Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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Staffelei.

      Hasserfüllt blickte Linda auf seinen breiten Rücken. Dann lief sie ins Schlafzimmer, um sich in Windeseile anzuziehen. Doch als sie endlich die Wohnung verlassen konnte, war es zu spät. Weit und breit war nichts mehr von Nina zu sehen. Schluchzend kehrte sie in die Atelierwohnung zurück.

      Tonio tat sein Benehmen inzwischen schon leid. Sein heftiges unbeherrschtes Temperament ging immer wieder mit ihm durch. Er zog Linda an sich.

      »Lass mich!«, stieß sie schluchzend hervor. »Alle lassen mich im Stich, und nur deshalb, weil ich geglaubt habe, dich zu lieben.«

      »Nur geglaubt, Linda? Wir benehmen uns wie kleine Kinder. Dabei sind wir erwachsene Leute.« Er küsste ihr die Tränen fort. »Verzeih mir, mein Liebling. Aber manchmal kenne ich mich selbst nicht mehr. Ich liebe dich. Du musst viel Geduld mit mir haben.« Er küsste sie wieder.

      Noch einmal bäumte sich Linda innerlich gegen ihre unselige Liebe zu Tonio auf. Aber er hielt sie so fest, dass sie kaum atmen konnte. Sie hörte den gleichmäßigen Schlag seines Herzens und war glücklich.

      »Nina muss durch die ganze Stadt fahren«, sagte sie, als er sie auf die Arme nahm und zur Couch trug.

      »Nina ist neun Jahre alt. Sie hat allein hergefunden und wird auch wieder nach Hause finden, Linda. Vergiss jetzt alles. Denk nur an mich.«

      »Ach, Tonio …«

      »Du bist schön, Linda. Du bist die schönste Frau, die ich kenne. Ich werde dich malen. So, wie du jetzt bist.« Entzückt betrachtete er ihren wunderschönen Körper. »Als Gott dich erschuf, war er in bester Stimmung. Keinen Makel gibt es an dir. Auch dein Gesicht ist klassisch schön. Ich liebe dich.«

      Linda vergaß tatsächlich wieder alles um sich herum, als Tonio sie verlangend küsste.

      *

      Die beiden ahnten nicht, dass Nina auf der Treppe einem ungefähr vierundzwanzigjährigen Mädchen in die Arme gelaufen war. Die junge Dame hieß Lucy Snyder und war gebürtige Amerikanerin. Ihre Eltern waren Iren, die vor ungefähr einem Vierteljahrhundert nach Amerika ausgewandert waren. Lucy sah wie eine echte Irin aus. Sie hatte lange rotblonde Haare und tiefblaue Augen. Sie war sehr reizvoll. Aber so etwas bemerkte ein kleines neunjähriges Mädchen natürlich nicht, besonders dann nicht, wenn es so viel Kummer hatte wie Nina.

      Lucy besaß ein mitfühlendes Herz und hatte Kinder auch sehr gern. Dass die Kleine aus der Atelierwohnung ganz oben gekommen war, hatte sie noch mitbekommen. Tonios Stimme würde sie unter Tausenden herauskennen. Als er mit dem kleinen Mädchen gesprochen hatte, war sie auf halber Treppe abwartend stehengeblieben. Dann war sie nicht mehr dazu gekommen, eine Entscheidung zu treffen, weil das Kind schluchzend die Treppe heruntergekommen war.

      Nun hielt Lucy die Kleine fest an sich gedrückt und wartete darauf, dass deren Tränen versiegten. Behutsam führte sie sie aus dem Haus.

      Nina wischte sich mit dem Handrücken über die verweinten Augen und sah Lucy groß an. »Wer sind Sie?«, fragte sie scheu.

      »Ich heiße Lucy Snyder.«

      »Sie sprechen genauso wie die Amerikanerin, die bei uns in der Schule ist.«

      »Ich bin Amerikanerin, mein Kleines. Und wie heißt du?«

      »Nina Hille. Ich … Ja, ich wollte Onkel Tonio besuchen, weil ich ihn liebhatte und weil ich ihn nach Mutti fragen wollte. Mutti hat uns nämlich verlassen.« Nina fing wieder zu weinen an. »Mutti ist bei Onkel Tonio. Sie hat nur einen Schlafrock angehabt. Und Onkel Tonio hat Mutti Vati und mir fortgenommen. Ich mag ihn nicht mehr.«

      »Sei ruhig, mein Kleines.« Lucy öffnete die Tür des Leihwagens. »Steig ein, Nina, ich bringe dich nach Hause.«

      »Aber Vati und Mutti haben mir verboten, zu jemandem ins Auto einzusteigen.« Ihre Augen richteten sich abschätzend auf die junge Amerikanerin. »Aber ich finde, Sie sehen lieb aus.« Kurz entschlossen stieg sie doch ein.

