Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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Verwirrung hatte Hanna, des Lügens ungewohnt bestätigt, dass ihr Mann in der fraglichen Nacht nicht zu Hause gewesen war. Er hatte ihr gegenüber behauptet, dass er Wachdienst im Zoo habe. Das stellte sich nun als Unwahrheit heraus. Auch wusste sie nicht genau, woher er das Geld für verschiedene Neuanschaffungen gehabt hatte. Georg Pflug hatte von einer Gehaltsnachzahlung gesprochen, die er in Wirklichkeit gar nicht erhalten hatte.

      Für die arme Hanna war die ganze Welt zusammengebrochen. Der Mann, dem sie ihr Lebensglück anvertraut hatte und dessen Namen sie trug, war ein Gewohnheitsverbrecher! Ein Ohnmachtsanfall hatte sie für den Augenblick von ihrer Qual erlöst. Der Beamte hatte dafür gesorgt, dass sie in ärztliche Obhut gekommen war.

      Im Krankenhaus hatte Hanna nach einigen Tagen erfahren, dass es Georg Pflug gelungen war, sich der Verhaftung durch die Flucht zu entziehen. Sie war mehrmals vernommen worden. Man musste ihr jedoch glauben, dass sie ahnungslos gewesen war. Ihr Entschluss, sich von Pflug scheiden zu lassen, stand fest, obwohl sie inzwischen ein Kind erwartete.

      Die Scheidung war ihr jedoch erspart geblieben. Einige Monate nach seiner Flucht war Georg Pflug, der sich unter falschem Namen einer wissenschaftlichen Expedition nach Afrika angeschlossen hatte, ums Leben gekommen. Hanna hatte die Nachricht durch die Behörden erhalten. Man hatte ihr ein Foto gezeigt, und sie hatte bestätigt, dass es sich um Georg Pflug handle. Daraufhin war der Totenschein ausgestellt worden, den sie mit Erleichterung entgegengenommen hatte. Sie hatte ihrem Schöpfer gedankt, dass dieses schlimme Kapitel ihres Lebens beendet war. Niemals sollte ihr Kind erfahren, dass sein Vater ein Gesetzesbrecher gewesen war, dem sie blindlings vertraut hatte.

      Die richtige Liebe aber hatte Hanna erst dann kennengelernt, als sie Klaus Martell begegnet war. In seinen Armen hatte sie das Glück gefunden. Doch bisher hatte sie diesem fanatischen Ehrenmann verschwiegen, was es mit Georg Pflug auf sich hatte.

      Hanna wagte es nicht, sich zu rühren, um Klaus nicht zu wecken. Warum musste sie gerade nach diesem wundervollen Festabend an die unselige Vergangenheit denken? Besaß der Tote noch immer Macht über sie, sodass eine flüchtige Ähnlichkeit alles wieder heraufbeschwören konnte?

      Ich habe ihn niemals geliebt, überlegte sie. Ich suchte einen Menschen, der gut zu mir war. Mir wäre leichter ums Herz, wenn ich einmal offen mit Klaus darüber sprechen könnte. Aber ich weiß nicht, wie er es aufnehmen würde. Er hat schrecklich starre Begriffe von Moral und Ehre.

      Würde er Antje genauso lieben, wenn er wüsste, dass ihr Vater einen schlechten Charakter hatte und ein Dieb war? Es war eine Frage, auf die Hanna keine Antwort fand. Sie versuchte krampfhaft, sich das Gesicht des Fremden zu vergegenwärtigen. Er hatte eine große Sonnenbrille getragen, trotz des künstlichen Lichts am Abend. Doch das taten andere Leute auch. Denn Sonnenbrillen waren die große Mode. Der gepflegte Bart des Unbekannten hatte seine Gesichtsform ebenfalls undeutlich gemacht. Nein, es war einfach unmöglich zu entscheiden, ob sie sich die Ähnlichkeit mit Georg Pflug nur einbildete oder ob sie tatsächlich vorhanden war.

      Hanna tat in dieser Nacht kein Auge zu. Am Morgen, als Klaus erwachte und sie ahnungslos anlächelte, fühlte sie sich krank und elend wie in den Tagen nach der Fehlgeburt. Trotzdem behauptete sie, gut geschlafen zu haben. Sie duschte kalt, doch mit wenig Erfolg. Am liebsten hätte sie sich gleich wieder ins Bett gelegt, um nichts zu hören und nichts zu sehen.

      Beim Frühstück brachte Hanna nur eine Tassse Tee hinunter. Nervös hielt sie nach dem Unbekannten Ausschau, konnte ihn jedoch nirgends entdecken. Teils empfand sie deswegen Erleichterung, teils beunruhigte es sie, denn sie suchte nach Klarheit und Gewissheit. Hätte sie sich überzeugen können, dass die Ähnlichkeit nur in ihrer Einbildung bestand, wäre ihr wohler gewesen.

      Die beiden Wolfsens setzten sich auch an diesem Tag wieder zu ihnen. Man sprach vom vergangenen Abend und von der unmittelbar bevorstehenden Landung in Tanger. Im Gegensatz zu Klaus und Hanna Martell wollten Thomas und Michaela sich an dem Landausflug beteiligen. Sie versprachen sich ein Abenteuer davon.

