Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

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drehten sich. „Ich bin es so leid!“, murmelte er vor sich hin und rieb sich dabei die Stelle an seinem Schädel, wo er den Schlag abbekommen hatte.

      „Was bist du leid?“, fragte der Nalc.

      „Na, was wohl?“, brüllte Dantra ihn an. „Ich habe keine Lust mehr auf Schmerzen in, an und um meinen Kopf herum. Oder darauf, mich in der Dunkelheit zu verlieren, um anschließend beim Öffnen meiner Augen den Tod vor mir zu sehen. Also reiß mir meinen Kopf von den Schultern, aber hör auf, auf ihn draufzuschlagen!“ Die letzten Worte schrie er so laut in den Abendhimmel, als wollte er die ganze Welt ermahnen, davon Abstand zu nehmen.

      Der Nalc sah ihn traurig und gebrochen an. „Es war mein Schwert, das dich am Kopf getroffen hat“, entschuldigte er sich bei Dantra. „Ich hatte es oben im Baum versteckt. Und als du diesen Wind gemacht hast, ist es heruntergefallen. Aber gib mir ruhig die Schuld. Ist schon in Ordnung. Hab es sicher nicht besser verdient.“ Er ging zurück zum Baum, legte sich hin und drehte Dantra dabei den Rücken zu. Dass es eine Steigerung von Fassungslosigkeit gab, war Dantra nicht bekannt gewesen. Doch es musste sie geben, denn das hier war nicht möglich. Es ließ sich nicht mit dem, was er bis zum heutigen Tage gelernt, gelesen, ungesehen geglaubt, befürchtet oder gedacht hatte, vereinbaren. Eine Kreatur, die mehr als das Doppelte seiner eigenen Körpermaße besaß, deren Volk auf seine Gewissenlosigkeit und blutrünstige Gewalt stolz war und die er gerade unvermittelt angegriffen hatte, entschuldigte sich bei ihm für etwas, wofür sie eigentlich gar nichts konnte. Dantras schlechtes Gewissen war im Begriff, ihn zu erdrücken. Und auch wenn er nicht wissen konnte, ob ihn der Nalc vielleicht doch nur zum Narren hielt, beschloss er, die scheinbar albernen Gedanken an sein Ende im Suppentopf endgültig fallen zu lassen und seinem bisher durchweg freundlichen Gastgeber genauso respektvoll zu begegnen, wie er es selbst von diesem erfahren durfte.

      Dantra suchte die weit verstreuten Sachen des Nalcs zusammen und richtete die Kochstelle wieder so her, wie sie vor seinem Ausbruch ausgesehen hatte. Danach entzündete er erneut das Feuer mithilfe der letzten noch verbliebenen Glut und setzte sich davor.

      „Entschuldige“, sagte er reumütig zu dem immer noch abgewandt liegenden Nalc. Dieser jedoch reagierte nicht. „Ich habe deine Gastfreundschaft für unehrlich gehalten“, fuhr Dantra fort. „Ich dachte, es wäre nur eine List, um mich in Sicherheit zu wiegen. Dann habe ich wohl die Nerven verloren und überreagiert. Das ist eigentlich unverzeihlich, aber ...“

      Er verlor sich in der Vergangenheit, und ohne es wirklich wahrzunehmen, erzählte er die ganze bittere Wahrheit. Von seinen von ihm viel zu überschätzten Fähigkeiten mit dem Schwert und von seiner Naivität, seine magische Kraft für unbesiegbar zu halten. Dass er sich hilflos und verloren fühlte, als man mit Pfeilen auf ihn schoss. Dass das Blut seiner Schwester an seinen Händen klebte, auch wenn es natürlich die Banditen waren, die ihren Tod letztendlich zu verantworten hatten. Und dass ihn dennoch im Nachhinein sein Gewissen plagte, wenn er an die vielen Leichen zurückdachte, die der Drachenangriff mit sich gebracht hatte. Von seiner Sorge, nicht nur ein dummer Mensch zu sein, sondern viel schlimmer noch, möglicherweise ein Herz in sich zu tragen, das von Boshaftigkeit getrieben wurde. Oder gar eine schwarze Seele zu besitzen so wie die von ihm gehassten Zerrocks.

      „Willkommen in meiner Welt!“

      Die dumpfen Worte ließen Dantra aufschrecken. Sein Blick war so in den vor ihm lodernden Flammen versunken gewesen wie seine Gedanken in der Erzählung. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sich der Nalc ebenfalls am Feuer niedergelassen hatte.

      Und auch er schien mit halb gesenktem Kopf der Vergangenheit nachzuhängen. „Man sprach mir einst eine große Aufgabe zu“, berichtete er Dantra, wobei auch sein Blick am Feuer haftete. „Ein Dienst im Namen meines Volkes. Und trotz ihrer hohen Bedeutung war sie nicht einmal schwer zu erfüllen.“

      Der Nalc verfiel in Schweigen, sodass Dantra vorsichtig nachhaken musste. „Was ist passiert?“ Der Riese hob seinen bulligen Kopf und Dantra sah in zwei dunkelbraune Augen, die nicht nur leicht rot und mit Wasser unterlaufen waren, sondern auch so viel Verzweiflung widerspiegelten wie die eines Verurteilten auf dem Scheiterhaufen, der die Fackeln anstarrte, die herangetragen wurden, um das trockene Holz unter seinen Füßen zu entzünden.

