Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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ab. Er war zwar bemüht, ihn zu ignorieren, sein Unterbewusstsein schlug jedoch Alarm. Irgendetwas war anders an diesem Pfeil. In dem Moment, als das Geschoss Dantra mit voller Wucht in den Bauch traf und ihn ein heftiger Schmerz durchfuhr, der seinen kargen Mageninhalt bedrohlich weit die Speiseröhre hochdrückte, wurde ihm schlagartig bewusst, was diesen Pfeil von den anderen unterschied. Anstatt einer Spitze war ihm eine Art Stoffball aufgesetzt worden, der seine Wirkung nicht verfehlt hatte. Dantra war, als wäre sämtliche Luft aus seinem Körper gewichen. An weitere Beschimpfungen war vorläufig nicht mehr zu denken. Erst nachdem die zwei folgenden Geschosse die beiden verbliebenen Stricke, die über seine Beine liefen, zertrennt hatten, war er wieder imstande, seine Stimme in voller Lautstärke zu nutzen.

      Während er mit der Übelkeit gekämpft hatte, war in ihm eine Idee aufgekeimt, an deren Ernte er seine Widersacher gerne teilhaben lassen wollte. Er hatte einen Entschluss gefasst, der sein eigenes Leben und das von Tami sofort beenden würde. Aber nicht nur ihres. Auch alle anderen, seine Peiniger vor ihm, der Kerl mit der Eisenplatte im Kopf hinter ihm, ja, selbst der Zwerg, der ihn so unsanft in diese grausame Realität geholt hatte, sie alle mussten hier und jetzt ihren Tribut zahlen. Denn keiner, der so eine Folter wie diese guthieß oder durch Schweigen nicht einmal den Versuch unternahm, sie zu beenden, hatte es verdient weiterzuleben und damit womöglich das Privileg zu besitzen, dem Tod nur friedlich im Schlaf zu begegnen. Dantra holte tief Luft, überlegte sich die richtigen Worte und schrie sie dann so laut heraus, dass ihm der Hals dabei brannte, als hätte man ihn gezwungen, pure Essigsäure zu trinken. „Ihr Drachen dieser Welt! Ihr seid nichts weiter als fliegende Maultiere, die Feuer spucken können! Wir werden euch jagen wie Wildschweine, abschlachten wie Kojoten und ausweiden wie Karnickel! Ihr seid nicht mehr wert als verlauste Straßenköter! Und das gilt ganz besonders für dich, Condire! Sollen deine stinkenden Überreste die Ratten fressen!“

      Bevor Dantra mit seinen Beleidigungen fortfuhr, gönnte er sich einen Blick in die Gesichter der nun schweigenden Banditen. Er wurde nicht enttäuscht. Darin stand das blanke Entsetzen. Ausnahmslos. Keiner von ihnen hatte mehr ein Grinsen im Gesicht. Selbst die von zu viel Alkohol rot gefärbten Wangen und Nasen waren so blass geworden wie die Haut des verwesenden Mannes im Loch vor ihm.

      Erst als einer der Räuber sich abwandte und zur Flucht ansetzte, gewann der Anführer seine Fassung zurück. Er zog einen Dolch aus seinem Gürtel und warf ihn dem Flüchtigen in den Rücken. Nachdem dieser mit einem kurzen Aufschrei zu Boden gefallen war, richtete er das Wort an die anderen. „Flucht ist zwecklos. Wir müssen den Zorn der Drachen besänftigen. Tötet ihn!“ Bei diesem Befehl zeigte er in Dantras Richtung und sogleich wurden mehrere Pfeile auf ihn abgeschossen.

      „Weiterschreien!“, brüllte eine Stimme in seinem Kopf, deren Aufforderung er sogleich nachkam. Gleichzeitig konzentrierte er sich auf die Pfeile, denen er seine Kraft entgegenwarf, um so ihre Richtung zu verändern. Eine weitere Salve folgte und einige der Männer stürmten mit gezogenen Waffen auf ihn zu.

      Dann ging alles unglaublich schnell. Im Augenwinkel sah Dantra den Kerl mit der Eisenplatte im Kopf auf einem Pferd an ihm vorbeireiten. Im Schlepptau hatte er ein weiteres Ross, auf das der Anführer eilig zulief. Er schien von seinen eigenen Worten, dass man die Drachen besänftigen könne, wohl nicht überzeugt zu sein. Im selben Augenblick, als er das Pferd erreichte, nahm Dantra einen Schatten wahr. Er sah ihn nur einen Wimpernschlag lang. Doch das reichte, um zu erkennen, dass die Gestalt, zu der er gehörte, riesig sein musste. Sie besaß offenbar einen unglaublich wuchtigen Kopf, der mit einer Krone verziert war. Noch bevor Dantra den nächsten Gedanken fassen konnte, brach eine Feuerwalze los, die die auf ihn zustürmenden Männer unter sich begrub. Die letzten Schreie, bevor das dazugehörige Leben erstarb, drangen an Dantras Ohren.

      Dann ein Stoß in seinen Rücken. So heftig, so kraftvoll, dass er das Gefühl hatte, sein Rückgrat würde brechen. Er fiel mit dem Stamm, den es samt Wurzel aus der Erde gerissen hatte, vornüber. Der obere Teil des Baumstumpfes schlug über das Loch hinweg auf dem harten Waldboden auf. Was auch immer es war, das den Stamm umgeworfen hatte, es hatte bei dieser Aktion die Fesseln, die um Dantras Oberkörper geschlungen waren, beschädigt. Mit dem Ruck des Aufschlags waren sie endgültig gerissen und er fiel mit den Füßen voran in das Loch, wobei er auf dem dort liegenden Leichnam landete.

