Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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Innentasche, aus der er auch schon den Krato geangelt hatte. Er brach das Siegel und warf einen Blick darauf. Doch als er die vielen Namen und verschiedenen Zeichen sah, siegte sofort wieder das Desinteresse an allem. Dantra rollte die Karte wieder zusammen und verstaute sie. Dabei weckte irgendetwas Kleines, Hartes, das ebenfalls in der Innentasche lag, seine Aufmerksamkeit. Er zog es mit zwei Fingern durch die schmale Öffnung und zu seiner großen Verwunderung hielt er wieder den Krato in seiner Hand.

      Wie konnte das sein? Hatte er vergessen zu zahlen? Unmöglich. Bei Fremden, die aussahen wie er, warteten die Leute nur darauf, dass sie ihm etwas anhängen konnten, um ihm seine gerechte Bestrafung zukommen zu lassen. Wahrscheinlich hatte nicht nur der Händler akribisch darauf geachtet, dass er sein Geld bekam, auch sämtliche Leute um ihn herum konnten, wenn auch nur widerwillig, sicher bezeugen, dass er bezahlt hatte. Aber wie war es dann möglich, dass er das Geldstück in seiner Hand hielt? Je länger Dantra darüber nachdachte, desto unsicherer wurde er, ob er nicht vielleicht zwei Geldstücke von E’Cellbra bekommen hatte. Ungläubig drehte er die Münze in seiner Hand und versuchte, sich abermals zu erinnern, was die Hexe alles über den Krato gesagt hatte.

      Das laute Knacken und Brechen von Ästen ließ ihn aufschrecken. Noch bevor er überhaupt in irgendeiner Weise reagieren konnte, stand schon der Nalc vom Pranger in seiner vollen Lebensgröße vor ihm und blickte nicht weniger erstaunt auf ihn herunter. Sein Gesichtsausdruck wechselte allerdings ziemlich schnell in ein grimmiges, missbilligendes Mustern. Nach einem kurzen dunklen Knurren ließ das Wesen den Sack, den es über seinen breiten Schultern trug, zu Boden fallen und ging auf die andere Seite des Baumes.

      Dantra, der kurzzeitig befürchtete, dass sein erlösendes Ende ihn schneller heimsuchte als vermutet, drehte sich nun langsam und ohne mehr Bewegungen als unbedingt nötig herum, um den Nalc und sein Treiben besser beobachten zu können. Dieser hatte seinen Arm in eine tiefe Baumspalte, die Dantra bis dahin gar nicht aufgefallen war, versenkt und zog einen zweiten etwas größeren Sack aus einem hohlen Teil des Stamms. Er legte ihn neben den anderen, wobei das Klappern und Scheppern von Metall zu hören war. Nach einem erneut argwöhnischen Blick auf Dantra, entfernte sich der Nalc kurz und nach einigem Ästebrechen kehrte er mit einem Bund Brennholz in seinen Pranken zurück. Er entstammte einem Volk, das den Kampf liebte. Die Schmach, die er in der kleinen Stadt über sich ergehen lassen hatte, war in Dantras Augen schon mehr als seltsam. Doch was jetzt passierte, warf seine Vorstellung von den im ganzen Land gefürchteten Nalcs vollends über den Haufen.

      Nachdem der Koloss ein Feuer entzündet hatte, baute er eine Konstruktion aus Eisenstangen über den Flammen auf und hängte einen mit Wasser gefüllten Kupferkessel daran. Danach zog er den aus der Stadt mitgebrachten Sack zu sich heran, holte Möhren, eine Steckrübe und einige andere Gemüsesorten daraus hervor und begann damit, sie zu schälen und zu schnippeln. Kurz, er begann zu kochen. Er machte eine Arbeit, die in der Welt, wie Dantra sie kannte, Frauen und nur Frauen vorbehalten war. Selbst wenn es nur die Vorspeise werden sollte und er ihm anschließend den Kopf abriss, um ihn als Hauptgericht über dem Feuer schmackhaft zuzubereiten, hatte sein ansonsten angsterregendes Auftreten in Dantras Augen doch arg durch dieses Verhalten eingebüßt. Der Zweifel, ob die Dinge, die er bei den Schwestern über Jahre gelernt hatte, der Richtigkeit entsprachen, war stets groß gewesen. Nun nahmen diese aber ganz neue Dimensionen an.

      Dantra war sich nicht sicher, was er tun sollte. Der Nalc hatte sich mit dem Rücken zu ihm gedreht. Sollte er versuchen, ihn von hinten zu überwältigen? „Er würde mich wahrscheinlich abschütteln wie eine Fliege“, überlegte er. Aber die Gelegenheit zur Flucht war gut. „Sicher bin ich ihm körperlich unterlegen, aber im Weglaufen hätte ich die gleiche Chance wie ein Hase, der vor einem alten Wolf flieht. Ein paar Haken im richtigen Moment geschlagen und ich könnte ihn sicher abhängen.“

      Ein erneutes lautes Knurren ließ Dantra aufhorchen. Er hätte es nie für möglich gehalten, dass ein Magen so laut grummeln konnte. Vor allem nicht sein eigener. Der Nalc drehte sich zu ihm um und sah ihn fragend an. „Du bist ja immer noch hier!“ Seine Stimme hatte erschreckende Ähnlichkeit mit Dantras Bauchgeräuschen. Das Geschöpf drückte sein Kreuz durch und hob die Schultern. „Ich bin ein Nalc! Töten ist meine Bestimmung.“ Es verlieh seinen Worten einen bedrohlichen Unterton. „Also lauf, so schnell du kannst, nach Hause zu Mama und Papa. Bevor ich dir dein dürres Genick breche und dir die Haut vom Leib ziehe.“