      „Ich habe versagt!“ Den Blick nun komplett gesenkt, als wollte er die Tränen verbergen, berichtete er leise: „Ich habe die Aufgabe tadellos und mit voller Hingabe zwei Jahre, zehn Monate und sechs Tage erfüllt. Aber an jenem siebten Tag waren mir unsere Vorfahren nicht wohlgesinnt. Ich schaffte es nicht, ihn davon abzubringen. Ich war einfach machtlos. Ich habe versagt.“ Nach einer weiteren kurzen Pause sah er Dantra erneut an. „Aber weißt du, was das Schlimmste war?“ Dantra schüttelte stumm den Kopf. „Dass sie mich nicht bestraft haben.“

      „Aber“, Dantra war etwas irritiert, „das ist doch gut, oder nicht?“

      „Du hast mir gerade erzählt, dass du einen riesengroßen Fehler gemacht hast. Glaube mir, wenn dich jemand dafür bestrafte, würdest du dich besser fühlen. Du wüsstest zwar immer noch, dass dein Handeln verkehrt war, jedoch würde die Strafe die schwere Last, die auf deinen Schultern liegt, mindern. Buße hilft einem mehr als nur Reue. Mich aber haben sie lediglich fortgeschickt. Und das ohne irgendeinen abfälligen oder tadelnden Kommentar. Sie haben ihre verzweifelten Gesichter nicht einmal zu einer missbilligenden Miene verzogen. Und dabei habe ich sie angefleht, mich zu bestrafen. Mich einzusperren oder mir Schmerzen zuzufügen, wenn sie es als angemessen für mein Scheitern ansahen. Ich wusste, ich hatte es verdient. Aber sie wandten sich nur ab und überließen mich der Einsamkeit. Wo sollte ich denn nun hin? Zurück zu meiner Familie? Ich wäre vor Scham gestorben. Und wenn nicht, hätte mein Vater sicher nachgeholfen. Was im Nachhinein gesehen gar keine so schlechte Option gewesen wäre.“

      Der Nalc schluckte, sammelte sich und fuhr fort: „Auch wenn meine Meinung über unsere Art zu leben mir häufig Ärger eingebracht hat und ich öfter wegen meiner Ablehnung der uralten Traditionen meines Volkes aneckte, so vermisse ich es dennoch. Die Sagen, die Feste, die Freundschaften. Hier, außerhalb meines Landes, ist man als Nalc auf ewig allein. Niemand will etwas mit einem zu tun haben. Ich bin seit langer Zeit unterwegs, aber du warst der Erste, der mich nicht mit Gemüse beworfen, sondern es mit mir zusammen gegessen hat. Und eines kann ich dir versichern: Das war mir viel unheimlicher als dir.“

      Dantra überdachte das Gehörte. „Das ist also der Grund, warum du in der Stadt warst und dich an den Pranger stellen ließest“, schlussfolgerte er. „Du brauchst die Bestrafung, um deinen Fehler zu verarbeiten.“

      „Eine wirklich tiefsinnige Verhaltenserklärung“, antwortete der Nalc nachdenklich. „Aber das ist nicht ganz richtig. Ich liebe es, Fleisch zu essen. Ob gekocht, gebraten oder geröstet. Aber das, was ein wirklich gutes Essen ausmacht, ist die Beilage. Und da ich keine Arbeit bekomme, um mir das nötige Geld für diese Gaumenfreuden zu verdienen, lasse ich sie mir eben schenken.“

      Bei dem Wort schenken erhob der Nalc je zwei Finger seiner wuchtigen Hände und deutete damit Anführungsstriche an. Die Geste ließ Dantra ein verwundertes „Du kannst schreiben?“ ausstoßen, für das er sich sofort schämte. „Warum sollte er es nicht können?“, dachte er zerknirscht. „Kaum mache ich den Mund auf, schon beleidige ich ihn wieder.“

      Aber noch bevor Dantra die Möglichkeit bekam, sich zu entschuldigen, antwortete der Nalc mit genauso verwunderter Stimme: „Du etwa auch?“ Dann grinste er breit und beide fingen laut an zu lachen.

      Nachdem sie sich wieder beruhigt hatten, stellte Dantra die wohl bis dahin intelligenteste Frage: „Wie heißt du eigentlich?“

      „Comor Matal-Lis.“

      „Ziemlich komplizierter Name“, musste Dantra feststellen. „Gibt es dafür auch eine Kurzform?“

      „Für gewöhnlich rufen sich die Nalcs untereinander immer mit ihrem vollen Namen. Auf dem Schlachtfeld jedoch könnte es schon zu spät sein, wenn dich jemand vor einem Angreifer warnen will und er erst deinen ganzen Namen aussprechen muss. Daher gibt es in der Tat eine Kurzform. Die setzt sich aus einigen der Anfangsbuchstaben einer jeden Einzelbezeichnung zusammen. In meinem Fall sind es Co, Ma und L, also zusammengenommen


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