Projekt Unicorn. Gene Kim

Projekt Unicorn - Gene Kim


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Brille. Er trägt ein Skateboard-T-Shirt, und ein mürrischer Blick, der wie eingefroren wirkt, dominiert sein Gesicht.

      Aufgrund seiner Verschrobenheit wettet Maxine, dass er ein leitender Entwickler ist – für eine längere Zeit in einem Projekt wie Phoenix zu stecken, scheint von den Menschen Tribut zu fordern.

      Jemand aus dem vorderen Teil des Raums beginnt zu antworten – sie erkennt William, den supernetten Direktor der QA, der sich wirklich bemüht hat, ihr zu helfen. »Sehen Sie«, sagt er, »unsere Teams hinken beim Testen immer weiter hinterher, deshalb waren wir uns alle einig, dass wir, um unsere Termine einzuhalten, die Arbeit an den Environments vernachlässigen würden – die Auslieferung vollständig getesteter Funktionen sollte Vorrang haben. Wir wussten alle, dass sich dadurch die Vorlaufzeiten für die Bereitstellung von Umgebungen für unsere Teams verlängern würden. Glauben Sie mir, meine Teams sind davon genauso schwer betroffen wie Ihre – auch QA braucht Umgebungen, in denen sie testen kann.«

      Der übellaunige Entwickler antwortet sofort: »William, du wurdest reingelegt. Das war eine verheerende Entscheidung – eine Katastrophe. Maxine hat recht, Entwickler brauchen die passenden Umgebungen, um produktiv zu sein. Sie sollten ein ganzes Team damit beauftragen, den Prozess der Umgebungserstellung zu fixen. Ich arbeite in drei Projekten, die Staging-Umgebungen benötigen, und wir warten bereits monatelang. Das ist so wichtig, dass ich am liebsten freiwillig mithelfen würde«, sagt er.

      »Verweigert«, entgegnet Chris müde von der Vorderseite des Raums. »Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram, Dave. Bleiben Sie auf die Features konzentriert.«

      William sagt: »Moment, Moment … Sie sollten wissen, dass nicht wir der Engpass für Umgebungen sind – wir haben mehrere fast startklare Umgebungen, aber wir brauchen immer noch Anmeldekonten von Security sowie Speicherplatz und Mount Points von Ops. Ich habe es eskaliert, aber noch nichts weiter gehört.«

      Chris zeigt mit dem Finger auf Bill und wendet sich an Kirsten: »Ich brauche Hilfe, um unseren Bedarf an Operations zu eskalieren.«

      Bill antwortet schnell. »Wenn wir der Engpass sind, muss ich das wissen. Lassen Sie uns herausfinden, wie wir William das besorgen können, was er braucht.«

      Kirsten nickt und scheint leicht verärgert zu sein. Maxine geht davon aus, dass es daran liegt, dass immer mehr Abhängigkeiten auftauchen. »Ja, gute Idee, Bill. Okay, gehen wir weiter zum nächsten Meilenstein auf der Liste.«

      Während Kirsten spricht, dreht sich Chris zu Maxine um, und seine Miene signalisiert unmissverständlich: Welchen Teil von »halte dich bedeckt« hast du nicht verstanden, Maxine? Maxine murmelt leise eine Entschuldigung.

      Aus den Augenwinkeln sieht sie einen jüngeren Mann neben Kirsten knien, der ihr etwas ins Ohr flüstert und dabei Richtung Maxine gestikuliert. Statt einer khakifarbenen Hose trägt er eine Jeans und hält ein schwarzes Moleskine-Notizbuch in der Hand.

      Kirsten nickt und lächelt ihn an, zeigt ebenfalls auf Maxine und flüstert ein paar Sätze zurück. Der junge Mann nickt, während er in einem Affentempo Notizen macht.

      Maxine beschließt, auf kürzestem Weg zur Tür zu gehen, bevor sie irgendeine Dummheit begeht.

      Sie schafft es in den kühlen Gang und ist erleichtert, aus dem heißen, stickigen Raum herauszukommen. Sie geht in die Küche, wo es noch kühler ist. Sie denkt darüber nach, sich einen Becher Kaffee zu holen, vielleicht ihren fünften heute, als sie jemanden hinter sich sagen hört: »Hallo, Sie müssen Maxine sein!«

      Sie dreht sich um. Es ist der junge Mann aus dem Meeting, der mit Kirsten gesprochen hat. Er lächelt breit, streckt die Hand aus und sagt: »Hallo, ich bin Kurt. Ich bin einer der QA-Manager, die für William arbeiten. Ich habe in der Sitzung gehört, dass Sie Lizenzen und Environments und eine Reihe anderer Dinge benötigen, um den Build-Prozess zum Laufen zu bringen? Ich glaube, da kann ich helfen.«

      Einen Moment lang starrt Maxine nur zurück, nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hat. Seit Tagen macht sie nichts anderes, als in allen Ecken und Winkeln nach den Komponenten für den Phoenix-Build zu suchen. Seit Tagen hat sie einer gefühl- und gesichtslosen Bürokratie ein Ticket nach dem anderen ins System geschoben. Sie ist verblüfft, dass ihr nun tatsächlich jemand helfen will.