      Wie durch ein Wunder hatte ihn dabei keine der aufragenden Pfeilspitzen erwischt. Eine Tatsache, über die sich Dantra aber nur wenig freuen konnte, da der Strick um seinen Hals noch genauso fest saß wie zuvor und nun im Begriff war, ihn zu erdrosseln. Selbst seine frei gewordenen Hände waren ihm keine große Hilfe. Kein Ziehen und kein Zerren ließen die tödliche Schlinge auch nur einen Hauch lockerer werden. Röchelnd und bereits vereinzelt funkelnde Punkte vor seinem inneren Auge sehend, zog er sich einen seiner Schuhe aus und brach mit dem Zeh eine bereits angeknackste Pfeilspitze ab. Er bugsierte sie in seine Hand und durchstach damit jede Faser des Strickes einzeln. Und das, so schnell es ging, was aber zwangsläufig immer noch extrem langsam war. Seine Atemnot stieg und stieg. Als ihm bewusst wurde, dass er dafür Stunden bräuchte, fingen seine Finger unkontrollierbar an zu zittern. Nur selten traf die Pfeilspitze noch ihr Ziel. Meistens stach sich Dantra in seiner Panik den Eisendorn in den Hals. Die dadurch entstehenden Schmerzen und das Blut, das aus den kleinen Verletzungen floss, bemerkte er allerdings nicht mehr. Als sein Körper förmlich nach Luft schrie und er in seiner maßlosen Panik keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, schleuderte er die Spitze weg und zerrte abermals vergeblich an der Schlinge.

      Erst nachdem eine unglaubliche Hitzewelle über ihn hinwegrollte, zog es ihn zurück in das Geschehen, das über ihm tobte. Noch bevor ihm bewusst wurde, was dort gerade passierte, gab der Strick um seinen Hals nach und er fiel, wobei er sich geistesgegenwärtig an die Grubenwand drückte, um nicht doch noch von den bedrohlich aufgerichteten Pfeilspitzen aufgespießt zu werden.

      Dantra holte so tief Luft, wie er nur konnte. Er saugte sie in sich hinein wie das pure Leben. Allerdings war es leider der Tod, den er einatmete. Und so wurde nun doch noch seine Magensäure samt dem letzten dort verbliebenen Frühstücksbrocken zutage gefördert. Es war ein Teufelskreis. Immer noch unter Atemnot leidend, saugte er den verfaulten Verwesungsgestank, der hier unten noch wesentlich intensiver war als oberhalb der Grube, in sich auf und erbrach sich daraufhin erneut, was seinen Luftvorrat wiederholt schwinden ließ. Er versuchte sich aufzurichten, den rettenden Grubenrand zu erreichen, um endlich frische Luft atmen zu können. Doch nach einem ohrenbetäubenden Krachen wurde er sofort wieder unsanft hinuntergedrückt. Das Tageslicht erlosch und ein harter Schlag gegen seinen Kopf ließ seine Sinne zum zweiten Mal am heutigen Tag schwinden.

      *

      Kapitel 6

      Der immer wiederkehrende Traum, wenn er am Vortag seine Kraft genutzt hatte, weckte Dantra auf. Schmerzen. Das war das Erste, was er wahrnahm. Unerträgliche Kopfschmerzen. Als hätte sich ein Grubentroll mit seinem ganzen Gewicht und dem Ellenbogen voran auf seinen Schädel geworfen.

      Sein Geruchssinn war das Zweite, was die Arbeit wieder aufnahm. Der unverminderte Verwesungsgestank ließ ihm keinen Moment der Besinnung. Er holte ihn so schlagartig in die Realität zurück, wie er ihr entkommen war. Dantra riss seine Augen auf und blickte direkt in das aufgedunsene blassblaue Gesicht seines Grabmitbenutzers, von dem er keine Handbreit entfernt lag. Erschrocken und angeekelt zog er seinen Kopf so weit zurück, wie es ihm in dem schmalen Erdloch möglich war. Das bisschen Sonnenlicht, das sein vermeintliches Grab schwach erhellte, ließ die kleinen schneeweißen Maden, die dem Toten aus Mund, Nase und Augen krochen, leuchten, wodurch sie sich auf skurrile Weise von ihrem leblosen Untergrund abhoben. Wenn man sie so betrachtete, wie sie sich wanden und kräuselten, machte es den Anschein, als feierten sie ein großes Festbankett, bei dem nicht nur gut gespeist, sondern auch fröhlich getanzt wurde.

      Ein leichtes Kribbeln auf der Lippe ließ Dantra einen Ekelschauer über den Rücken laufen, wie er es noch nie erlebt hatte. Er wischte, fast schon schlagend, aus seinem Gesicht, was dort nicht hingehörte. Schlamm, getrocknetes Blut und Reste seines Erbrochenen, in dem er gerade noch gelegen hatte. Erst als er durch seinen Ärmel atmete, um den Gestank, so gut es ging, fernzuhalten, schaffte er es, sich zu beruhigen und sich auf seine Situation zu konzentrieren. Er lag zusammengekauert unter dem oberen Teil des Stammes, an den er zuvor noch


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