Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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hatten den gut 50 Schritt langen Gang, an dem rechts und links glatte Steinwände emporstiegen, fast durchschritten, als ein zweites Tor folgte. Der Sinn dieser Anlage war selbst Dantra ungefragt klar. Angreifer, die das erste Tor durchbrochen hatten, müssten unter heftigem Pfeilbeschuss und auf sie niederregnendem brennendem Öl das zweite Tor ebenfalls durchbrechen. Eine Hölle auf Erden. So ein Unternehmen wäre schon aufgrund der vielen Toten zum Scheitern verurteilt. Wer konnte schon einem Rammbock Schwung geben, wenn er dabei über Leichen stolperte?

      Als sie das zweite Tor passiert hatten, dessen Flügeltüren ganz offensichtlich ebenfalls keine schützende Funktion mehr zu erfüllen hatten, standen auf jeder Seite der Straße je drei Zerrocks. Sie waren in Stadtuniformen gekleidet. Fünf von ihnen trugen eine dunkelgrüne Mannschaftstracht und einer eine marineblaue Vorgesetztenuniform von niedrigem Rang. Die Bekleidung war maßgeschneidert. Eine Gegebenheit, die selbst einem Laien auffiel. Und was ebenfalls markant ins Auge stach, waren die silberfarbenen Enden ihrer Jackenknopfleisten. Sie waren aus dünnem Metall gefertigt, das bei jeder Bewegung auf die darunterliegende Gürtelschnalle traf und dabei ein deutlich zu hörendes Klacken abgab. Die Uniform war damit unbrauchbar zum Anpirschen oder für den Nahkampf. Aber diesen Zweck sollte sie auch gar nicht erfüllen. Vielmehr sollte sie jeden, der sich in der Nähe aufhielt, daran erinnern, dass ihre Träger es nicht nötig hatten, sich vor irgendjemandem zu verstecken. Denn die Kampfkraft, die hinter jedem noch so kleinen Zerrocktrupp steckte, war tödlich. Es war nicht nur allseits bekannt, dass es einen oder mehrere Drachen gab, die es irgendwie wahrnehmen konnten, wenn man sie verspottete, sondern auch, dass ein in die Enge getriebener oder gar getöteter Zerrock sofort einen Drachenangriff auslöste.

      Die Männer schienen jeden genau zu mustern, der an ihnen vorbei in die Stadt wollte. Hin und wieder stoppten sie einige Leute und zerrten ihnen die Hüte oder Kapuzen, die zu tief ins Gesicht gezogen waren, herunter, um sie eindeutig zu identifizieren. Der Vorgesetzte hielt einige Papyrusrollen in den Händen, die er bisweilen abwickelte, um sie neben eine der gestoppten Personen zu halten und deren Gesicht mit den Abbildungen zu vergleichen.

      Dantra war sofort klar, dass die Wächter nicht hier standen, um das Gesindel von der Stadt fernzuhalten, sondern um gesuchte Personen dingfest zu machen. War sein eigenes Gesicht auf einer der Rollen? Hatte man irgendwie herausgefunden, dass er es gewesen war, der die Drachen beleidigt hatte, und dass er den darauffolgenden Angriff überleben konnte? Sein Magen spiegelte augenblicklich seine sprunghaft aufgekommene Nervosität in Form von Schmerzen wider. Dantra schob sich so unauffällig wie möglich hinter Comal. Dieser würde die Zerrocks sicher schon allein durch sein Erscheinungsbild ablenken, sodass er mit etwas Glück durch die Kontrolle huschen konnte.

      Der erste Zerrock, den er passierte und den er dabei aus dem Augenwinkel heraus anschielte, hatte anscheinend keinerlei Notiz von Comal genommen. Dantras eigenes, leider viel zu auffälliges Verhalten hatte allerdings sein Interesse geweckt. Mit einem Kopfnicken und einem richtungsweisenden Blick hatte er einem seiner Kameraden ein Zeichen gegeben, in dessen Folge Dantra einen festen Handgriff an seinem Unterarm spürte.

      „Stehen bleiben!“ Einer der Zerrocks hatte ihn ein Stück zur Seite gezogen und ihm dabei seinen Arm auf den Rücken gedreht. Mit der anderen Hand hatte er Dantras Kragen gepackt und zog so sein Gesicht nach oben. Der Vorgesetzte rollte den Papyrus aus und verglich jedes Bild akribisch genau mit Dantras Gesicht.

      Comal, der stehen geblieben war, als er bemerkte, dass man Dantra aus der Menge gepflückt hatte, wurde sofort von einem auf der anderen Seite stehenden Zerrock angewiesen weiterzugehen. Er tat wie ihm geheißen. Ob aus Angst vor einer möglichen Bestrafung oder weil er nach einem Blick auf Akinna bemerkt hatte, dass sie keinerlei Anstalten machte, ihrerseits innezuhalten, wusste Dantra nicht. Aber die Tatsache, dass sie ihn alleine ließen, ärgerte ihn. Egal. Eines war sicher: In dem Moment, in dem er als Gesuchter identifiziert werden würde, hätten die Zerrocks mit ihrer arroganten Art, die sie ihm und den anderen Normalsterblichen entgegenbrachten, fürs Erste verspielt. Denn eine Festnahme mit einer anschließenden Einkerkerung war keine Option, die Dantra in Betracht zog. Er atmete tief durch und sammelte seine Konzentration. Doch mit einem plötzlichen Ruck wurde er zurück in die Menge gestoßen, die ihn sofort mitriss und weiter in die Stadt trieb. Entweder hatten sie ihn nicht erkannt, oder er war nicht auf diesen Abbildungen vertreten. In jedem Fall fiel Dantra eine große Last von den Schultern.

