Gertrudas Versprechen. Ram Oren

Gertrudas Versprechen - Ram Oren


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mit ihr nach Paris zum Kleiderkauf bei berühmten französischen Modeschöpfern. Doch nichts half, Lydias seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen. Sie sprach kaum noch, war bleich wie ein Gespenst und hatte an nichts mehr Interesse. Mehrfach hegte sie Selbstmordgedanken. Ohne ein eigenes Kind, das wusste sie, war ihr Leben leer und sinnlos. Freunde redeten ihnen zu, über eine Adoption nachzudenken, und Jacob hätte sich sogar mit dem Gedanken anfreunden können. Doch für Lydia kam so etwas nicht in Frage. Sie wollte ein leibliches Kind.

      Umso größer war – nach zehn langen Jahren der Unfruchtbarkeit – bei Lydia und den Ärzten die Überraschung, als sie eines Tages feststellte, dass sie schwanger war. Von dem Augenblick an war Lydia wie verwandelt. Ihre Augen begannen wieder zu leuchten, ihr ganzes Gesicht strahlte, ihr Gang war aufrecht und beschwingt, und in das herrschaftliche Haus am Fluss war das Lachen zurückgekehrt. Eine Krankenschwester wurde eingestellt, die während Lydias gesamter Schwangerschaft Tag und Nacht für sie da war. Der Arzt kam täglich, um sie zu untersuchen.

      Lydia und Jacob Stolowitzkys Tochter wurde zu Hause geboren, in einer rauen Winternacht. Sie lebte nur wenige Tage. Nach ihrem Tod war das Ehepaar fest entschlossen, es noch einmal zu versuchen, und begab sich erneut in Behandlung. Dann, Mitte Februar 1936, wurde ihnen ein Sohn geschenkt. Die Geburt verlief ohne Komplikationen und war leichter, als Lydia zu hoffen gewagt hatte. Sie war so glücklich wie nie zuvor im Leben.

      Sie nannten den Jungen Michael, nach dem Engel Gottes, der das Böse besiegte, als Sinnbild der göttlichen Gnade.

      Jacob ging in die Synagoge, dankte dem Schöpfer und spendete eine beträchtliche Summe für die Armen. Lydia saß selig an der Wiege ihres Sohnes, lachte und weinte abwechselnd und betrachtete ihn, als könne sie das Wunder noch immer nicht begreifen. Michael bekam ein fürstlich eingerichtetes Kinderzimmer, und eine Kinderfrau war rund um die Uhr für seine Bedürfnisse da. „Er ist mein Prinz, mein Ein und Alles“, sagte Lydia bei der Einstellung der Kinderfrau. „Passen Sie gut auf ihn auf und lassen Sie ihn niemals aus den Augen.“

       Die Erpressung

      1.

      Wie ein Kind sein Lieblingsstofftier streichelt, so pflegte der neunundzwanzigjährige Emil mit seinen kräftigen Händen über die Radkappen des weißen Cadillac zu streichen. Er trug seine schwarze Chauffeurlivree und eine weiße Schirmmütze. Emil war Pole und katholisch, groß und dunkel und der Chauffeur der Familie Stolowitzky. Für seine treuen Dienste wurde er mit den Dingen honoriert, die ihm am wichtigsten waren: ein guter Lohn, ein warmes Zimmer und drei Mahlzeiten am Tag.

      Der Cadillac rollte über eine von Schlaglöchern durchsetzte Landstraße, doch die erstklassige Federung fing die schlimmsten Stöße ab. Sie hatten die Stadtgrenze Warschaus bereits weit hinter sich gelassen, und Emil warf zwischendurch einen Blick auf seine Arbeitgeber hinten im Fond. Jacob Stolowitzky, ein kleiner, drahtiger, nervös wirkender Mann von sechsunddreißig Jahren in Jagdkleidung und Lederstiefeln, rauchte eine dicke Zigarre. Daneben seine Frau Lydia, vierunddreißig und schön wie eine Prinzessin in ihrem schneeweißen Kleid, die ihn bat, mit dem Rauchen aufzuhören. Und ihr zweijähriger rotwangiger Sohn Michael, der in seinem maßgeschneiderten kleinen Anzug still an einem Stück Schokolade kaute. Vorn auf dem Beifahrersitz saß die Kinderfrau, Martha.

      Martha war dreißig Jahre alt, eine schmale junge Frau mit ernstem Gesicht. Sie kümmerte sich gut um Michael, lehrte ihn Gehorsam, Manieren und Höflichkeit, spielte mit ihm und brachte ihm viele Dinge bei. Die Eltern waren zufrieden mit ihr. Sie erzogen Michael liebevoll und sorgten dafür, dass es ihm an nichts mangelte. Es verging keine Stunde, in der Lydia nicht mindestens einmal nach ihm schaute, ihn in die Arme nahm und küsste und sich nach seinem Befinden erkundigte. Sie wusste, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach keine weiteren Kinder mehr zur Welt bringen würde. Nach Meinung der Ärzte war eine dritte Schwangerschaft zu risikoreich, und Lydia und ihr Mann waren überzeugt, dass Michael ihr einziger Erbe sein würde.

