Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

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der Nalc. „Ich führe ohnehin an jedem Morgen eine Schlacht.“

      „Gegen wen?“, fragte Dantra erstaunt.

      „Gegen die Gleichgültigkeit. Soll ich aufstehen und leben oder bleib ich einfach liegen, bis mich der ewige Schlaf heimsucht?“ Dem Nalc fiel wohl auf, dass er mit dieser Aussage die bei Dantra gerade aufgeflammte gute Laune im Keim erstickte, denn er wechselte sofort das Thema, wobei er sich bemühte, möglichst ausgelassen und fröhlich zu klingen. „Sag mal, wie heißt du denn?“

      „Dantra.“

      „Dantra, aha. Ist ja ziemlich kurz. Hat es irgendeine Bedeutung?“

      „Nicht, dass ich wüsste“, antwortete dieser achselzuckend.

      „Schade. Leichte Brise hätte gut gepasst“, sagte Comal und erneut trat ein breites Grinsen in sein Gesicht. Auch Dantra musste lachen, nachdem er begriffen hatte, dass der Nalc mit Leichte Brise die magische Kraft meinte, mit der er zuvor ungebeten Bekanntschaft gemacht hatte.

      Sie redeten und scherzten die halbe Nacht lang. Und Dantra bedauerte es, als die Müdigkeit ihn besiegte und er seine Augen nicht mehr offen halten konnte. Kurz vor dem endgültigen Einschlafen wurde ihm noch der harte Kontrast klar: Der Tag hatte mit dem Tod begonnen, um nun mit dem Leben zu enden.

      ***

      Es knackt. Es bricht. Endlich!

      Endlich frei. Oder?

      Egal. Strecken. Unbedingt strecken.

      Was auch immer das ist, ich muss es tun.

      *

      Kapitel 7

      Dantra schreckte hoch. Da war er wieder. Sein rätselhafter Albtraum. Erst das unglaubliche Getöse irgendwo über ihm. Dann die quälend heiße Luft, die den schmalen Grubengang entlangrollte. Der tödlich verletzte Mann bei seinem letzten Atemzug. Und zum Schluss der gellend laute Schrei, der ihn schließlich weckte.

      Comal, der im selben Moment unbeholfen durch die Kirschlorbeerbüsche gestolpert kam, fing sofort an, sich zu entschuldigen. „Oh, tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. War keine Absicht.“

      Dantra rieb sich den Schlaf aus den Augen. „War nicht deine Schuld. Ich habe schlecht geträumt.“

      Besorgt sah sein neuer Freund ihn an. „Kam ich in diesem Traum vor?“, fragte er verunsichert.

      Dantra lachte kurz auf, merkte aber rasch, dass dem Nalc die Antwort anscheinend sehr wichtig war. „Nein“, beruhigte er ihn, „ich habe den Traum öfter. Er hat nichts mit dir zu tun.“

      „Dann ist ja gut. Hier, ich habe uns ein paar Beeren zum Frühstück gesammelt.“ Er reichte Dantra die Schüssel, aus der er am Vorabend auch schon die Suppe gegessen hatte und die nun bis zum Rand voll mit roten und blaulila Beeren war.

      „Kann man die denn alle essen?“, fragte Dantra skeptisch.

      „Nun, ich weiß nicht, ob ein Nalcmagen mehr verträgt als der eines Menschen, aber vom Geschmack her werden sie dir alle munden, da bin ich mir ganz sicher. Und ich denke, wenn welche von ihnen so giftig sind, dass sie dich umbringen können, dann würde ich doch zumindest eine Magenverstimmung von deren Verzehr bekommen, oder? Aber da das bisher noch nie passiert ist: Hau rein!“

      „Klingt logisch“, dachte Dantra und ließ sich von dem frischen, süßen Geschmack der Beeren begeistern.

      Nachdem sie in aller Ruhe die Schüssel geleert und ihre Sachen zusammengepackt hatten, marschierten sie gemeinsam los. Nach einigen Schritten schaute der Nalc auf Dantra herab und fragte ihn: „Wo willst du eigentlich hin?“

      „Wenn ich es mir recht überlege, habe ich gar kein genaues Ziel“, gestand sich Dantra ein. „Aber wenn ich ehrlich bin, will ich auch gar keins haben. Ein Ziel im Auge zu haben, bringt einem nur die Erkenntnis, gescheitert zu sein. Ich dachte, ich könnte vielleicht einige Zeit mit dir umherziehen. Also, natürlich nur, wenn dir das recht ist“, setzte Dantra unsicher hinzu.