      „Wieso seid ihr einfach weitergegangen, als wenn nichts gewesen wäre? Und erzählt mir jetzt nicht, ihr hättet nicht mitbekommen, dass die Zerrocks mich aufgehalten haben.“ Akinna und Comal hatten in einer Seitenstraße auf Dantra gewartet, der sich nun beleidigt vor ihnen aufgebaut hatte.

      „Warum sollten wir uns für deine Dummheit in Gefahr bringen?“, entgegnete ihm Akinna seelenruhig, während Comal, den anscheinend das schlechte Gewissen plagte, verschämt seine Füße musterte. „Ich bin eine Elbin und verhülle dennoch nicht mein Gesicht vor den Zerrocks“, erläuterte Akinna Dantra ihre Verhaltensweise. „Comal ist ein Nalc, und selbst er weiß, wie man in ihrer Gegenwart aufzutreten hat. Aber Herr Dantra ist natürlich so wichtig, dass er sich verstecken muss und sich dabei so dämlich anstellt, dass es selbst einem halb verhungerten Straßenköter auffällt. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“

      Dantra stellten sich die Nackenhaare auf. Er fühlte sich von seinen Weggefährten im Stich gelassen, und anstatt einer Entschuldigung bekam er nur wieder Vorwürfe und Zurechtweisungen zu hören. „Falls du es schon wieder vergessen hast: Ich habe vor zwei Tagen alles andere als nette Worte über einen Dr...“

      „Psst!“ Mit einem synchron ausgestoßenen Zischlaut ermahnten Akinna und Comal Dantra, seine Wortwahl zu überdenken.

      „... ein Feuer gelegt“, führte er nun den Satz zu Ende. „Woher sollte ich also wissen, ob sie nicht nach mir suchen?“

      „Selbst wenn ihnen bekannt wäre, dass es dich und deine Geschichte gibt, so würden sie nicht nach dir suchen, sondern deine Existenz vehement abstreiten. Wenn bekannt werden würde, dass man so etwas überleben kann, würde ihnen eine große Portion Respekt, der fast ausschließlich durch Angst vor dem sicheren Tod genährt wird, verloren gehen. Oder um es für dich nochmals einfach auszudrücken: Wenn sie jeden suchen wollten, der schon einmal fast an seiner eigenen Kotze erstickt wäre, hätten sie verdammt viel zu tun.“ Mit einem Schwung, der ihren Umhang hochwirbeln ließ, drehte sich Akinna um und stapfte davon. Nach einigen Schritten machte sie noch einmal kehrt und befahl: „Bei Einbruch der Dämmerung treffen wir uns hier wieder.“ Dann verschwand sie endgültig hinter einer Hausecke.

      „Temperament hat sie, das musst du ihr lassen“, brummte Comal und grinste dabei breit auf Dantra hinunter.

      „Wo ich herkomme, nennt man so was zickig“, gab dieser knurrig zurück und marschierte dann genauso trotzig los wie kurz zuvor Akinna.

      Bis zum Anfang des sternförmig angelegten Marktplatzes gingen sie noch gemeinsam, doch dort blieb Comal stehen und zog einen Wasserschlauch unter seiner Fellweste hervor. Er grinste Dantra erneut zu. „Auf ein gutes Geschäft“, jauchzte er, als wäre er sturzbetrunken. Dann nahm er einen großen Schluck Wasser in den Mund, ließ die Hälfte über seinen zerzausten Bart laufen und wankte los. Er lallte ein unverständliches Lied und rempelte dabei einige wichtig aussehende Leute an.

      Die ersten Rufe nach dem Stadtdullpin ließen nicht lange auf sich warten. Ein kleiner, untersetzter Mann stürmte herbei und blieb schnaufend vor Comal stehen. Natürlich war ihm sofort klar, wie er mit dem Nalc zu verfahren hatte, jedoch ließen die Bedenken, einem solchen Riesen Anweisungen zu geben, sein Pflichtbewusstsein hintenanstehen. Hektisch begann er, in drei verschiedene Richtungen mit den Armen zu fuchteln, und kurz darauf kamen vier Hilfsdullpins sowie drei Zerrocks herbei.

      Direkt neben Dantra stand ein edel gekleideter, weißbärtiger Mann mit seiner Gattin, der die Entrüstung über diesen Vorfall ins Gesicht geschrieben stand. „An den Pranger mit diesem Saufbold!“, schrie er, und sie sowie einige andere, die das Geschehen beobachtet hatten, gaben lauthals ihre Zustimmung zu dieser tadelnden Maßnahme. Während die Stadtbediensteten Comal stützten, damit er nicht umfiel, betrunken, wie er war, und ihn in Richtung Marktmitte schoben, drehte dieser noch einmal seinen Kopf und zwinkerte Dantra siegessicher


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