Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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Kai. »Ein richtiges Schwesterchen. So eine wie Heidi. Da wird Robin aber staunen.«

      »Wir wollen beten, dass dein Schwesterchen am Leben bleibt, Kai.« Es war Else Rennert, die das sagte.

      Überrascht, als habe er noch gar nicht begriffen, dass sein Schwesterchen in Lebensgefahr schwebte, sah Kai zu ihr auf. »Natürlich bleibt sie am Leben, Frau Rennert«, betonte er voller Überzeugungskraft. »Das geht doch gar nicht, dass sie auch noch stirbt. Das wäre doch eine ganz gemeine Ungerechtigkeit. Erst stirbt meine Mutti, dann Dinah und dann noch meine Schwester. Nein, das geht nicht. Das darf nicht sein.« Auf seiner Stirn bildeten sich feine Schweißperlen. Sein rundliches Gesicht drückte plötzlich eine namenlose Angst aus. »Sie darf nicht sterben. Papi ist doch ein so lieber Mensch. Warum soll er denn immer allein sein?« Nun kullerten doch einige Tränen an seinen Wangen abwärts. Diesmal bemühte er sich nicht, sie vor den beiden Damen zu verbergen.

      »Die Ärzte werden alles für das Baby tun«, versuchte Denise ihn zu beruhigen.

      Aber Kai schüttelte den Kopf, als misstraue er den Künsten der Mediziner. »Ich will sofort zu meinem Vater«, verkündete er entschlossen und erhob sich, als warte draußen bereits der Wagen auf ihn.

      Mit dem ihr eigenen Einfühlungsvermögen hielt Denise den Jungen liebevoll zurück. In dem Brief, den sie von Thomas Platen erhalten hatte, bat er sie, Kai weiterhin bei sich zu behalten, um ihm die Eindrücke einer Bestattung zu ersparen.

      »Dein Vater hat dir selbst geschrieben, Kai.« Sie reichte ihm den zweiten Umschlag. »Lies den Brief, bevor du einen Entschluss fasst. Er wird dir alles erklären.«

      Kai fasste nach dem Brief und ließ sich wieder auf dem Sofa nieder. Ungeschickt riss er schnell den Umschlag auf und überflog dann die Zeilen seines Vaters.

      Mit klopfendem Herzen beobachtete Denise, dass Kai die Lippen aufeinanderpresste und einzelne Tränen auf das Schreiben fielen. Dann ließ er sich vornübersinken und begann hemmungslos zu weinen.

      Sofort war Denise wieder bei ihm. »Willst du mir erzählen, was dein Vater schreibt, Kai? Wird es dir helfen, darüber zu sprechen?«

      Er nickte stumm. Sein Atem ging unruhig. Auf leisen Sohlen verließ Else Rennert das Zimmer. Nun war Kai mit Denise allein und begann zu sprechen: »Er muss jetzt immer im Krankenhaus sein, bei meiner Schwester. Später will er eine Pflegerin für das Baby suchen. Er hat große Sehnsucht nach mir, aber ich soll noch hierbleiben.«

      »Ja, Kai. Es wird am vernünftigsten sein. Sobald es dem kleinen Mädchen besser geht und dein Vater jemanden für die Pflege des Kindes gefunden hat, wird er dich bestimmt gleich besuchen.«

      »Ja, das schreibt er auch.« Kai atmete jetzt heftig ein und aus, als könnte er damit seinen Kummer vielleicht abstoßen.

      Frau Rennert kam zurück. Sie brachte ein großes Glas Zitronenlimonade. Sie wusste, dass Kai dieses köstliche Getränk über alles liebte. Wortlos stellte sie es vor ihn hin.

      Leise klirrten die Eiswürfel. Kai blickte die Heimleiterin voller Dankbarkeit an. Dann ergriff er das Glas und trank einen großen Schluck.

      »Sie heißt Susanne«, sagte er danach leise. Ein zartes Lächeln ließ sein bubenhaftes Gesicht wieder aufleuchten. »Sie heißt Susanne, und Papi schreibt, es ist ein Wunder, dass sie lebt.«

      Denise fuhr ihm übers Haar und nickte wortlos.

      »Finden Sie, dass Susanne ein schöner Name für meine Schwester ist, Frau Rennert?«

      »Ja, Kai.«

      »Ich auch.«

      Obwohl Kais Augen noch verschwollen und verweint aussahen, strahlte nun wieder so etwas wie Daseinsfreude aus ihnen. Denise und Frau Rennert blickten sich an. Sie würden nicht so schnell vergessen, was sich an diesem Sommernachmittag hier abgespielt hatte.

      *

      In dem schwarzen Kleid aus fließender Seide wirkte Barbara noch schmaler als sonst. Ihr Gesicht war blass, das rote Haar darüber schien wie eine Flamme zu lodern, denn die Sonne brannte erbarmungslos auf die Ansammlung von dunkel gekleideten Menschen herab.