      „Aber klar ist mir das recht.“ Der Nalc schlug Dantra mit seiner riesigen Hand begeistert auf die Schulter. Eine Geste der Freude und Freundschaft. Zweifellos. Jedoch fiel sie so heftig aus, dass Dantra Mühe hatte, nicht umzufallen. „Ich will nach Blommer“, kündigte Comal an. „Dort ist morgen der größte Viehmarkt, den man hier in der Gegend finden kann. Das bedeutet viele Menschen, also viele Hände, die nur darauf warten, einen Nalc mit Gemüse und anderen Leckereien zu bewerfen.“

      Der Wald wurde wieder dichter und der Pfad büßte an Breite ein. Sie waren bereits längere Zeit unterwegs und hatten schon einige Pausen entspannt hinter sich gebracht, als der Nalc Dantra den weiteren Weg erklärte. „Es kommen noch zwei Gabelungen. Halte dich immer rechts, dann kommst du irgendwann an einer kleinen Lichtung vorbei, auf der sich ein Hünengrab befindet. Dort treffen wir uns wieder.“

      „Wieso gehen wir denn nicht gemeinsam weiter?“

      „Ich laufe querfeldein durch den Wald. Dort habe ich bessere Chancen, uns etwas Fleisch für heute Abend zu erlegen.“ Sein Blick schweifte in die Ferne. „Vielleicht treffe ich ja auf ein Wildschwein.“ Dantra konnte es zwar nicht sehen, aber er war sich sicher, dass Comal gerade wasserfallartig selbiges im Munde zusammenlief. Ein kurzes „Bis nachher“ und schon war er im Dickicht verschwunden.

      Nun war Dantra wieder alleine. Alleine mit sich, seinen Gedanken und der Stille um ihn herum. Kurz bevor ihn seine Depressionen eingeholt hatten, hörte er plötzlich wie aus dem Nichts eine leise piepsige Stimme. Sie hatte ihren Ursprung eindeutig direkt hinter ihm.

      „Hallo, seid Ihr auch allein unterwegs?“ Dantra drehte sich um, sah jedoch niemanden. „Hier bin ich“, hörte er die Stimme sagen. „Hier unten.“

      Als Dantra direkt vor seine Füße schaute, blickten ihn zwei große Kugelaugen an. Das Wesen vor ihm reichte ihm gerade einmal bis zum Kniegelenk. Es hatte braune Lederhaut oder war es gar ein Anzug? Der Kopf war eindeutig zu groß für den kleinen Körper. Nase und Mund wiederum zu klein für den Kopf.

      „Ich bin ein Wurzeltroll“, sagte das Geschöpf erklärend, als hätte es gewusst, dass Dantra gerade danach fragen wollte. „Ich heiße Zorg und bin auf dem Weg nach Blommer.“

      „Da will ich auch hin. Und mein Name ist im Übrigen Dantra“, antwortete er ihm.

      „Was für ein Zufall“, freute sich der Wurzeltroll und klatschte begeistert in seine schmalen, aber dafür umso längeren Hände. „Sag mal, Dantra“, Zorg stockte kurz, als wäre ihm die folgende Frage peinlich, „ich bin schon so lange unterwegs und ich könnte mit meinen kurzen Beinen ohnehin nicht mit dir Schritt halten. Hättest du was dagegen, wenn ich mich auf deine Schulter setze und du mich trägst? Ich wiege auch fast nichts. Außerdem befürchte ich, dass es mir sonst gar nicht möglich ist, pünktlich zum Viehmarkt morgen in Blommer zu sein.“ Kaum hatte der Kleine seine Bitte beendet, senkte er auch schon sein Haupt, als erwartete er eine rüde Absage.

      „Aber klar doch“, sagte Dantra. Nicht nur, dass er diesem kleinen Häufchen Troll, so geknickt, wie er dastand, ohnehin nichts abschlagen konnte, er war auch froh, einen neuen Weggefährten getroffen zu haben. Er hätte noch ganz anderes dafür getan, um während Comals Jagdausflug nicht alleine weitermarschieren zu müssen. Und schwer sah der Troll wirklich nicht aus. Dieser drückte seine Freude über Dantras entgegenkommende Antwort in Form eines Jauchzens und erneuten Klatschens aus. Dann zog er sich geschickt an Dantras Sachen hoch und setzte sich auf dessen linke Schulter. Zorg hatte nicht übertrieben. Dantra spürte kaum, dass er auf ihm hockte. Er fühlte lediglich seine kalte Hand am Hals, dort wo er sich an ihm festhielt. Munter schritten sie weiter und es dauerte nicht lange, bis sie in ein Gespräch vertieft waren, als würden sie sich schon seit Jahren kennen.

      Die Sonne stand bereits so tief, dass sie aus dem Wald heraus nicht mehr zu sehen war, als den beiden eine Gestalt entgegenkam. Bisher waren es immer zwei oder noch mehr gewesen, die zusammen reisten. Dass aber


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