      Maxine ertappt sich dabei, wie sie Kurts ausgestreckte Hand anstarrt, schaltet zurück in die Wirklichkeit – und schüttelt sie. »Schön, Sie kennenzulernen. Ich bin Maxine, und, ja, ich nehme jede Hilfe an, die ich für den Phoenix-Build bekommen kann!«

      Sie fügt hinzu: »Ich hoffe, dass ich vorhin niemandem auf die Füße getreten bin. Ich bin sicher, dass jeder sein Bestes tut bei allem, was hier vor sich geht …« Er lächelt noch breiter und zeigt mit dem Daumen zurück in Richtung des Konferenzraums, in dem sie sich befanden. »Die? Keine Sorge. Die sind alle in so großen Schwierigkeiten, dass sie nur ihren Arsch retten und sich gegenseitig den Löwen zum Fraß vorwerfen wollen. Ich bezweifle, dass sie sich heute Abend überhaupt noch an das erinnern werden, was Sie gesagt haben.«

      Maxine lacht, aber Kurt bleibt ganz sachlich. »Also, Sie müssen die Phoenix-Builds in Gang bringen. Wie weit sind Sie gekommen, und was brauchen Sie noch?«

      Maxine sackt etwas in sich zusammen. »Nicht annähernd so weit, wie ich gerne wäre, und das liegt nicht daran, dass ich mich nicht genug bemüht hätte.« Sie beschreibt sehr detailliert, was genau sie bisher getan hat und welche Schritte noch zu erledigen sind. Sie öffnet auf ihrem Tablet ihre Checkliste, zeigt ihm alle offenen Aufgaben und zählt auf, worauf sie noch wartet.

      »Wow, die meisten geben bereits lange vorher auf«, sagt Kurt. »Darf ich das sehen?«, fügt er mit einer Geste auf ihr Tablet hinzu.

      »Aber sicher«, erwidert sie und reicht es ihm. Kurt fährt mit dem Finger über die Liste, nickt und scheint sie mit einer anderen Liste in seinem Kopf zu vergleichen. »Kein Problem, ich glaube, ich kann Ihnen fast alles davon besorgen«, sagt er. Und mit einem Lächeln fügt er hinzu: »Und ich gebe Ihnen noch ein paar Dinge obendrauf, die Sie wahrscheinlich später brauchen werden. Keine Sorge, konnten Sie nicht wissen. Wir mussten auch auf die harte Tour lernen. Die Build-Umgebung wird hier nicht besonders gut dokumentiert.«

      Kurt fotografiert die Liste mit seinem Handy und gibt ihr das Tablet zurück. »Sie werden in ein oder zwei Tagen von mir hören«, sagt er. »Das Phoenix-Projekt befindet sich praktisch in der Steinzeit. Wir haben Hunderte von Entwicklern und QA-Leuten, die an diesem Projekt arbeiten, und die meisten können nur Builds für ihren Teil der Codebasis ausführen. Sie machen keinen Build des Gesamtsystems, geschweige denn, dass sie es regelmäßig testen. Ich weise die Verantwortlichen immer wieder darauf hin, aber sie sagen mir jedes Mal, sie hätten alles unter Kontrolle.«

      Er schaut sie direkt an. »Das würden Sie sich in Ihrer alten MRP-Gruppe, die für die Fertigungsstätten zuständig ist, nicht gefallen lassen, oder?«, fragt er.

      »Auf keinen Fall«, antwortet sie schnell. »Es ist so, wie es der Kerl in der Besprechung beschrieben hat – Entwickler brauchen ein System, das ihnen schnell und kontinuierlich Feedback zur Qualität ihrer Arbeit gibt. Wenn man ein Problem nicht schnell findet, entdeckt man es erst Monate später. Dann ist die Quelle des Problems unter all den Änderungen, die die anderen Entwickler zwischenzeitlich gemacht haben, kaum mehr aufzuspüren, und der klare Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung geht verloren. Das ist keine Art, ein Projekt zu betreiben.«

      Kurt nickt. »Tja, und dennoch ist es so, dass wir hier das Phoenix-Projekt, das wichtigste Projekt des Unternehmens, so durchführen, wie man es in den 1970er-Jahren getan hätte. Die Entwickler programmieren den lieben langen Tag, aber integrieren ihre Änderungen und Tests erst am Ende des Projekts. Was kann also schiefgehen?«, fügt er schmunzelnd hinzu. »Mir wird immer wieder gesagt, dass solche Entscheidungen meine Gehaltsklasse übersteigen.«

      Sie lachen beide.

      Kurt wirkt weder verbittert noch zynisch. Von ihm geht ein gutmütiger Vibe aus, und er scheint mühelos zu akzeptieren, wie die Welt funktioniert. Er fährt fort: »Ich beneide Sie darum, wie viel Ihr Fertigungsteam geleistet hat und wie viele Plattformen Sie unterstützt haben. Wir haben


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