      »Es soll hier Schmuggler, Rauschgift- und Mädchenhändler an jeder Straßenecke geben«, behauptete Michaela mit glitzernden Augen.»Wahrscheinlich ist das übertrieben. Aber ich möchte mir die Sache ansehen. Ich hab’s ganz gern, wenn mir mal die Gänsehaut den Rücken herunterläuft.«

      Hanna konnte in das fröhliche Lachen der anderen nicht einstimmen. Sie verspürte nicht die geringste Lust, das angebliche Piraten- und Verbrechernest zu besichtigen.

      Endlich brach das jüngere Ehepaar auf, um sich für den Landausflug fertigzumachen. Hanna und Klaus beschlossen, auch diesen Vormittag am Schwimmbecken zu verbringen, denn es war heiß und sonnig.

      Allmählich wurde Hanna ruhiger. Auf dem bequemen Liegestuhl, dessen Sonnendach angenehmen Halbschatten spendete, schlummerte sie ein wenig ein. Später schwamm sie mit ihrem Mann und stellte fest, dass sie ihr seelisches Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Doch auch beim Lunch hielt sie wieder aufmerksam nach dem Unbekannten Ausschau, aber er tauchte nicht auf.

      Am Nachmittag zeigte sich deutlich, dass die meisten Passagiere an Land gegangen waren. Das Schiff wirkte menschenleer. Hanna und Klaus Martell tranken in einem der vielen Aufenthaltsräume Tee und vergnügten sich später beim Tischtennis, wo man sonst ziemlich lange warten musste, bis man einen freien Tisch bekam. Doch an diesem Tag waren sie die einzigen Spieler.

      »Tut es dir nicht leid, dass du zurückgeblieben bist?«, fragte Hanna ihren Mann. »Vielleicht bietet Tanger allerlei.«

      »Ich genieße diesen Tag«, antwortete der Professor. »Abenteuerhungrig bin ich nicht. Der Zweck dieser Reise war für uns in erster Linie das Ausruhen. Du darfst nicht glauben, dass ich dir zuliebe auf den Landausflug verzichtet hätte.«

      »Dann ist es gut, Klaus. Gibst du mir jetzt Revanche? Ich möchte es noch einmal versuchen.«

      Wieder flogen die weißen Bälle über den grünen Tisch. Obwohl der Professor volle zwölf Jahre älter war als seine Frau, schlug er sie auch diesmal überlegen.

      Auch beim Abendessen gehörte der Speisesaal den Martells und einigen anderen Passagieren mehr oder minder allein, denn die Ausflügler wollten auch das nächtliche Treiben in Tanger genießen.

      Neben dem Gedeck des Professors lag ein Häufchen Post.

      »Aha, das ist mit der Luftpost nach Tanger gegangen. Lass sehen. Ja, hier ist ein Brief von Antje.«

      Hanna öffnete den Umschlag mit den kindlichen Schriftzügen ihrer Tochter. Sechs Luftpostbogen hatte Antje gefüllt. Sie berichtete begeistert von allem, was sie in Sophienlust erlebte.

      »Du musst es selbst lesen, Klaus. Antje kann schon mit den anderen Kindern ausreiten, schreibt sie. Im Tierheim bei Andrea von Lehn scheint sie völlig zu Hause zu sein. Die Schule gefällt ihr. Von Sehnsucht oder Heimweh steht kein Wörtchen in dem Brief. Beinahe könnte ich auf Frau von Schoenecker eifersüchtig werden.«

      Der Professor hatte seine übrige Post nur flüchtig angesehen. Es war nichts Wichtiges dabei. So griff er nach Antjes Brief und las ihn mit lächelnder Aufmerksamkeit.

      »Die Liebe zu den Tieren ist ein schönes Erbteil von ihrem Vater«, meinte er. »Ich freue mich, dass Antje in dieser Hinsicht in Sophienlust auf ihre Kosten kommt.«

      Hanna nickte. »Wir sollten ihr zum nächsten Geburtstag einen Hund oder ein Kätzchen schenken. Was meinst du?«

      »Wenn sie sich das wünscht? Warum nicht?«

      Ich kann wieder ganz ruhig über das sprechen, was früher war, dachte Hanna. Was war nur gestern mit mir?

      In diesem Augenblick trat der Unbekannte in den Speisesaal und ging an seinen Platz. Das Licht fiel voll auf sein Gesicht. Wieder trug er die dunkle Brille. Und der sorgsam gepflegte Bart verdeckte völlig die Form seines Mundes und des Kinns.

      Er sieht Georg Pflug gar nicht ähnlich!, stellte Hanna erleichtert fest. Was habe ich mir nur eingebildet? Ich bin immer noch mit den Nerven herunter.

      Sie ließ sich vom Steward den Teller ein zweites Mal füllen und leerte ihr Weinglas dazu in durstigen Schlucken. »Gehen wir nachher in die kleine Bar auf dem A-Deck?«, fragte sie unternehmungslustig.


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