      Müde und zufrieden ließ sich die Familie in den weichen Ledersitzen der amerikanischen Limousine durch die Landschaft schaukeln, voll Vorfreude auf einen sorgenfreien Urlaub in ihrer ländlichen Sommerresidenz.

      Die Straße führte durch verschlafene Städte und ärmliche Dörfer. Bauern blickten erstaunt auf, als das prunkvolle Auto vorbeifuhr, der einzige Cadillac in ganz Polen. Jacob Stolowitzky streifte sie mit gleichgültigem Blick. Seine Frau cremte sich die zarten Hände mit einer duftenden französischen Hautcreme ein. Michael klebte am Fenster und musterte die Leute in schäbigen Kleidern, die ihrem Auto hinterherstarrten, als käme es von einem anderen Stern. Sie waren anders als die Leute, die er zu Hause in der Ujazdowska-Allee sah, Fremde in seiner Welt, so wie er ein Fremder in der ihrigen war.

      Wie sein Vater war Jacob ein guter Geschäftsmann, klug und vorausschauend. Er verstand es, die familieneigenen Unternehmen zu vergrößern, erwarb Kohle- und Eisenminen, Häuser und Ländereien, unterzeichnete Partnerverträge mit Firmen in aller Welt und war Arbeitgeber für Hunderte von Angestellten. Einen Großteil seines Geldes legte er bei Schweizer Banken auf geheimen Nummernkonten an, wobei er stets einen Teil an Wohltätigkeitsorganisationen spendete. Abgesandte aus Israel, die nach Polen kamen, wurden im Hause Stolowitzky großzügig beherbergt und fuhren nie mit leeren Händen zurück. Hin und wieder versuchten sie, Jacob zu überzeugen, mit seiner Familie ins Gelobte Land überzusiedeln. „Was soll ich denn in Israel?“, pflegte er zu antworten. „Ich bin zufrieden hier.“

      Das Leben meinte es gut mit ihm in Polen. Er und seine Familie pflegten einen Lebensstil, der für die meisten Menschen unerreichbar war. Die Stolowitzkys konnten so viele Bedienstete einstellen, wie sie wollten; sie konnten in den Metropolen Europas einkaufen, teuren Schmuck und elegante Kleider tragen und jedes Frühjahr mit ihrer Luxusjacht auf der Adria segeln, einmal sogar mit dem Herzog von Windsor und seiner Geliebten, Mrs Simpson.

      In ihrem herrschaftlichen Haus veranstalteten sie rauschende Bälle, luden die polnische Elite und berühmte Gäste aus dem Ausland ein. International bekannte Künstler traten in dem großen Ballsaal auf. Ihre Urlaube verbrachten sie gern auf ihrem Sommersitz, einem wunderschönen Gut zwei Autostunden von Warschau entfernt.

      Der malerische Landsitz war von dichtem Wald umgeben und grenzte an einen idyllischen kleinen See. Auf dem weitläufigen Gelände hatten die Stolowitzkys parkähnliche Gärten sowie Obst- und Gemüseplantagen anlegen lassen. Mitten im Wald, auf einer Lichtung, befanden sich geschmackvolle Holzhäuser für die Familie und ihre Gäste sowie für das Personal, das ganzjährig dort wohnte, um die Gebäude instand zu halten.

      Endlich waren sie am Ziel. Zwei bewaffnete Wachmänner beeilten sich, das schwere Eisentor zu öffnen, und verbeugten sich, als der weiße Cadillac an ihnen vorüberfuhr. Vor dem größten Holzhaus hielten sie an und stiegen aus. Emil nahm wie immer den kleinen Michael auf die Schultern und galoppierte mit ihm zum Haus. Nachdem der Chauffeur das Kind in der geräumigen Diele abgesetzt hatte, ging er in den Garten und pflückte einen Blumenstrauß für Lydia. „Nie vergessen Sie die Blumen“, pflegte sie zu sagen und dankte ihm mit einem warmen Lächeln, während er ihr galant den Strauß überreichte. Jacob lächelte ebenfalls und klopfte dem Chauffeur anerkennend auf die Schulter.

Images

       Jacob Stolowitzky, Juli 1929

      „Wie könnte ich sie jemals vergessen“, erwiderte Emil mit schmeichelnder Stimme. „Gnädige Frau sind wie eine Mutter zu mir.“

      Die betagte Haushälterin begrüßte die Familie mit unterwürfigen Verbeugungen und sorgte dafür, dass das Gepäck ausgeladen und auf die Zimmer gebracht wurde. Die Räumlichkeiten waren schlicht, aber edel möbliert, die Betten mit schneeweißen Laken bezogen und mit weichen Daunendecken bestückt. Durch die geöffneten Fenster wehte der würzige Duft von Tannennadeln. Das Rauschen des Waldes, begleitet von einer Symphonie der Vogelstimmen, drang an das Ohr. Die Sonne lachte von einem wolkenlosen blauen Himmel herunter. In den gepflegten Gärten leuchteten die Blumen.

      Das Personal hatte bereits vor der Ankunft der Familie emsig Vorbereitungen


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