Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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Griff des Schwertes war ebenfalls von dieser ungewöhnlich dicken Rinde umschlossen. Der nach links und rechts abstehende Handschutz war, genau wie der Griffknauf auch, aus einem bereits verwitterten und rostigen Metall gefertigt. Die drei Enden waren alle abgerundet und jeweils mit einem anderen Zeichen versehen. Am Handschutz war auf der einen Seite eine Sonne und auf der anderen ein Mond eingearbeitet.

      Im Knauf war eine Abbildung zu sehen, die Dantra nicht richtig zuordnen konnte. Was nicht nur an dem schlechten Zustand lag, sondern das Zeichen erinnerte ihn auch an keine ihm bekannte Form. Es waren viele schmale Striche, die wie Sonnenstrahlen von oben in der Mitte zusammentrafen. Und von dort aus schien nur eine Linie weiterzuführen. Sie war länger als die anderen und verlief in Richtung Klinge. Das wirklich Interessante aber war, dass vom Knauf zwei Spitzen, die die Rundung unterbrachen, auf die eckigen Kanten zeigten, die sich jeweils an einem runden Ende des Handschutzes herausbildeten. Wären sie nur eine Daumenbreite länger gewesen, hätten sie sich berührt.

      E’Cellbra zog das Schwert heraus, wobei ein grauenhaftes Geräusch die alten Mauern des Hexenhauses erzittern ließ, das Dantra an das Quietschen einer Ratte erinnerte, die Zuflucht unter einem Scheiterhaufen gesucht hatte und nicht mehr rechtzeitig vor dem Entzünden fliehen konnte. Die Klinge war nicht nur in dem gleichen freudlosen Zustand wie der Rest des Schwertes, sie war auch enttäuschend unspektakulär. Sie wirkte, als würde sie bereits abbrechen, wenn man sich mit ihr lediglich einen Weg durch hohes Gras schlagen wollte. Dantra hoffte, dass E’Cellbra es ihm nicht schenken wollte. Es wäre ein absolut überflüssiger Ballast. Und diesen wollte er, gerade im Hinblick auf ihre sicher kraftraubende Reise, so gut wie möglich vermeiden. Doch ein Ablehnen käme nicht infrage. Nicht nur, weil es sehr unhöflich wäre, vor allem, wenn man sich gerade in tiefer Dankbarkeit verabschieden wollte, auch seine Unsicherheit wegen dieses vorher noch nie von der Hexe zur Schau getragenen ernsten und zugleich traurigen Blicks spielte dabei eine große Rolle.

      Nachdem E’Cellbra das Schwert unter ihren leicht glasigen Augen einige Male langsam gedreht hatte, so als würde sie eine Botschaft unter all dem Rost suchen, schob sie es mit demselben Gänsehaut erzeugenden Geräusch zurück in die Holzscheide. „Es bringt nichts, es noch länger aufzubewahren“, murmelte sie. „Nimm du es.“ Sie streckte ihre Arme aus und hielt es Dantra mit so viel Ehrfurcht entgegen, dass dieser das Geschenk zwar annahm, aber es dabei so weit von sich weghielt, als befürchtete er, dass eine todbringende Seuche daran kleben würde.

      Sein ungutes Gefühl und die Irritation darüber, dass E’Cellbra ein Schwert, welches allem Anschein nach zu nichts mehr zu gebrauchen war, mit so viel Respekt und Bewunderung behandelte, verschwanden schlagartig, als sie mit ungewohnt rauer Stimme kundtat: „Das ist ein Elbenschwert. Es trägt den ehrwürdigen Namen Pakator.“

      In der Klosterschule hatte man ihnen nicht sehr viel über die anderen Völker von Umbrarus beigebracht. Ihre Namen wurden meist nur kurz am Rande einer Zeitalterstunde erwähnt. Aber gerade die Völkerkunde war es, die Dantra schon immer interessiert und fasziniert hatte. Leider war jenes wenige Hintergrundwissen, das er besaß, lediglich aus den spannenden Geschichten von Schwester Cesena übernommen. Dabei war er sich allerdings nicht sicher, wie viel von ihren Erzählungen der Wirklichkeit entsprach oder nur zur Verschönerung der Geschichte diente.

      Eines aber war ganz sicher: Die Elben waren ein großes und mystisches Volk, das schon lange vor den Menschen, Nalcs und sogar den Drachen hier lebte. Dantra hatte noch nie einen von ihnen gesehen oder überhaupt irgendetwas, das mit ihnen in Verbindung stand, zu Gesicht bekommen. Und nun hielt er eine ihrer Waffen in der Hand. Ein Schwert, das optisch die lange Zeit, seitdem es die Hand seines Schmiedes verlassen hatte, eins zu eins widerspiegelte, aber dennoch so viel Wert für Dantra hatte, als wäre es aus purem Gold und mit Edelsteinen besetzt.

      Während er die Scheide an seinem Gürtel befestigte, brannten ihm wieder einmal zahllose Fragen auf der Zunge. Wieso besaß E’Cellbra ein Elbenschwert? Woher hatte sie die Waffe? Und sahen alle Elbenschwerter so schäbig aus? Aber noch bevor er eine seiner Fragen stellen konnte, stand die Hexe, die für einen kurzen Moment in dem hinteren Raum verschwunden war, erneut vor ihm und hielt ihm eine Pergamentrolle unter die Nase. Sie war mit einem weißen Siegel verschlossen, auf dem man ein Einhorn erkennen konnte.

