Märchen aus Frankreich, Band 1. Группа авторов
fehlen." Der Profoß nahm die Jungfrau mit sich heim und führte sie am anderen Tage nach Dondieu, wo der König mit seiner Mutter weilte. Dieser saß gerade mit zweiunddreißig seiner Barone bei der Tafel, als der Profoß, die Jungfrau an der Hand haltend, eintrat. "Herr," sagte er, "eine schöne Beute bringe ich Euch hier. Nehmt sie, die ein Schiff hertrieb, in Gnaden auf!" Der König wandte sich liebevoll an die Fremde und fragte sie nach ihrer Herkunft und ihrem Schicksal, sie aber sagte, sie wolle lieber sterben, als ihr Unglück erzählen. Da der König ihre Tränen sah, drang er nicht weiter in sie, sondern führte sie seiner Mutter zu. So blieb sie am Hofe und wurde bald ihrer Güte und Schönheit wegen allgemein beliebt; da man aber ihren Namen nicht wußte, nannte man sie die Manekine, das heißt Einhand. Je länger sie am Hofe verweilte, in desto höherem Maße kehrte ihre frühere Schönheit wieder, und je schöner sie wurde, desto mehr fühlte sich der junge König zu ihr hingezogen, bis die Bande der Liebe, die ihn fesselten, so stark wurden, daß er sie nicht mehr zerreißen konnte. Auch ihr Herz war von Liebe erfüllt, aber keiner von beiden kannte die Gefühle des anderen.
So verging ihnen ein ganzes Jahr unter schlaflosen Nächten, aber der Königinmutter, welche das schlechteste und listenreichste Weib von der Welt war, entging es nicht, daß ihre Herzen Liebe zueinander trugen und sie sprach zornig zu Manekine: "Es scheint mir, daß mein Sohn dich von Herzen liebt. Ich verbiete dir, wenn dir dein Leben lieb ist, ihm in Zukunft Gesellschaft zu leisten. Ich werde dich töten lassen, wenn er sich noch einmal mit dir sehen läßt." Als am dritten Tage der König wieder in ihr Zimmer trat, zitterte die Jungfrau vor Furcht und weinte. Der König merkte wohl, daß sie in Kummer war und er fragte sie nach der Ursache ihres Grams. Da erzählte sie ihm das Verbot der bösen Alten. "Freundin," erwiderte er, "beruhigt Euch! Ich will Euch vor ihr schützen und will Euch nicht länger verheimlichen, was ich bisher verborgen hielt. So wißt denn, mein süßes Lieb, daß Ihr mein Herz und mein Leben seid, all mein Gut, meine Gesundheit und meine Freude, daß ich heute und immerdar Euch gehöre." Die Jungfrau verbarg ihre Freude über diese Worte und antwortete züchtig und bescheiden, sie sei zwar zu niedrig für seine Liebe, doch wage sie nicht, eine so große Ehre auszuschlagen. Darauf küßte sie der König wohl zwanzigmal auf den Mund, dann führte er sie in sein Schloß und ließ den Kaplan rufen; dieser aber legte ihre Hände ineinander und vermählte sie. Als die Mutter dies erfuhr, sprach sie: "Verflucht sei er, wenn er sie genommen hat, und jeder, der ihn noch als König achtet. Gar zu niedrig hat er gehandelt, daß er eine Landstreicherin, eine Hergelaufene geheiratet hat, eine Frau mit nur einer Hand!" Vierzehn Tage darauf wurde Pfingsten gefeiert, und an diesem Tage wollte der König seine junge Gemahlin krönen lassen. Zu dieser Feier berief er alle seine Vasallen aus Schottland, Cornwall und Irland und die Nachricht von seiner Vermählung verbreitete sich pfeilgeschwind im ganzen Lande. Als die Nachtigallen sangen und die Wiesen blühten, da füllten die Ritter, die Grafen und Barone mit ihren Damen die Zelte, und drei Tage lang wurde die Hochzeit gefeiert. Die Mutter des Königs aber reiste am nächsten Tage voll Grimm auf ihr Landgut, denn sie glühte vor Neid und Haß gegen die junge Königin.
Fünf Monate mochten seitdem vergangen sein, da sprach der König eines Tages zu seiner Gemahlin: "Ich bitte Euch, liebe Freundin, daß Ihr mir um meiner Ehre willen eine Reise gewährt: in Frankreich findet ein großes Turnier statt, dem ich beiwohnen muß." "Diese Reise erschreckt mich," erwiderte die Manekine, "denn ich bin allein in diesem Lande und Eure Mutter haßt mich." "Ich werde Euch in solcher Hut lassen, daß Ihr weder meine Mutter noch sonst jemanden zu scheuen braucht." Der König hatte einen Seneschall, der sein treuester Ratgeber war, diesen berief er nebst zwei anderen Rittern zu sich und sprach: "Ihr Herren, ich gehe auf kurze Zeit in ein anderes Land, um Ehre und Ruhm zu erwerben. Ihr werdet bei der Königin bleiben und sie mit eurem Leben schützen. Vor allem werdet ihr sie vor meiner Mutter behüten, damit diese ihr kein Leids antut." Darauf nahm er Abschied von seiner Gattin und trat mit großem Gefolge die Fahrt an.
