Missbrauch mit dem Missbrauch. Rainer Bertram

Missbrauch mit dem Missbrauch - Rainer Bertram


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fürchtet, schreibt so nicht. Diese Mutter schreibt nicht geschäftsmäßig, sie kann nicht sachlich kühl und distanziert berichten. Sie könnte es einfach nicht!

      6 Abb. S. 72

      Dass die Mama unseres Sohnes die an einer Sache ausgerichtete und völlig emotionslose Gesprächs-führung beherrscht, wusste ich immer. Die schnörkellose Art Probleme anzugehen und einer Lösung zuzuführen, habe ich dienstlich an ihr geschätzt. Hier geht es aber nicht um eine Sache, um ein dienstliches Problem, um eine Mitarbeiter-beurteilung oder Beschwerde. Hier geht es um ein Kind – um unser gemeinsames – also auch ihr Kind. Die Darstellungen in ihrer Erklärung zeigen keine Empathie. Eine Mutter, die um das Wohl ihres Kindes kämpft, die fürchtet, dass ein anderer ihrem Kind etwas angetan hat, die fürchtet, dass, wenn sie nicht aufpasst, sie das Kind nicht schützen kann, zeigt in Wort und Schrift Emotionen. Aber wo zeigt sie diese? Wo zeigen sich in ihren Aussagen, Schilderungen, in der Wortwahl und bei den aufgeführten Beispielen, Wut, Furcht, Feindseligkeit, Gehässigkeit oder Leidenschaft. Bei ihr müssten sich doch Reaktionen auf die angeblichen Handlungen, die Gedanken, Emotionen, Absichten und Persönlichkeitsmerkmale des anderen schlimmen Menschen zeigen. Dazu gehört das Einfühlen in die eigene Reaktion wie Selbstmitleid, Trauer, Schmerz, ohnmächtige Hilflosigkeit oder Suche nach Hilfe. Empathie, ursprünglich definiert als Beschreibung einer intensiven Gefühlsregung lässt sich in dieser Erklärung nicht finden. Frau Schiffer schreibt das, was sie schreibt ohne erkennbare persönliche Betroffenheit nieder. Diese Erklärung ist ein Bericht, distanziert sachlich, emotionslos. Formulierungen wie

      „Es sind … aufgetreten…“ – „Weiter ist festzustellen…“ – „er hatte verlautbart…“ – „möchte ich ergänzend darauf hinweisen …“ – „ist aus meiner Sicht richtig zu stellen …“ – dass mir von einer zufällig in meinem Haus anwesende Zeugin berichtet wurde“ – „zuvor hatte ich bemerkt …“ – Ergänzen möchte ich weiterhin …“ – „hierauf möchte ich ergänzend hinweisen…“ – „Ich darf weiter darauf hinweisen …“ – „ich selbst habe … wie auch die Zeugin –

      fallen mir auf, weil mir ihre Art zu schreiben, persönlich betroffen oder distanziert geschäftsmäßig, dienstlich wie privat bekannt sind. Ihre Distanz zu dem Geschehen tritt im Beispiel „der Zeugin“ deutlich hervor. Es geht hier nicht um einen Diebstahl oder eine zerbrochene Scheibe, sondern um das Schicksal unseres Sohnes und das seines Vaters. Sie schreibt: „Eine zufällig anwesende Zeugin“. Die zufällige Zeugin ist ihre Mutter. Die war auch nicht zufällig da, sondern hat über Wochen die Führung des Haushaltes übernommen. Eine betroffene Mutter erzählt oder beobachtet, aber sie berichtet nicht. So wie sie schreibt, schreibt eine Nachrichtenredakteurin eine zu verlesende Nachricht oder die Rechtsanwältin eine Erwiderung auf einen Schriftsatz, aber nicht die Mutter, die um das Leben ihres Kindes fürchtet.

      Eine liebende Mutter schreibt in einer solchen Erklärung „bei meinem Sohn fällt mir auf“ oder „mir ist aufgefallen, dass er“. Sie selbst ist doch betroffen, sie ist es doch, die wahnsinnige Angst hat! Ich habe nicht Germanistik studiert, aber so viel weiß ich. Angst, Sorge oder Betroffenheit drückt man nicht dadurch aus, dass man schreibt:

      „ist beantragt worden, dieses auf den Tatbestand des Stalkings auszudehnen nachdem der Antragsgegner nicht davon ablässt, der Antragstellerin nach-zustellen“.

      Sie ist doch betroffen und dann schreibt von sich in der dritten Person. Nein! Sie ist emotional nicht im Geringsten betroffen. Sie führt weiter, rational und überlegt, was sie lange vor dem Urlaub geplant und durch das „Geschenk“ der Fotos für sich „problemloser“ zu Ende bringen kann. Sie plant im Voraus. Wenig Tage später werde ich noch einschneidend und schockierend erfahren, wie lange im Voraus. Für sie stellen sich nur drei Probleme, die es zu beherrschen gilt, die einer Lösung bedürfen.

      Sind ihre Finanzmittel so weit ausreichend, dass sie den Vater durch immer neue Prozesse in die Knie zwingen kann? Kann sie durch immer neue Vorwürfe die möglichen Entscheidungen des Gerichts so lange hinziehen, dass unser Sohn seinen neuen Vater als Partner sieht und den „alten Vater“ vergisst, oder dass bei diesem – altersbedingt oder weil dem Stress nicht gewachsen eine natürliche Lösung erreicht werden kann? Mit welchen Maßnahmen kann erreicht werden, auch die Schwester von Levin auf Abstand zu halten? Die könnte sonst durch ihre Erzählungen die Pläne durchkreuzen.

