H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells
ist das Pflanzenreich auf dem Mars, statt als vorherrschende Farbe das Grün zu besitzen, stark blutrot gefärbt. Auf alle Fälle brachten die Samen, welche die Marsleute absichtlich oder zufällig mitführten, ohne Ausnahme rotfarbige Pflanzen hervor. Indessen konnte nur jene Pflanze, die im Volksmunde als »rotes Gewächs« bekannt wurde, neben den irdischen Arten Ausbreitung gewinnen. Die rote Saitingpslanze4 besaß nur ein vorübergehendes Wachstum und nur wenige Leute haben sie gesehen. Eine Zeit lang jedoch wuchs das »rote Gewächs« mit erstaunlicher Kraft und Üppigkeit. Es breitete sich über die Ränder der Grube am dritten oder vierten Tag unserer Gefangenschaft aus, und seine kaktusartigen Zweige legten sich wie Fransen um den Mauerrahmen unseres dreieckigen Fensters. Später fand ich es allenthalben im Land verbreitet, ganz besonders dort, wo sich fließendes Wasser befand.
Die Marsleute besaßen, was man ein Hörwerkzeug nennen kann, eine einzige runde, trommelartige Fläche am Rücken ihres Kopfleibes, außerdem auch Augen von einer Sehbeschaffenheit, die sich von der unseren nicht sehr unterschied; außer dass, nach Philips, die Farben Blau und Violett ihnen als Schwarz erschienen. Man nimmt allgemein an, dass sie durch gewisse Laute und Bewegungen ihrer Tentakeln miteinander verkehrten; dies wird zum Beispiel in jener, von einer fähigen, aber oberflächlichen Hand verfassten Schrift behauptet (die offenbar von jemandem geschrieben ist, der kein Augenzeuge der Handlungen der Marsleute war); ich habe auf diese Schrift als die bisher verlässlichste Quelle für jene Ereignisse hingewiesen. Nun aber hat wohl kein überlebender Mensch so viel von den in Tätigkeit begriffenen Marsleuten gesehen wie ich. Ich bin weit entfernt, mich dieses Zufalles zu rühmen, aber es ist eine Tatsache. Und ich darf wohl behaupten, dass ich von Zeit zu Zeit sie scharf beobachtet habe und dass ich vier, fünf und einmal sechs von ihnen gesehen habe, wie sie mit äußerster Schwerfälligkeit die allerfeinsten und mühsamsten Arbeiten gemeinsam verrichteten, ohne jeden Laut, ohne jede Gebärde. Ihr eigentümliches Geheul ging ausnahmslos nur ihren Mahlzeiten voran. Es war durchaus eintönig und bedeutete, wie ich glaube, auf keinen Fall ein Signal, sondern einfach den Austritt von Luft, der den Vorgang der Bluteinführung einleitete. Ich kann einen gewissen Anspruch auf eine wenigstens oberflächliche Kenntnis von Psychologie erheben, und, was diese Frage betrifft, so bin ich überzeugt — so fest wie man nur von einer Sache überzeugt sein kann — dass die Marsleute ohne jede physische Vermittlung ihre Gedanken austauschten. Davon bin ich trotz einer starken Voreingenommenheit überzeugt. Vor dem Einfall der Marsleute habe ich nämlich, wie sich ein gelegentlicher Leser vielleicht hie und da erinnern wird, mit einiger Heftigkeit gegen die telepathische Theorie geschrieben.
Die Marsleute trugen keinerlei Kleidung. Ihre Begriffe von Schmuck und Anstand waren notwendig von den unseren verschieden. Auch waren sie offenbar nicht nur gegen den Witterungswechsel viel weniger empfindlich, als wir es sind, und dieser scheint ihre Gesundheit überhaupt nicht ernstlich gefährdet zu haben. Aber wenn sie auch keine Kleider trugen, so waren es doch jene anderen künstlichen Zutaten ihrer körperlichen Fähigkeiten, in denen ihre große Überlegenheit über die Menschen bestand. Wir Menschen mit unseren Fahrrädern und Schlittschuhen, unseren Flugmaschinen, Flinten und Stöcken und so weiter, stehen gerade an der Schwelle jener Entwicklung, welche die Marsleute bereits hinter sich haben. Sie sind tatsächlich eine bloße Gehirnmenge geworden, besitzen Körper, die ihren Bedürfnissen angepasst sind, genau so wie Menschen ihre Stoffanzüge tragen, oder nach dem Fahrrad greifen, wenn sie in Eile sind, oder nach dem Regenschirm, wenn es regnet.