      Lucy lächelte, als sie sich ans Steuer setzte. Dabei war ihr alles andere als zum Lachen zumute. Ninas Worten hatte sie entnehmen können, dass die Mutter der Kleinen Tonios Geliebte war.

      Tonio Bertoldi! Hatte sie tatsächlich an seine Treueschwüre geglaubt, damals in Paris, als er ihr eingeredet hatte, sie sei die Frau, auf die er ein ganzes Leben lang gewartet habe?

      »Ich wohne in Sachsenhausen. Das ist …«

      »Ich kenne Sachsenhausen. Trotzdem wäre es nett, wenn du mir ein wenig den Weg erklären würdest. Dann brauche ich nicht so oft zu fragen«, versuchte Lucy das Kind abzulenken.

      Nina vergaß wirklich für ein Weilchen ihren großen Kummer. Erst als sie vor dem Gartentor der elterlichen Villa standen, dachte sie wieder an ihre Mutti und an Onkel Tonio.

      »Auf Wiedersehen«, sagte sie leise und reichte der netten jungen Dame die Hand.

      »Auf Wiedersehen, kleine Nina.« Lucy strich ihr zärtlich über die Wange. »Vielleicht wird alles wieder gut für dich.«

      Heftig schüttelte Nina den Kopf. Dann lief sie in den Garten hinein. Lucy wartete noch, bis das Kind im Haus verschwunden war. Dann wendete sie den Wagen und fuhr zu ihrem Hotel zurück.

      Auf der langwierigen Fahrt durch die Innenstadt irrten Lucys Gedanken immer wieder von dem Verkehr ab. Sie musste sich gewaltsam zwingen, aufzupassen.

      Tonio! Geliebter Tonio! dachte sie.

      Lucy hatte Tonio auf einer Ausstellung im Herzen von Paris kennengelernt. Tonio hatte in einer Galerie auf den Champs-Elysees einige seiner Gemälde ausgestellt. Lucy verstand immerhin so viel von der modernen Malerei, dass sie sofort die Begabung dieses eigenwilligen Künstlers erkannt hatte.

      Tonio hatte hinter ihr gestanden, als sie wie fasziniert vor einem seiner Bilder gestanden hatte. »Gefällt es Ihnen?«, hatte er sie neugierig gefragt.

      Überrascht hatte sie sich umgedreht. Als sie in die grauen Männeraugen geblickt hatte, war eine heiße Welle durch ihren Körper geschossen. »Sehr«, hatte sie mit einem kleinen Lächeln geantwortet. »Ich würde den Künstler gern kennenlernen.«

      »Das haben Sie schon getan.« Amüsiert hatte es in seinen Augen aufgeblitzt.

      Lucy war noch niemals schwer von Begriff gewesen. »Dann sind Sie Tonio Bertoldi«, hatte sie festgestellt. »Dem Namen nach habe ich Sie für einen Italiener gehalten. Aber nun sehe ich, dass ich mich getäuscht habe.«

      »Wieso wollen Sie so genau wissen, dass ich kein Italiener bin? Vielleicht bin ich einer.«

      »Das sehe ich doch.« Ihr Lächeln hatte sich vertieft. »Sie sind …« Ihre feinen Brauen hatten sich zusammengezogen. »Lassen Sie mich mal raten. Sie sprechen so gut Französisch, dass ich … Ich habe es! Sie sind Deutscher.«

      »Erraten. Und Sie sind entweder Engländerin oder Amerikanerin.«

      »Letzteres. Aber meine Eltern sind Iren. Demnach wäre auch ich eine waschechte Irin, obwohl ich in den Staaten geboren bin.«

      »Und wie heißen Sie?«

      »Lucy Snyder.« Sie lachte wieder. »Und wie heißen Sie in Wirklichkeit?«, hatte sie auf deutsch gefragt.

      »Also, Deutsch können Sie auch. Sie scheinen ein Sprachphänomen zu sein.«

      »Kunststück, ich studiere Sprachen. Also …«

      »Mit richtigem Namen heiße ich schlichtweg Anton Berthold. Ich komme aus Bayern.«

      »Aus München? Ich liebe München.«

      »Ja, ich bin in einer Münchener Klinik geboren, aber auf dem Land aufgewachsen.«

      Das fröhliche Geplänkel zwischen ihnen war auch nicht abgerissen, als sie gemeinsam die Galerie verlassen hatten und die Champs-Elysees entlanggeschlendert waren. Von diesem Tag an hatten sie sich täglich gesehen. Lucy hatte Tonio von der ersten Stunde an geliebt. Vier glückliche Wochen hatten sie miteinander verlebt. Dann hatten sie sich mit dem Versprechen getrennt,


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