Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch
„Der Wald ist mein Zuhause. Dieser Weg ist mein Zuhause.“ Er beugte sich wieder nach vorn und seine Stimme schlug dabei abrupt von freundlich in bedrohlich um. „Das Stück Dreck unter deinen Füßen ist mein Zuhause. Und jeder, der seinen schmutzigen Kadaver über mein Land bewegt, hat dafür zu zahlen!“
Dantra spürte, wie Tami zitterte. Leise hörte er ihr ängstliches, nervöses, schnelles Atmen. Er drückte ihren untergehakten Arm fest an sich und hoffte, dass er ihr so etwas von seiner Ruhe und Gelassenheit vermitteln konnte. Denn die Ansprache des vermeintlichen Anführers beeindruckte ihn nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil. Nach der Missachtung seines Grußes war er froh, nun die Gelegenheit zu bekommen, ihnen ein paar passende Worte zu sagen. Und wenn diese ihnen nicht gefielen, auch gut. Mit drei Möchtegerndieben würde er jederzeit fertig werden. Und dafür würde er sich nicht einmal die Mühe machen, seine Hand ans Schwert zu legen.
„Schmutziger Kadaver?“, fing er ruhig an. „Dass so etwas von Euch kommt, wo doch Eure Pferde nicht annähernd so streng riechen wie Ihr selbst. Was uns ja wohl zu der Erkenntnis bringt, dass Ihr so dumm seid, dass Ihr von Euren Gäulen noch was lernen könnt.“ Mit großer Genugtuung nahm er die überraschten Gesichter der Fremden wahr. Sie hatten sicher schon oft die Nummer mit ihrem Zuhause zum Besten gegeben. Aber solch eine Antwort war ihnen bis zu diesem Tag wohl noch nie entgegengebracht worden. Um dem Ganzen noch die verdiente Krone aufzusetzen, fügte Dantra hinzu: „Außerdem habt Ihr leider Pech, habe ich doch gerade heute meine Geldbörse vergessen. Sonst wäre ich vielleicht gnädig gewesen und hätte Euch einen Viertelkrato vor die Füße geworfen.“ Nun schlug auch Dantras Tonfall genauso unvermittelt von freundlich in bedrohlich um wie zuvor derjenige seines Gegenübers. „Aber wenn Ihr es darauf anlegen möchtet, könnt Ihr auch, ohne dass ich Euch eine Münze vorwerfe, vor mir in Eurem Dreck kriechen!“ Er hatte seinen entschlossensten Blick aufgelegt und wartete auf die Reaktion der Räuber. Doch sie schauten alle drei nur stumm auf ihn herab. Keiner machte Anstalten, etwas zu sagen oder gar sein Schwert zu ziehen. Dantra rätselte, ob sie von dem, was er ihnen gesagt hatte, so beeindruckt waren oder ob sie tatsächlich Angst verspürten, weil er ihnen so wenig Respekt entgegengebracht hatte.
Nach einer kurzen merkwürdigen Stille beschloss Dantra, das Feld zu räumen. Er löste seinen Arm von Tami und zog sie leicht am Ellenbogen, damit sie sich umdrehte. Um die immer noch schweigend verharrenden Wegelagerer nicht aus den Augen zu verlieren, setzte er selbst nun zum Rückwärtsgehen an, wobei er Tami mit seiner Hand in ihrem Rücken vorwärtsschieben wollte. Doch diese bewegte sich nicht. Auch als er den Druck erhöhte, machte sie keine Anstalten loszugehen. Langsam drehte Dantra seinen Kopf und war bemüht, solange es ihm möglich war, die drei Berittenen im Auge zu behalten, um einem eventuellen Angriff früh genug entgegenwirken zu können. Als er schließlich seinen Blick abwandte und in ihre ursprüngliche Marschrichtung schaute, musste er feststellen, dass sich vier weitere Männer unbemerkt in ihrem Rücken aufgebaut hatten. Diese saßen nicht auf Pferden und wirkten noch schäbiger und ungepflegter als die drei anderen. Sie hielten ihre Waffen bereits kampfbereit in den Händen. Zwei waren mit Schwertern ausgerüstet, einer mit einer Streitaxt, deren Griff er erwartungsvoll in seinen Händen drehte, und der letzte hielt einen Speer, dessen Holz bis auf eine Armlänge hinter der eisernen Spitze blutrot gefärbt war. Die Neuankömmlinge standen bereits wesentlich dichter bei den Geschwistern, als die Reiter es taten. Dantra stellte sich nun seitlich auf, um alle Wegelagerer wenigstens aus dem Augenwinkel beobachten zu können.
„Bei uns hat noch jeder bezahlt“, knurrte der Anführer, „entweder mit Geld oder mit seinem Leben.“
„Und da du kein Geld hast ...“, mischte sich der Glatzkopf mit der Eisenplatte im Schädel ein und zog dabei einen massiven Holzknüppel aus der Satteltasche. Doch anstatt den Satz zu beenden, gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte auf Dantra zu. Auch die vier Räuber hinter den Geschwistern stürmten nun los.