      „Es ist eine Karte von Umbrarus“, erklärte E’Cellbra. „Ich habe sie vor sehr langer Zeit von einem alten Freund bekommen. Er ist ...“ Sie stockte. Ihr Blick verlor sich im Nichts und flüsternd, mehr zu sich selbst als zu Dantra, fuhr sie fort: „... wenn er noch lebt ...“ Nach einem weiteren schweigenden Zögern sah sie ihn wieder an und redete weiter, als hätte es diese kleine Unterbrechung nie gegeben. „... ein Zauberer. Er hat sie mit einer Formel so bearbeitet, dass sie sich selbst immer wieder aktualisiert. Das Siegel verschließt sich ebenfalls stets aufs Neue und lässt sich nur von dem öffnen, der die Erlaubnis des Besitzers hat. Und da ich sie dir hier und jetzt schenke, hast du ab sofort die alleinige Macht über die Karte.“

      Dantra konnte es nicht fassen. Er lebte nun schon fast ein Jahresviertel in diesem Haus. Alles, was er über Magie und mystische Völker erfahren hatte, konnte er an einer Hand abzählen. Das hatte er sich damit erklärt, dass E’Cellbra eine Hexe war, die entweder schon eine sehr lange Zeit hier allein lebte, oder gar noch nie aus diesem zwar sehr schönen, aber dennoch stinklangweiligen Stück Wald herausgekommen war. Doch nun, da keine Zeit mehr für Antworten blieb, obwohl ihn sein Wissensdurst beinahe dahinraffte, musste er erfahren, dass es hier anscheinend Kenntnisse über Zauberei und fremde Kulturen in Hülle und Fülle gab. Über die Dantra allerdings zu seinem unendlichen Bedauern nun höchstwahrscheinlich niemals mehr etwas erfahren würde. Wut und Enttäuschung mischten sich daher in die aufgekommene Freude über die neuen Erkenntnisse und die geheimnisvollen Geschenke.

      Aber Dantra wusste, es war nun nicht die Zeit für Dickköpfigkeit und kindliches Trotzverhalten. Sie würden sich vielleicht nie wiedersehen. Nie wieder E’Cellbras alte und knochige, aber ungewöhnlich starke Hand schütteln, so wie er es gerade zum Abschied tat, nachdem er die Karte ebenfalls in der Innentasche hatte verschwinden lassen, die Tami in kürzester Zeit geschickt angenäht hatte.

      „Grey wird euch über Schleichwege zum großen Wall führen.“ Sie standen nun bereits vor der Hütte. In einiger Entfernung stand der Wolf und scharrte mit einer seiner wuchtigen Vorderpfoten im Waldboden, als würde er nach Würmern graben. „Aber ab dort seid ihr auf euch allein gestellt“, ermahnte E’Cellbra die Geschwister. „Geht am besten ein Stück in den Wald hinein und dann parallel zum Wall. Wegelagerer und Räuber sind dort leider keine Seltenheit. Sie warten nur darauf, Reisende zu überfallen, die ohne Zerrocks und damit ohne Drachenschutz unterwegs sind. Und nun geht, meine Freunde. Ich wünsche euch beiden alles Gute. Und hoffe, der behütende Einhornbann umschließt und begleitet euch.“ Mit ihren letzten Worten machte die Hexe eine Handbewegung, die sie dazu bewegen sollte, sich zu beeilen.

      Hundegebell und vereinzelte noch nicht zu verstehende Rufe durchbrachen die morgendliche Stille.

      „Sie werden dich finden“, sagte Dantra besorgt zu der Hexe. „Du musst dich irgendwo verstecken.“

      „Oh, das tue ich, glaub mir. Hier findet mich niemand.“ Sie ging einige Schritte zurück in Richtung Haus und blieb kurz vor dem Blumenbeet stehen, das rings ums Haus herum angelegt war und das Dantra schon so oft bei der mühseligen Gießarbeit verflucht hatte. Dann überquerte sie dieses, aber nicht mit einem großen Schritt, so wie sie alle drei es bisher immer getan hatten, sondern indem sie auf die lockere Erde trat, als wäre es selbstverständlich.

      Noch während E’ Cellbra sich umdrehte, um ihnen ein Abschiedslächeln zu schenken, welches ihr faltiges und kantiges Gesicht ungewohnt freundlich erscheinen ließ, sprossen kleine grüne Knospen aus dem Boden. Sie wuchsen in unglaublicher Geschwindigkeit mehrere Fuß hoch, wobei sie sich ineinander verschlangen und ihre Äste mit spitzen Dornen, so groß wie Nähnadeln, spickten. Zum Schluss entfalteten sich große ovalförmige Blätter, die mit ihrem saftigen Grün etwas auffällig aus dem bereits bunten Imberwald herausstachen. Doch nach einem weiteren kurzen Augenblick der Bewegungslosigkeit verfärbten sie sich zu einem saftigen Dunkelrot. Von dem Hexenhaus war nun nichts mehr zu sehen.

      Dantra und Tami standen mit offenen Mündern staunend da und regten


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