      Kühl, sachlich überlegend kann sie die Dinge angehen. Ihre Eltern übernehmen die finanzielle Absicherung. Jetzt kann sie ja bei der Mutter den Partner für alle finanziellen Defizite verantwortlich machen und damit das Gesicht wahren. Die Untersuchung von neuen – frei erfundenen – Vorwürfen kann sie im Laufe des Verfahrens neu postulieren, weil sie sich unter Anleitung ihrer Freundin und Anwältin, zunehmend mit der einschlägigen Literatur vertraut macht. Das „Geschenk der Fotos“ war überraschend und forderte „gefährliche“ – weil spontane – Änderungen des Drehbuchs. Ob die jeweiligen Vorwürfe einer Prüfung standhalten, ist nicht wichtig. Hauptsache ist, dass jeder Vorwurf eine Verzögerung von Wochen oder Monaten bedeutet. In dieser Zeit kann der Sohn weiter einer „Gehirnwäsche“ unterzogen werden. Und wenn sie es schafft, dass der Vater eine Kontaktsperre erhält, kann sie ihn zwingen aus „D“ zu verschwinden. Dann hat sie freies Feld. Und weil sie aus ihren Erfahrungen während des gesamten vorherigen Familienlebens genau weiß, dass dieser die Trennung vom Sohn nicht überwinden wird, löst sich das Problem von allein.

      Bis der Sohn, wenn überhaupt, nach Jahren über diese Trennung nachdenkt und kritische Fragen stellen kann, wird sie andere Erklärungen haben. Bis er dann daran denken könnte, seine totgeschwiegene Schwester zu fragen, hat man die räumliche Trennung so weit ausgedehnt, dass auch das keine Gefahr mehr darstellt. Während ich diese Gedanken niederschreibe habe ich wie so oft, das Gefühl der Unwirklichkeit. Und ich stelle fest, dass ich die emotionale Betroffenheit beim Schreiben mehr und mehr zurückdränge und durch aufbauenden Zorn ersetze. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, was da seit längerer Zeit in ihrem Kopf vorgegangen ist. Aber ich muss mit dieser Erkenntnis leben, ich muss mich damit abfinden, dass die Organisation der Trennung wohl nur deshalb so reibungslos funktioniert hat, weil Eltern, Tante – die Familie – rechtzeitig und geplant hilfreich zur Stelle waren. Manchmal denke ich darüber nach wann das Schloss besorgt und ausgewechselt wurde. Am Tag meiner Verhaftung war es bereits drin. Da musste das Drehbuch für den letzten Urlaubstag geschrieben werden und die Aussagen vor der Polizei aufeinander abgestimmt werden, Die Eltern und die Schwester mussten in „D“ meine Sachen zusammensuchen, damit das Auto beim Eintreffen sofort beladen werden konnte. Katastrophal wäre es gewesen, wenn die Polizisten in „B“ nachgedacht hätten. Nachdem ich überraschend nicht festgehalten wurde, hätte ein Stau auf der langen Strecke den Zeitvorsprung zur Bahn empfindlich schrumpfen lassen oder sogar aufheben können. Nicht auszudenken, wenn ich früher als erwartet vor dem Haus auftauchen würde. Die anderen Autos mussten bereits abfahrbereit, Wäsche für Sohn und Mutter eingepackt sein. In der kurzen Zeitspanne mussten sämtliche Bekannten und Freunde für mich nicht mehr erreichbar geredet werden. Das zeugt von einer hervorragenden Logistik. Das Kindermädchen erzählt mir, dass sie von meiner Ex-Partnerin bereits vor der Abfahrt von Rügen telefonisch aufgefordert wurde, mich nicht mehr in ihre Wohnung zu lassen und nicht mehr mit mir zu sprechen. Wer hat eigentlich mein Auto gefahren? Wenn man sich die Situation in Stralsund bei der Untersuchung von Levin vorstellt, kommt man ins Grübeln.

      Da sitzt eine Mutter bei der Amtsärztin und lässt ihr Kind auf möglichen Missbrauch untersuchen. Sie spricht nicht von Missbrauch, sondern ganz deutlich von Vergewaltigung. Die Mutter von Levin behauptet das sogar mit Zeitangabe. Eine Mutter, die so etwas befürchtet, kann doch nur einen Gedanken haben: Bitte lass es nicht wahr sein, bitte nicht mein Kind. Nur diese Angst, dieser Gedanke beherrschen ihr Denken. Sie bangt dem Ergebnis entgegen. Alles andere um sie herum tritt zurück. Sie sitzt, wartet, sie wartet auf die Ärztin, nichts ist wichtiger als ihr Kind. Sie hat keine Ruhe, von Furcht beherrscht fiebert sie dem Ergebnis der Untersuchung entgegen.

      Sie aber hat keine Angst Sie ruft nach Liste alle Bekannten und Freunde an. Sie weiß, dass die Amtsärztin nichts finden wird. Deshalb kann sie nur wenige Stunden nach der Anzeige und am Sonntag Gespräche mit


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