In Bezug auf die Hilfsmittel der Marsleute ist für die Menschen vielleicht nichts wunderbarer als die merkwürdige Tatsache, dass ihnen jener Mechanismus, der der irdischen Technik das hervorragendste Gepräge verleiht, vollständig fehlt: das Rad. Unter allen den Dingen, die sie auf die Erde mitbrachten, ist nicht die leiseste Spur zu entdecken, die den Gebrauch von Rädern andeutete. Man hätte es wenigstens als Fortbewegungsmittel erwarten können. In diesem Zusammenhang schalte ich die sonderbare Beobachtung ein, dass selbst auf unserer Erde die Natur niemals auf das Rad abzielte, oder irgendwelche Voraussetzungen zu einer Entstehung schuf. Und die Marsleute kannten entweder das Rad nicht (was ich für unwahrscheinlich halte) oder sie benützten es nicht. Jedenfalls ist in ihren Werkzeugen die fixe oder die relativ fixe Achse mit den um sie herum stattfindenden, kreisenden Bewegungen auffallend wenig in Verwendung. Fast alle Glieder ihrer Maschinen stellen ein verwickeltes Gefüge von schleifenden Teilen dar, die sich auf kleinen, aber prächtig geschwungenen Reibestützen bewegen. Und da ich schon bei diesen Einzelheiten bin, will ich noch hervorheben, dass die langen Hebelarme ihrer Maschinen in den meisten Fällen mittels einer Art Scheinmuskulatur von Scheiben in elastischen Scheiden in Bewegung gesetzt werden; diese Scheiben werden polarisiert und dicht und mächtig zusammengezogen, wenn ein elektrischer Strom durch sie geleitet wird. Auf diese Weise entstand die merkwürdige Ähnlichkeit mit animalischen Bewegungen, die auf den menschlichen Beobachter so auffallend und verwirrend wirkte. Solche Quasimuskeln fanden sich besonders häufig bei der krebsähnlichen Hebemaschine, die ich beobachtete, wie sie während meines ersten Ausblicks aus der Mauerspalte den Zylinder auspackte. Diese Maschine glich unendlich mehr einem lebenden Wesen, als die wirklichen Marsleute, die drüben im Licht der untergehenden Sonne lagen, heftig keuchten, ihre Tentakeln zwecklos ausstreckten und sich nach ihrer unermesslichen Reise durch den Weltraum nur mühsam bewegen konnten.
Während ich noch ihre schwachen Bewegungen im Sonnenlicht beobachtete und mir jede seltsame Einzelheit ihrer Erscheinung genau einprägte, erinnerte mich der Kurat dadurch an seine Anwesenheit, dass er mich heftig am Arm zerrte. Ich wandte mich um und erblickte sein mürrisches Gesicht und seine schweigend beredten Lippen. Er wollte jetzt wieder an die Spalte, die nur einem zur Zeit hinauszuspähen gestattete; und so musste ich einige Zeit lang meine Beobachtungen aussetzen, während der Kurat sich seines Vorrechtes erfreute.
Als die Reihe wieder an mich kam, hatte die geschäftige Hebemaschine bereits einige der Gegenstände, die sie aus dem Zylinder hervorgeholt hatte, zu einem Apparat zusammengefügt, der eine unverkennbare Ähnlichkeit mit ihrer eigenen Form besaß. Und weiter unten zur Linken tauchte jetzt ein kleines grabspatenartiges Werkzeug auf, das Strahlen grünen Dampfes ausstieß und sich seinen Weg rund um die Grube herum bahnte, indem