Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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abgesetzt war, hing so tief nach vorn, dass man unmöglich das Gesicht erkennen konnte. In der Hand hielt sie einen Bogen, allerdings nicht kampfbereit mit der Sehne nach hinten, sondern entspannt herunterhängend. Und da keine Pfeile zu sehen waren, ging Dantra nicht von einer Gefahr aus. Er hatte seiner Meinung nach viel aus seinen Fehlern gelernt und fühlte sich bei seiner Einschätzung der Lage daher sehr sicher. Aber dennoch oder gerade deswegen würde er die Person nicht aus den Augen lassen, bis sie an ihnen vorbei war. Genau wie er jeden anderen gewissenhaft beobachtet hatte, dem er heute schon begegnet war. Egal, ob Mann oder Frau. Und selbst Kinder hatten keinen naturgemäßen Vertrauensbonus bei ihm. Und das, obwohl es, während er mit Comal an seiner Seite unterwegs war, keinen Grund für seinen Argwohn gab. Eher im Gegenteil, denn die meisten, die ihren Weg gekreuzt hatten, waren einige Schritte in den Wald hinein verschwunden, wo sie ängstlich gewartet hatten, bis der Nalc und er vorüber waren.

      Dantra schielte zu Zorg. Der hatte abermals sein Haupt gesenkt und kratzte sich dabei die Stirn, als wollte er unauffällig sein Gesicht verbergen. Den Blick wieder nach vorne gerichtet, sah Dantra noch für den Bruchteil einer Sekunde eine Pfeilspitze auf sich zujagen. Unfähig, noch auszuweichen oder gar Gegenmaßnahmen zu ergreifen, nahm er das markerschütternde Geräusch war, welches entstand, wenn ein Pfeil in Fleisch, Muskeln und Knochen eintrat. Und wieder wartete er auf den unausweichlichen Schmerz, der zu seiner Erleichterung aber auch dieses Mal ausblieb. Stattdessen nahm er im Augenwinkel wahr, wie Zorg leblos von seiner Schulter fiel. Er schaute auf ihn hinab. Der Wurzeltroll lag auf dem Rücken, während der hochragende Pfeilschaft seine breite Stirn bizarr entstellte. Dantra fasste instinktiv nach dem Griff seines Schwertes. Doch im selben Moment wurde er zu Boden geworfen. Allerdings weniger durch Kraft als vielmehr durch Geschick und Schnelligkeit. Er fand sich in einer Umklammerung wieder, die es ihm unmöglich machte, sich zu drehen, geschweige denn aufzustehen. Mit einem hässlichen Knacken wurde Zorg der Pfeil aus dem Schädel gezogen und sogleich stieg leichter, gelbgoldener Rauch aus der Wunde empor. Ehe Dantra sich versah, wurde er schon mit geöffnetem Mund auf das qualmende Loch gedrückt. Abermals begann er, mit seinem Brechreiz zu kämpfen. Er wollte die Luft anhalten, um nichts von dem ekelerregenden Rauch in sich aufzunehmen, ein gezielt angesetzter Fingerdruck an seinem Hals ließ ihn jedoch ungewollt tief einatmen. Erst jetzt wurde der Griff gelöst und Dantra drehte sich hustend um. Wieder fuhr seine Hand zum Schwert. Oder besser dahin, wo es eigentlich sein sollte. „Wo ist mein Schwert?“, dachte er. Dantra sah auf. Der Angreifer stand mit gezogenem Schwert vor ihm. Unter normalen Umständen wäre es spätestens jetzt an der Zeit gewesen, seine magische Kraft einzusetzen. Aber sein Gegenüber bedrohte ihn nicht mit der Waffe, er betrachtete sie nur, als hätte er noch nie zuvor etwas Derartiges gesehen. Das Schwert, das er in den Händen hielt, hatte exakt dieselbe Länge wie das von Dantra. Auch der Griff hatte die gleiche Form. Nur war dieser aus Stahl, überzogen von glänzendem Gold und Silber. Und wenn Dantra seinen Augen trauen konnte, so umgab die Klinge eine Art Diamantenstaub. Denn sie funkelte und leuchtete wie ein in die Länge gezogener Stern. Es war ein Anblick, der staunende Bewunderung und Furcht vor der Unbesiegbarkeit im gleichen Maße hervorrief. Es war eine von purer Magie erfüllte Szene.

      Mit einem leisen Zischen wurde das Schwert zurück in die Scheide geschoben, die ihrerseits in glänzendem Schwarz gehalten war, veredelt mit silbernen Verzierungen und Runen. „Wem hast du das Schwert gestohlen?“ Die Stimme, die unter der immer noch tief ins Gesicht gezogenen Kapuze hervorkam, klang eindeutig zu hoch für einen Mann.

      „Ich habe es nicht geklaut!“, antwortete Dantra beleidigt, während er sich noch immer suchend nach besagter Waffe umsah.

      „Vermisst du irgendetwas?“, wollte die weibliche Stimme wissen.