Die Königin, welche ihn bis zum Meere begleitet hatte, kehrte in Gesellschaft ihrer drei Hüter zurück. Es gab nichts mehr auf der Welt, was sie erfreuen konnte, seit sie den Anblick ihres Gemahls entbehren mußte, doch sie tröstete sich, so gut sie es vermochte, wegen der Leibesfrucht, die sie trug. Endlich gebar sie den schönsten Knaben, den die Natur jemals gebildet hat. Überall im Lande verbreitete sich die Kunde, daß die Königin entbunden habe und der Seneschall berief seine zwei Gefährten zu sich: "Ihr Herren," sagte er, "wir müssen unverzüglich einen Boten an den König nach Frankreich schicken, der ihm die erfreuliche Nachricht überbringe." Darauf nahm er ein Pergament, denn er verstand Romanisch und Latein, und begann zu schreiben, wie folgt: "Dem Könige von Schottland, seinem Herrn, dem Gott Freude und Ehre gebe, entbietet Gruß und Freundschaft der Seneschall, den er zurückließ, sein Land und sein Weib zu schirmen. Ich tue Euch zu wissen, daß meine Herrin mit einem Knaben niederkam, wie ihn schöner kein Mensch je ersah, und Eure Liebste ist bei guter Gesundheit. Das Kindlein aber heißt Johannes. Solches tun wir Euch zu wissen. Aber kehrt um Gottes willen, wenn es Euch gefällt, schleunigst zurück, denn meine Herrin hat große Sehnsucht nach Euch und vergeht schier vor Gram." Darauf versiegelte er den Brief und übergab ihn einem Boten. Dieser machte sich auf den Weg und gelangte am zweiten Tage nach Evoluic, wo die Mutter des Königs sich aufhielt. Der Bote trat in ihr Haus, denn er wußte nichts von dem Hasse, den sie gegen die junge Königin trug. Die Alte begrüßte den Boten und fragte ihn, wohin er gehe. Als sie den Zweck seiner Reise erfahren hatte, ließ sie ihm einen starken Wein reichen, und er trank so lange, bis er seiner Sinne nicht mehr mächtig war. Da lachte die böse Alte, und während der Trunkene schlief, durchsuchte sie seine Taschen, bis sie die Kapsel mit dem Briefe fand, dann rief sie ihren Schreiber und ließ sich den Brief vorlesen. Der Inhalt mißfiel ihr und sie ließ einen anderen anfertigen, in welchem zu lesen war, daß der Seneschall seinem Herrn Gruß entbiete und daß er ihm voll Zorn und Schmerz unfrohe Nachricht zu wissen tue: "Herr, Eure Gattin hat entbunden, aber nie im Leben sah man ein so scheußliches Geschöpf wie das, welches sie unter ihrem Herzen trug. Es hat vier Füße, ist ganz behaart und seine Augen liegen tief im dicken Kopf. Sobald es geboren war, entschlüpfte es wie eine Schlange seinen Wärterinnen, und diese wagten kaum, es wieder zu ergreifen. Alle Eure Untertanen sind in Schrecken und Verwunderung. Nun tut uns Euren Willen kund, was mit einem solchen Erben geschehen soll." Darauf versiegelte sie den Brief wieder, legte ihn in die Kapsel und trug diese wieder dahin, wo sie sie gefunden hatte. Als der Bote ausgeschlafen hatte, machte er sich wieder auf den Weg, und die böse Alte befahl ihm, auf dem Rückwege wieder bei ihr vorzusprechen.
Der Bote gelangte nach Frankreich, suchte seinen Herrn auf und übergab ihm den Brief. Der König brach das Siegel auf und fast schwanden ihm die Sinne, als er den Inhalt des Schreibens las. Damit die Leute seine Verwirrung nicht bemerken sollten, zog er sich in sein Gemach zurück und las den Brief immer wieder von neuem. Er raufte seine Haare, zerriß sein Gewand, und Tränen entströmten seinen Augen. Als er sich ein wenig beruhigt und mit seinen Begleitern Rats gepflogen hatte, nahm er Pergament und Tinte und schrieb: "Der König von Schottland gebietet den dreien, denen er seine Geliebte in Hut gab, daß diese in ihrem Wochenbette gut gepflegt werde. Wenn ihnen ihr Leben lieb ist, sollen sie seine teure Gattin und das, was sie geboren hat, so wert halten wie ihren eignen Leib. Zu Fasten wird der König zurückkehren und dann seinen weiteren Willen kundtun." Darauf versiegelte er den Brief und übergab ihn dem Boten, welcher sogleich den Rückweg antrat.
Als die böse Alte ihn kommen sah, war sie sehr froh; sie erwiderte freundlich seinen Gruß und fragte ihn nach dem Wohlergehen des Königs. Darauf ließ sie ihm wieder starken Wein auftragen, und er trank so lange, bis er vor Trunkenheit in Schlaf verfiel. Als die dunkle Nacht gekommen war, schlich sich die Alte in die Kammer des Boten, nahm ihm den Brief und ließ ihn sich von ihrem Schreiber vorlesen. Als sie hörte, daß der König seine Heimkehr zu Fasten in Aussicht stellte und daß bis dahin die Manekine gut gepflegt, bedient und geehrt werden sollte und ihre Leibesfrucht mit ihr, da wurde sie mißmutig und ließ sogleich ein anderes Schreiben aufsetzen. Der Schreiber mußte antworten, daß der König seinem Seneschall gebiete, er solle unverzüglich die Königin zum Feuertode führen, sobald sie ihr Wochenbett verlassen habe, und mit ihr das, was sie geboren habe. Denn er habe wenig erfreuliche Neuigkeiten über die Manekine erfahren, wohl wisse er, warum sie nur eine Hand habe und nicht umsonst sei sie so verstümmelt. "Verbrennt sie ohne Zaudern, wenn Euch Euer Leben lieb ist!" so schloß das Schreiben. Als es vollendet war,