Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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Nina. Bist du fertig? Ich habe nur wenig Zeit. Zwar ist heute Samstag und kein Termin auf dem Gericht. Aber ich habe noch viel zu tun.«

      »Ich bin gleich fertig, Vati. Aber warum ist Mutti denn nicht mitgekommen?«

      Dr. Peter Hille wich den großen fragenden Kinderaugen aus. »Sie konnte nicht mitkommen, Nina. Ich erzähle dir alles später.« Er begrüßte nun Denise und dann die Heimleiterin. Schwester Regine war schon in das erste Stockwerk des Herrenhauses, in dem sich die Schlafzimmer der Kinder befanden, hinaufgelaufen, um Ninas restliche Sachen einzupacken.

      Den beiden Damen entging nicht die Nervosität des Besuchers und das unruhige Flackern in seinen Augen. Denise hätte zu gern erfahren, was geschehen war. Dass etwas geschehen war, stand für sie nach dem Verhalten Dr. Hilles fest. Aber sie war viel zu diskret, um Fragen zu stellen.

      Peter Hille dachte jedoch nicht daran, etwas zu sagen. Für ihn schien es eine Qual zu sein, mit den beiden Frauen beisammen sein zu müssen. Während des Gesprächs über alltägliche Dinge blickte er zwischendurch immer wieder ungeduldig auf seine Armbanduhr.

      Unterdessen verabschiedete sich Nina von allen in Sophienlust. Niemanden vergaß sie, auch nicht die Huber-Mutter, eine uralte Frau mit seherischen Fährigkeiten, die ihren Lebensabend in einem hübschen Zimmer des Herrenhauses verbrachte.

      »Meine Mutti ist nicht mitgekommen«, erzählte sie allen mit traurigen Augen. »Aber bald sind wir ja in Frankfurt. Dort sehe ich sie dann wieder.«

      Als Nina endlich neben ihrem Vater im Auto saß und so lange zurückwinkte, bis sie nichts mehr von Sophienlust sehen konnte, meinte Nick sehr nachdenklich zu seiner Mutter: »Irgendetwas ist bei den Hilles geschehen. Hast du nicht auch das Gefühl?«

      »Leider habe ich das gleiche Gefühl, mein Sohn.«

      »Ich glaube auch, dass Nina bald wieder zu uns zurückkommen wird. Vielleicht ist ihre Mutti schwer krank geworden?«

      »Hoffentlich nicht, Nick.«

      »Ich hoffe das auch nicht, Mutti. Aber ich spüre, dass auf Nina daheim ein großer Kummer wartet.«

      *

      Damit sollte Nick recht behalten.

      Nina gab es auf, während der Fahrt weitere Fragen nach ihrer Mutter zu stellen. Ihr Vati gab ihr keine Antwort. Mit zusammengezogenen Brauen saß er am Steuer und blickte mit finsteren Augen auf den Verkehr. Ganz fremd kam er ihr vor. Sonst war er immer zu fröhlichen Späßen aufgelegt gewesen. Wie lustig war dagegen die Fahrt nach Sophienlust gewesen, dachte Nina traurig. Damals hatten sie unterwegs in einem hübschen Restaurant zu Mittag gegessen. Mutti und Vati hatten viel gelacht. Auch sie selbst hatte gelacht, obwohl ihr Herz sehr schwer gewesen war, weil sie sich doch für so viele Wochen von ihren Eltern trennen musste.

      Aber die folgenden Wochen waren sehr schnell vergangen. Denn jeder Tag in Sophienlust hatte neue Erlebnisse gebracht. Ja, es war wunderschön in dem Kinderparadies gewesen.

      Allmählich verblassten Ninas Erinnerungen an die herrliche Ferienzeit. Dafür trat die Sorge um ihre geliebte Mutti wieder in den Vordergrund. Unaufhörlich geisterten ihre Gedanken um sie. Als der Wagen endlich den stillen Frankfurter Vorort erreichte, klopfte ihr Herz zum Zerspringen. Dann fuhren sie durch die Villenstraße, in der das Haus ihrer Eltern stand.

      Nina richtete sich halb auf, als sie durch das offenstehende Tor fuhren. Kaum hielt der Wagen, kletterte sie auch schon heraus.

      »Nina, so warte doch!«, rief ihr Vater hinter ihr her.

      Nina hörte seinen Ruf nicht einmal. Sie lief die wenigen Stufen zur Haustür hinauf, öffnete die Tür. »Mutti! Mutti!«, rief sie aufgeregt. »Mutti, ich bin da!« Sie durchsuchte zuerst die unteren Räume, übersah die mitleidigen Blicke des Hauspersonals, als sie die Treppe hinauflief.