      Der Hüne vor ihm schien zu allem entschlossen, und Dantra hatte Bedenken, ob seine magische Kraft ausreichen würde, um diesen Muskelberg umzustoßen. Daher stand sein Entschluss fest. Wenn er irgendetwas aus dem Tod seiner Schwester gelernt hatte, dann, dass es Momente im Leben eines Mannes gab, in denen man laufen sollte. Aber beim Nachdenken, in welche Richtung er die Flucht antreten sollte, übernahm sein Magen die Kontrolle über seine Zunge. „Ich habe Hunger!“ Sie sahen sich verdutzt an, denn für beide kam die Aussage überraschend, und irgendwie war sie auch fehl am Platz.

      Der Nalc wandte sich wieder seinem Topf zu und fiel zurück in seine geknickte Haltung. „Na, dann setz dich zu mir, die Suppe ist gleich fertig.“ Dantra war jemand, der immer eine Antwort, eine Ausrede oder ein Gegenargument parat hatte. Jetzt jedoch ging sein Mund zwar auf, heraus brachte er aber keinen einzigen Ton. Er zweifelte an seinem Gehör, seinem Verstand, der ganzen surreal wirkenden Situation. Als hätte sein Magen nun auch noch seine Beine unter Kontrolle gebracht, stand er auf und setzte sich dem Nalc gegenüber. Er sah durch den herrlich duftenden Dampf, der aus dem Kessel aufstieg, in das Gesicht seines Gegenübers. Das Flackern des Feuers verlieh ihm einen roten Schimmer und die Hitze ließ es unkontrolliert zucken. Ein Umstand, der seine grimmige und zerknautschte Miene nicht gerade freundlicher machte. Doch in seinen Augen, die starr auf die Suppe gerichtet waren, während er sie umrührte, war kein Krieger oder gar Mörder zu erkennen. Sie sahen traurig aus. Irgendwie hilflos. Dantra brauchte einen Moment der Suche, bis er die richtige Beschreibung gefunden hatte. „Gebrochen! Eine Statur, bedrohlicher als die eines Bären, aber seine Seele ist gebrochen“, deutete er, was er sah.

      Die Dämmerung war nun schon so weit vorangeschritten, dass die ersten Fledermäuse ihre Bahnen zogen. Der Nalc hatte eine zweite Holzschale aus seinem übergroßen Baumwollsack gezogen und sie bis zum Rand gefüllt. Als er sie anschließend Dantra reichte, entschuldigte er sich dafür, dass er keinen zweiten Löffel hatte. „Hab bisher nur selten oder besser gesagt noch nie einen Gast zum Essen gehabt.“

      Nachdem Dantra die Hälfte der außerordentlich leckeren Suppe geschlürft hatte, fasste er den Entschluss, seine immer noch vorhandene Befürchtung vorübergehend beiseitezuschieben, er könnte doch noch selbst als Hauptgericht in diesem Kupferkessel enden, verfeinert mit Rosmarin und Petersilie. Stattdessen brach er sein ihm mittlerweile selbst peinliches Schweigen. „Schmeckt sehr gut“, sagte Dantra so leise, dass er es fast selbst nicht gehört hätte.

      Der Nalc sah auf und nach einem verblüfften Blick folgte ein breites Grinsen. Seine daumendicken Zähne schienen dabei links und rechts an den Ohren anzuschlagen. „Danke“, erwiderte er leicht verlegen. „Die nächste Suppe mache ich mit Fleisch. Dann schmeckt sie noch besser.“ Sofort kehrte Dantras Befürchtung wieder zurück. „Aber die wirst du leider nicht mehr schmecken können“, fuhr der Nalc fort, „bist dann ja nicht mehr da.“

      Dantra sprang auf und schrie ihn an: „Du wirst mich nicht fressen!“ Er schleuderte dem Geschöpf eine Salve seiner magischen Kraft entgegen, die nicht nur den Topf wegschleuderte und das Feuer löschte, sie warf tatsächlich sogar den Riesen schlagartig auf den Rücken. Selbst den unerschütterlich wirkenden Baum drückte es mit einem lauten Knacken leicht nach hinten und mit demselben Ächzen kehrte er wieder in die ursprüngliche Position zurück. Dann geschah das anscheinend Unvermeidliche: ein brachialer Schmerz in Dantras Schädel. Und wieder wurde es schwarz um ihn herum.

      Von irgendwoher brummte eine Stimme: „Bist du tot?“

      Ein merkwürdiger Geruch stieg Dantra in die Nase, sodass er kurzzeitig das Gefühl bekam, er wäre immer noch in dem Loch auf der Lichtung, in dem er nach dem Drachenangriff aufgewacht war. Der erste Blick, nachdem er seine Augen geöffnet hatte, ließ diese unangenehme Befürchtung allerdings ganz schnell in eine ausgewachsene Panik münden. Der Nalc hatte sich eine Handbreit über sein Gesicht gebeugt und der ekelhafte Geruch stammte eindeutig


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