      Die Begräbnisfeierlichkeiten für Dinah Platen gingen ihrem Ende zu. Die nächsten Verwandten und Freunde von Thomas Platen hatten bereits ihr Schäufelchen Erde auf den Sarg geworfen. Nun folgten einige sehr große schlanke Damen, die alle ausnehmend elegant gekleidet waren. Es waren die Kolleginnen von Dinah, die ihr die letzte Ehre erwiesen.

      Barbara stand hinter ihnen. Auch sie wollte an dem Grabe vorbeigehen und der jungen Frau, die sie selbst dann noch bewundert hatte, wenn ihr das Verständnis für die Launen des ehemaligen Mannequins gefehlt hatte, einen kleinen Strauß weißer Rosen auf die letzte Ruhestätte legen.

      Aber nun plötzlich konnte sie sich nicht überwinden, vor das Grab zu treten, Thomas Platen in die Augen zu schauen und ihm die Hand zu reichen. Eine merkwürdige Scheu überkam sie. Sie ließ die nachrückende Trauergemeinde an sich vorübergehen und blickte starr auf den großen Mann, der dort gebeugten Hauptes an dem Grab seiner zweiten Frau stand. Die grauen Strähnen in seinem Haar schienen sich in den letzten Tagen verdoppelt zu haben.

      Barbara ergriff ein unsagbares Mitgefühl mit ihm. Dinah Platen hatte ihn zuletzt geradezu tyrannisiert. Der jungen schönen Frau war die ganz normale Schwangerschaft zur Qual geworden. Sie hatte einzig und allein ihrem Mann die Schuld an der Deformierung ihres eleganten Körpers gegeben. Warum hatte sie sich nicht auf das Kind freuen können? Hatte sie wirklich nicht für einige Monate das Opfer bringen können, einen runden Bauch vor sich herzuschieben und stolz die Blicke der anderen hinzunehmen? Musste es nicht wunderbar sein, ein Kind zu erwarten, auf das der Vater sich freute?

      Barbara wusste nicht, was sie davon abhielt, auf Thomas zuzugehen. Sie entschloss sich, hinter einem Baum zu warten, bis sich die Ansammlung zerstreute. Dann wollte sie ihren Strauß auf Dinahs Grab tragen.

      Barbara wollte sich gerade abwenden, als Thomas Platen seinen Kopf hob und ihr mit einem merkwürdig bittenden Ausdruck in die Augen sah. Barbara erwiderte seinen Blick. Dann aber drehte sie sich abrupt um und verschwand zwischen den schwarzgekleideten Menschen. Sie ahnte, dass Thomas mit ihr sprechen wollte. Für Kai gab es nun keinen Grund mehr, länger in Sophienlust zu bleiben. Bedeutete das nicht, dass sie nun auch Robin heimholen konnte?

      Barbara schritt langsam nach Hause. Mit ihrem dunklen Kleid wirkte sie auf der Straße wie verloren. Erschöpft von der Hitze betrat sie ihre Wohnung und kleidete sich um. Sie war gerade im Begriff, an Robin einen längeren Brief zu schreiben, in dem sie ihm erklären wollte, warum es für ihn nötig sei, noch einige Zeit in Sophienlust zu bleiben, als das Telefon klingelte.

      Es war ihr Chef. Er wusste, dass sie sich freigenommen hatte, um zu einer Beerdigung zu gehen. Trotzdem musste er dringend mit ihr sprechen.

      Barbara nickte und presste den Hörer des Telefons fest an ihr Ohr, aus Angst, etwas von seinem Angebot könnte unklar bleiben. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich eine triumphierende Freude ab. Das Lächeln auf ihren Lippen wurde immer stärker.

      »Natürlich mache ich das, Herr Tromann«, sagte sie. »Auf diese Chance habe ich schon lange gewartet. Wann soll es losgehen?«

      *

      Kai und Robin waren auf einen hohen Baum geklettert. Von hier aus hatten sie einen wunderbaren Ausblick auf das Herrenhaus, die Stallungen und den Park.

      »Wenn ich noch höher steige, kann ich vielleicht bis nach Schoeneich gucken«, überlegte Robin laut. Er hockte ein paar Äste höher als Kai und war auch wendiger. Bei solchen Unternehmungen machte es sich bezahlt, dass er einige Pfunde weniger wog.

      Kai gluckste vor Lachen. »Du willst doch nur Ausschau halten, damit du den Briefträger rechtzeitig entdeckst, Robin.«

      Der Freund schüttelte den Kopf. »Meine Mami ist bestimmt noch in Paris. Ich habe doch erst vorgestern die tolle Karte mit dem Eiffelturm bekommen. Sie kann noch gar nicht wieder geschrieben haben.«

      »Mein Papi schreibt ja jetzt ziemlich viel«, gab Kai bewundernd zu. »Man merkt so richtig, dass er mich braucht.«


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