      Mit hängenden Schultern kam Nina wenige Minuten später wieder die Treppe herunter. Sie sah ihren Vater, das Hausmädchen Wally und die Köchin Agi durch den Schleier ihrer Tränen in der Wohnhalle stehen. Angst schnürte ihr die Kehle zu.

      »Wo ist Mutti?«, fragte sie ganz leise. Dabei liefen ihr helle Tränen über das Gesicht.

      »Nina, Mutti ist nicht da.« Peter Hille fasste seine Tochter bei der Hand und ging mit ihr in sein Arbeitszimmer.

      »Wann kommt sie wieder, Vati?« Nina ließ seine Hand nicht los, als sie sich setzte.

      »Sie kommt nicht mehr wieder, Nina.«

      »Nicht mehr wieder? Aber das geht doch nicht, Vati!«, rief das Kind erregt. Jetzt erst ließ es die Hand des Vaters los. »Warum kommt sie nicht wieder?«

      »Du musst jetzt ein vernünftiges kleines Mädchen sein«, erwiderte Peter heiser. »Deine Mutti hat mich nicht mehr lieb. Sie ist zu einem anderen Mann gegangen, den sie lieber hat als mich und auch lieber als dich. Sonst wäre sie bei uns geblieben.«

      »Aber das geht doch nicht«, wiederholte Nina fassungslos.

      »Ach, mein Kind, du hast keine Ahnung, was alles geht.« Peter Hille seufzte tief auf und zündete sich dann eine Zigarette an.

      »Aber ich will zu meiner Mutti.« Nina weinte leise.

      »Das ist nicht möglich, Nina.«

      »Aber ich habe sie doch so lieb, Vati.« Ninas Schluchzen wurde lauter. »Wo ist sie denn?«

      »Ich kann dir das nicht sagen, Nina.«

      »Dann weißt du es nicht?« Aus großen verweinten Augen sah Nina zu ihm auf.

      »Nein, ich weiß es nicht.« Das stimmte natürlich nicht. Peter wusste nur zu genau, wo Linda war. Aber Nina durfte das niemals erfahren. Jedenfalls nicht, solange sie noch so klein war.

      Das Telefon läutete.

      Als Peter den Hörer wieder auf die Gabel legte, sagte er: »Nina, ich muss noch einmal fort. Ich bin mit einem Klienten verabredet. Am Montag ist schon die Verhandlung.«

      »Ja, Vati, geh nur.« Nina stand auf.

      »Ich …« Sie konnte nicht weitersprechen und lief aus dem Raum.

      Peter atmete schwer auf. Nina tat ihm unendlich leid. Aber sie würde vergessen. Eines Tages würde sie einsehen, dass er richtig gehandelt hatte, als er sich geweigert hatte, Linda das Kind zu überlassen.

      Schweren Herzens verließ er die Villa. Wally und Agi bemühten sich rührend um das einsame kleine Mädchen, doch Nina war für jeden Trost unansprechbar. Sie weinte sich an diesem Abend in den Schlaf. Sie bemerkte nicht, dass ihr Vater noch einmal zu ihr ins Zimmer kam und eine Weile an ihrem Bett stand. Bevor er wieder ging, küsste er sie sanft auf die Stirn und sagte: »Schlaf gut, mein kleines Mädchen.«

      Wieder lag ein einsamer Abend vor ihm, an dem er von seinen quälenden Vorstellungen verfolgt wurde. Er sah Linda in den Armen des anderen, hörte ihr zärtliches Lachen, ihre weiche Stimme.

      »Was habe ich nur falsch gemacht, dass sie mich um des anderen willen verlassen hat?«, fragte er laut in die Stille des Raumes hinein. »Was nur?«

      Er vergrub sein Gesicht in den Händen. Es war wohl ein Fehler gewesen, dass er kaum Zeit für Linda gehabt hatte. Linda hatte sich gelangweilt. War es aber wirklich so gewesen? Sie hatte doch einen großen Haushalt und eine kleine Tochter, die sie liebte. Allerdings nicht so stark liebte, dass sie ihretwegen auf den anderen Mann hatte verzichten können.

      *

      Nina erwachte am Morgen von einem Geräusch. Sie setzte sich in ihrem Bett auf und stellte fest, dass es in Strömen regnete. Auch war sie fast ein wenig verwundert darüber, dass sie nicht mehr in Sophienlust war.

      Dann fiel ihr alles wieder ein. Ihre Mutti war nicht mehr da, und ihr Vati wusste nicht, wo sie war, sodass sie sie nicht einmal besuchen konnte.

      Nina stand auf und wusch sich. Dann schlüpfte sie in ihre Jeans und einen Pulli, den sie in der Kommode fand. Sonst war sie viel eitler, aber an diesem Tag war es ihr gleichgültig, wie sie aussah. Mit der Bürste fuhr sie sich


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