      „Würde ich sonst suchen?“, brummelte Dantra zurück. „Ich kann mein Schwert nicht finden.“

      Nach einer kurzen Pause des Schweigens richtete sie erneut das Wort an ihn. „Hast du bis gestern in irgendeinem dunklen Kellerloch gelebt?“

      Eine Frage, die Dantra eigentlich ruhigen Gewissens mit Ja hätte beantworten können. Da er die Frage allerdings eher als Beleidigung und nicht als ernst gemeint auffasste, antwortete er nur gereizt: „Erwecke ich irgendwie den Eindruck?“

      „Würde ich sonst fragen?“, bekam er ebenfalls gereizt zu hören. „Hier hast du das Schwert wieder, von dem du behauptest, es sei deines.“ Die geheimnisvolle Fremde warf ihm die wunderschön gearbeitete Waffe zu, die sie eben so genau inspiziert hatte. Noch während diese den kurzen Weg zu seinen Händen durch die Luft zurücklegte, veränderte sie sich und Dantra fing sein altes, zerbrechlich aussehendes Schwert auf. Nun war er es, der die Klinge ansah, als hielte er sie zum ersten Mal in den Händen. „Bist du eine Magierin?“, fragte er fasziniert und bewundernd zugleich.

      „Nein, ich bin nur das, was ich bin.“

      „Und was bist du?“ Dantra war aufgestanden und versuchte vergebens, ein Gesicht unter der Kapuze zu entdecken.

      „Im Moment bin ich hauptsächlich genervt.“ Eine Antwort, die Dantra in Tonfall und Aussagekraft stark an E’Cellbra erinnerte. Er wollte gerade etwas erwidern, als die Fremde ihre Kapuze abstreifte und ihm damit den Blick auf ihr Gesicht gewährte. Sie hatte blaue Augen, die einen Hauch Bedrohlichkeit ausdrückten, da sie mit schwarzer Farbe dezent untermalt waren. Er bemerkte die Perfektion von Nase und Mund sowie ein leicht markantes Kinn, und das alles war umhüllt von rotbraunem, glattem Haar.

      „Also sag schon“, schimpfte sie erneut los, „warum irrst du herum, ohne zu wissen, was für Gefahren hier lauern und wie man sich gegen sie schützt?“

      „Ich weiß um die Gefahren, und glaub mir, wenn ich wirklich will, kann ich mich auch jederzeit gegen sie zur Wehr setzen“, motzte Dantra gekränkt zurück.

      „Ach ja? Und warum bitte läufst du dann mit einem Hautgnom auf der Schulter durch den Wald?“

      „Hautgnom? Quatsch. Das war ein liebenswerter und freundlicher Wurzeltroll. Zumindest, bis du ihn ermordet hast.“

      „Wurzeltrolle sind nicht größer als dein Daumen. Und du kannst sie hervorragend an ihrer Intelligenz erkennen, die deine um ein Vielfaches übersteigt.“ Dantra öffnete schon den Mund, um sich zu rechtfertigen, kam aber nicht dazu. „Das hier ist ein Hautgnom. Er ernährt sich von deiner Lebenskraft, die er dir aus dem Körper saugt, indem er einfach nur deine Haut berührt. Du wirst älter und älter. Noch ein, zwei Stunden länger und du wärst tot zusammengebrochen.“

      Dies war eine Vorstellung, die Dantra gar nicht behagte. Mit Sorgenfalten auf der Stirn sah er auf den Leichnam hinunter und fragte bekümmert: „Meinst du, er hat mir schon viel Zeit geraubt?“

      „Ja.“ Die Antwort war nicht nur ehrlich, sondern auch hart. Dantra schluckte. „Aber da ich dich über die Eintrittswunde des Pfeils gedrückt habe, hast du die gestohlene Lebenskraft mit dem Einatmen wieder aufgesaugt.“

      Erleichterung machte sich auf Dantras Gesicht breit. „Woher weißt du das alles? Und wie kann man sich eigentlich gegen so ein Ding schützen, wenn man in der Nacht schläft? Und bist du wirklich keine Magierin?“

      „Deine Fragerei nervt!“

      „Tja, das höre ich nicht zum ersten Mal. Aber dass ich keine Ahnung davon habe, wie man sicher reist, ohne ununterbrochen um sein Leben bangen zu müssen, liegt wohl daran, dass ich nie Antworten auf meine zahllosen Fragen erhalte, sondern immer nur die Aussage, dass ich nerve! Und das nervt mich!“ Er untermalte seine Ansprache eindrucksvoll mit erhobenem Zeigefinger.

      Sie sah ihn erst einen Moment lang schweigend an, dann antwortete sie, ohne dabei mehr Wörter zu benutzen als unbedingt nötig. „Ich weiß das alles, weil ich schon viele Jahre unterwegs bin. Ein Hautgnom kann dir nur die Lebenskraft stehlen, wenn du ihm erlaubst, dich zu berühren. Und nein, ich bin keine Magierin! So, nun bist du dran. Woher hast du das Schwert?“

      Eine Information, mit der Dantra eigentlich nicht hausieren gehen wollte. Die Bekanntschaft einer Hexe zuzugeben, war nicht ungefährlich. Und um kein Risiko einzugehen, wollte er ihr auch nicht E’Cellbras Namen nennen. Also antwortete er ebenfalls mit Zurückhaltung. „Ich habe es geschenkt bekommen.“


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