zu mir. Und bleiben Sie hier, wenn er kommt. Ich muss ihm eine entsetzliche Nachricht vermitteln …« Ihre Stimme zitterte.
Denise hatte Dinah Platen nicht kennengelernt, aber es tat ihr unsagbar weh, dass die noch so junge Frau einem Autounfall zum Opfer gefallen war. Kai hatte schon seine richtige Mutter verloren, und nun war auch seine Stiefmutter tot.
Wenige Augenblicke später stand Kai vor ihr. Strahlend sah er sie an. Es konnte seiner Ansicht nach nur eine angenehme Nachricht sein, die sie ihm ausrichten wollte. Bestimmt hatte sein Vater nun doch noch seinen Besuch angekündigt.
Denise setzte sich mit Kai und Frau Rennert auf das gemütliche Biedermeiersofa. Außer dem Schreiben Thomas Platens an sie hielt sie einen weiteren Umschlag in der Hand. Er war von Kais Vater direkt an seinen Sohn adressiert.
»Wir haben eine traurige Nachricht für dich, Kai. Deine Mutter …«
»Meine Stiefmutter«, verbesserte Kai unerbittlich. Ihm war dabei keine Furcht anzumerken.
»… deine Stiefmutter ist bei einer Autofahrt tödlich verunglückt, Kai.«
Ein bedrückendes Schweigen breitete sich aus. Denise ergriff Kais Hand und presste sie tröstend.
Kai blickte verstört auf das Muster des Teppichs. »Mein armer Papi«, sagte er schließlich und fast verärgert. »Mein armer Papi. Warum musste Dinah auch immer so verrückt fahren? Jetzt ist er wieder ganz allein.«
Frau Rennert und Denise sahen sich an. Kais kühle Reaktion wunderte sie. Der Tod Dinah Platens schien ihn gar nicht zu berühren. Trotzdem empfand Denise eine tiefgreifende Zärtlichkeit für den Jungen. Das Mitleid, das er für seinen Vater empfand, zeugte von einer innigen Verbundenheit mit ihm.
»Mein armer Papi«, wiederholte Kai nun. Dann rieb er sich die Augen mit beiden Händen und schluchzte plötzlich auf. »Nun ist er ganz allein, mein Papi. Nun ist er schon wieder allein. Meine richtige Mutti …«
»Kai, lieber guter Kai.« Denise umfasste ihn und schmiegte ihr Gesicht an seinen Kopf. »Ich weiß, was du nun empfindest. Ich würde dich auch gern trösten. Vielleicht beruhigt es dich zu wissen, dass dein Papi nicht ganz allein ist. Du hast ein Schwesterchen bekommen.«
Kai hob den Kopf. Seine Augen waren rot unterlaufen. »Ein Schwesterchen? Wieso? Von wem?«
»Von deiner Mutter …, von deiner Stiefmutter«, verbesserte Denise sich schnell, bevor Kai es wieder auf seine trotzige Art tun konnte. »Die Ärzte konnten das ungeborene Kind retten. Aber es ist noch sehr klein. Man weiß noch nicht, ob es durchkommt.«
Kais Lippen bebten. Mit einer ungeschickten Bewegung rang er die Hände. Auf einmal lächelte er mit feuchten Augen. Es war ein Augenblick, der Denise und Frau Rennert unsagbar naheging. So vieles hatten sie schon gemeinsam erlebt, aber