Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch
Erinnerungen Revue passieren und erzählte, was geschehen war. Er begann mit seiner Selbstüberschätzung, wobei er es allerdings für besser hielt, das Detail seiner magischen Kraft auszulassen und stattdessen nur von seinen Fähigkeiten am Schwert zu berichten. So kam er ziemlich schnell an den Punkt, an dem er von der Entscheidung erzählte, ihrer beiden Leben zu beenden, und zwar mit dem provozierten Drachenangriff. Als er mit der Erklärung, wie er denselben überleben konnte, fertig war, blieb Akinna abrupt stehen.
„Du willst mir jetzt tatsächlich erzählen, dass du einen Drachenangriff überlebt hast?“
Dantras Ton verschärfte sich umgehend. „Ja, das will ich. Denn das habe ich. Willst du mich, nachdem du mich schon als Dieb beschimpft hast, nun auch noch als Lügner hinstellen?“
„Nun komm mal wieder runter“, beschwichtigte sie ihn. „Dass ein Angriff stattgefunden hat, habe ich mitbekommen. So was hört man noch in ziemlich großer Entfernung. Aber dass jemand so einem todbringenden Inferno entkommen kann, der nicht einmal das Wissen um die alltäglichen Gefahren besitzt und nur mit einem Schwert bewaffnet ist, hört sich doch wohl ziemlich“, sie suchte kurz nach dem richtigen Wort, damit Dantra nicht gleich wieder ausflippte, „abenteuerlich an.“
„Was hört sich denn daran abenteuerlich an, wenn man fast an seiner eigenen Kotze erstickt und anschließend auch noch von einem umherfliegenden Pferd getroffen wird?“
Akinna gab ein seltsames Geräusch von sich, das dem eines unterdrückten Lachens sehr nahe kam. Aber sie marschierte so rasch los, wie sie gestoppt hatte, und ihre Kapuze nahm Dantra die Möglichkeit, ihr Gesicht zu sehen. Also starrte er nur bockig nach vorn und ließ sich seine Beschreibung der Ereignisse noch einmal durch den Kopf gehen. Dabei musste er sich eingestehen, dass es sich hier und da und vor allem mit dem fehlenden Wissen um seine magische Kraft wirklich etwas merkwürdig anhörte, was er ihr gerade erzählt hatte. Es ihr gegenüber eingestehen, wollte er aber auch nicht. Das hätte ihr nur wieder Aufwind für ihre Theorie gegeben, dass er das Geschehene nicht erlebt, sondern erfunden hatte. So ließ er einige Zeit verstreichen, bevor er nochmals einen Versuch startete, einige seiner vielen Fragen an den Mann beziehungsweise an die Frau zu bringen. Jedoch packte sie ihn bereits nach den ersten zwei Wörtern am Arm und blieb stehen. „Hörst du das?“, fragte sie flüsternd, während sie mit ihren Augen die Umgebung absuchte.
„Nein“, antwortete Dantra achselzuckend und sah sich dabei ebenfalls um.
„Komm mit“, forderte Akinna ihn auf und zog ihn dabei hektisch am Ärmel hinter sich her. Sie liefen noch ein ganzes Stück den Weg entlang und bogen, kurz bevor der Pfad einen Knick nach rechts machte und gleich darauf hinter einem Hügel verschwand, ins Unterholz ab.
Ab jetzt bewegten sie sich nur noch ganz langsam voran, um so leise wie möglich zu sein. Auch Dantra hörte nun Stimmen. Die beiden blieben hinter einem dicken auf dem Boden liegenden Baumstamm in Deckung und spähten über ihn hinweg. Vor ihnen lag eine kleine Lichtung, auf der ein Hünengrab zu sehen war. Fünf Männer, die offensichtlich ihr Geld nicht für den Erwerb ordentlicher und gepflegter Kleidung ausgegeben, sondern es lieber in Waffen und Kampfausrüstung angelegt hatten, standen drohend und schimpfend um einen Nalc herum.
„Was ist das denn?“, fragte Akinna leise. Sie staunte ebenfalls, wie auch schon Dantra am Vortag, so tief im Culter einen Nalc zu sehen.
„Das ist mein Freund Comal!“, antwortete Dantra unaufgefordert und stürmte sofort los. „Haut ab! Widerliches Gesindel! Und lasst meinen Freund in Ruhe!“
Alle fünf und auch Comal sahen ihn überrascht an. „Wo kommt der denn her?“, rief einer von ihnen.