Tami ging instinktiv in die Hocke, sodass Dantra seine Kraft ungehindert auf die Angreifer schleudern konnte. Als Erstes riss es den Glatzkopf aus dem Sattel. Selbst sein Pferd warf die Druckwelle der Magie auf den Rücken. Die nächste fast zeitgleiche Salve traf drei der vier Schergen, die bereits bis auf drei Schritte an sie herangekommen waren. Leider hatte Dantra seine Kraft nicht weit genug gefächert, um auch den vierten zu erwischen. Dieser setzte mit vorgehaltenem Speer und Kampfgeschrei zum tödlichen Stoß an. Doch Dantra hatte sein Schwert bereits gezogen und parierte den Angriff blitzschnell. Die anschließende, gut gezielte Ladung magischer Kraft gab dem Widersacher den Rest.
Mit einem Anflug von Freude bemerkte Dantra, dass noch mehr Männer aus dem Wald die Hänge herunter auf sie zugestürmt kamen. Angriffsgebrüll und Schmerzensschreie gingen ineinander über. Dantra war in seinem Element. Die Beherrschung der Kraft, die in ihm schlummerte, hatte er dank E’Cellbras Übungen perfektioniert. Die Magie fiel über seine Kontrahenten her wie eine unsichtbare Lawine. Mühelos hielt er sich die Banditen vom Leib. Er war nach anfänglichen Schwierigkeiten nun so zielsicher geworden, dass er einzelne Männer, die im Begriff waren, ihre Kampfhaltung von Neuem einzunehmen, sofort wieder von den Füßen riss. Doch plötzlich durchfuhr ihn ein Ruck. Seine Beine schlugen hoch. Der Wald, der Himmel, die Angreifer, alles flog vor seinen Augen durcheinander. Für einen Moment dachte er, seine Kraft hätte ihn selbst umgeworfen. Dieser Gedanke fand allerdings ein jähes Ende, als er einen heftigen Stoß bekam. Es war Tami. Auch sie war hochgeschleudert worden und ihre Köpfe waren dabei unglücklich aneinandergeprallt. Dantra hatte das Gefühl, sie würden schwebend durch die Luft wirbeln. Und noch bevor er richtig begriff, dass er in einem Netz hing, verließ sie beide jeglicher Halt und sie schlugen äußerst unsanft auf dem Waldboden auf. Seine Wahrnehmung wurde für einen kurzen Augenblick klarer.
„Wir müssen bereits auf dem Netz gestanden haben, ohne es zu bemerken“, dachte er. „Es war eine Falle, sie ...“ Ein unglaublich stechender Schmerz ließ seinen Kopf erneut erzittern und ihm wurde, nachdem die kleinen funkelnden Punkte erloschen waren, schwarz vor Augen. Seine Sinne und Gedanken verloren sich in einer tiefen Bewusstlosigkeit.
Eisige Kälte durchfuhr ihn. Sie zog in seine Kleidung und lief bis in seine Schuhe. Schäbiges Gelächter war das Nächste, was er wahrnahm. Dann dieser beißende Gestank nach verwesendem Kadaver. Als sich seine Augen an das zurückkehrende Tageslicht gewöhnt hatten, erkannte er Erniedrigung, Aussichtslosigkeit und den Tod vor sich.
Er war an einen Baumstumpf gefesselt, der eine Schwertlänge über seinem Kopf endete. Ein kleiner Mann, der ihm höchstens bis zum Gürtel reichte und mit einer unglaublich großen Hakennase gestraft war, hatte ihn mit einem Eimer Wasser aus seiner Bewusstlosigkeit zurückgeholt. Das triefende Nass, das von Dantras Haaren kommend auf dem Weg zu seinen Füßen über seine Lippen quoll, hinterließ einen blutigen Beigeschmack. Er musste sich eine starke Kopfverletzung zugezogen haben. Zumindest hoffte Dantra, dass es sein Blut war. Denn so sauber wie ein Eimer, der ausschließlich für Wasser genutzt wurde, war das Gefäß, mit dem der Zwerg nun langsam aus seinem Blickfeld davonschlurfte, nicht.
Gut ein Dutzend Männer von kräftiger Statur stand am Rande der nach einer Abholzung entstandenen Waldlichtung knapp 30 Schritte von ihm entfernt. Es schien ihnen Vergnügen zu bereiten zuzusehen, wie er gefesselt und frierend dastand. Als einer der Räuber das Wort an Dantra richtete, erkannte dieser den Anführer in ihm wieder. „Eins lass dir gesagt sein, solltest du noch mal deine dunkle Magie gegen einen meiner Männer richten, wirst du es bereuen.“
Dunkle Magie? Das war für Dantra das Stichwort. Er war zwar gefesselt, aber noch lange nicht wehrlos. Als Erstes würde er die lustige Runde vor sich auflösen und anschließend versuchen, mit einem kleinen, gezielten Druck seine Fesseln zu lösen. Aber noch bevor er seine Gedanken in die Tat umsetzen konnte, machte ihm der Anführer klar, dass das ein Riesenfehler wäre.
„Deine Schwester steht ebenfalls gefesselt zehn Schritte hinter dir. Seltsam, sie hat doch sicher ein bezauberndes Lächeln. Warum sie uns wohl keines schenkt?“ Er machte eine kurze Pause, um den anderen die Gelegenheit zu geben, über seine scherzhafte Bemerkung zu lachen, was diese auch aus vollem Hals taten. Dann fuhr er, nun allerdings in drohender Stimmlage, fort: „Liegt wohl daran, dass sie ein Messer an ihrer Kehle hat. Und nur für den Fall, dass du glaubst, dass ich bluffe, sieh mal genau hin.“
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