„Keine Ahnung“, erwiderte derjenige, der Comal seinen Speer direkt unter die Nase hielt. Er hatte eine tiefe Stimme und sprach mit einem starken Dialekt. „Nomar, Reburg und ich halten dieses Monster in Schach, ihr beide kümmert euch um den Spinner“, befahl er.
Dantra machte keine Anstalten, sein Schwert zu ziehen. Er konzentrierte sich ganz auf seine magische Kraft. Die beiden, die auf ihn zueilten, bekamen sie als Erstes zu spüren. Seine übereilte Vorgehensweise schien ein Indiz dafür sein, dass er aus seinen Fehlern doch nichts gelernt hatte, aber die extreme Wucht, mit der er seine Kraft einsetzte, ließ ganz klar erkennen, dass die Experimentierphase vorbei war. Die Gefahr, seine Angreifer zu verletzen, nahm er nicht nur in Kauf, er beabsichtigte es sogar. Von den anderen drei Räubern brauchte er nur noch einem die Kunst des unkontrollierten Fliegens beizubringen, denn die letzten beiden ergriffen bereits die Flucht. Und auch ihre drei Kumpane rappelten sich auf und suchten das Weite. Die Situation schien unter Kontrolle. Ein Gefühl der Erleichterung und des Triumphs erfasste Dantra, als plötzlich Pfeile durch die Luft flogen.
Sie wurden aber nicht auf ihn oder Comal abgeschossen, sondern streckten gezielt die fünf flüchtenden Wegelagerer nieder. Nun kam auch Akinna aus dem Dickicht, in dessen Schutz sie sich gerade eben noch an die Szene herangeschlichen hatten. Als sie an dem ersten Toten vorbeiging, zog sie ihm, als wäre es die normalste Sache der Welt, mit einer geschickten Handbewegung den Pfeil aus dem Genick.
Dantra war entsetzt. Während sie einen Leichnam nach dem anderen abging, schrie er sie empört an: „Was soll das?! Warum hast du sie getötet? Die Sache war doch längst geklärt! Was bist du nur für ein Mensch, dass du andere einfach tötest, obwohl sie bereits auf der Flucht sind?“
„Du bist wirklich einmalig“, erwiderte Akinna gelassen, nachdem sie wieder vor ihm stand. „Du hast eine magische Gabe, bist aber nicht intelligenter als ein gewöhnlicher Tagelöhner.“ Es war unübersehbar, dass Dantra die Zornesröte ins Gesicht stieg. Akinna jedoch wartete nicht auf eine Retourkutsche von ihm, sondern drehte sich zu Comal um, zog sich die Kapuze vom Kopf, neigte diesen dabei bewusst leicht auf die Seite und hielt dem Nalc ihre Hand hin. „Hallo, ich bin Akinna. Dantra sagt, ihr seid Freunde?“
Nach einem kurzen, kaum merklichen Zögern reichte ihr Comal seine riesige Pranke und schüttelte behutsam die zierliche Hand. „Ja, das stimmt wohl“, murmelte er, „ich bin Comal.“
„Ist eine ungewöhnliche Gegend hier für einen Nalc, nicht?“
„Ist ’ne lange Geschichte“, brummte er.
„Kannst sie mir ja mal irgendwann erzählen, wenn du willst.“ Akinna löste den Händedruck, zog sich ihre Kapuze wieder über und ging langsam zurück ins Unterholz.
Dantra, der bis dahin wohl noch verarbeiten musste, was gerade geschehen war, schimpfte nun erneut los: „Wieso sollte Comal dir irgendwann irgendetwas erzählen? Du glaubst doch nicht, dass wir nach der Sache gerade irgendwo mit dir zusammen hingehen?! Du kannst froh sein, wenn du mit heiler Haut davonkommst. Eigentlich sollte Comal dir die Arme ausreißen, damit du so etwas Niederträchtiges nie wieder machen kannst.“
Dantra wandte sich nun an den Nalc. „Du hast doch bestimmt schon einigen Menschen die Arme oder gar Beine ausgerissen, oder? Wäre für dich doch ein Kinderspiel, nicht?“ Erwartungsvoll sah er seinen riesigen Freund an.
„Nein, so etwas habe ich noch nie getan. Und um ehrlich zu sein, ich hätte auch keine Chance gegen sie“, antwortete er in seiner ruhigen, brummigen Art und sah Akinna dabei nach.
„Willst du mich jetzt veräppeln? Sie ist nicht einmal die Hälfte von dir.“ Dantra war fassungslos.
„Ich schätze, sie hat recht“, sagte Comal.
„Womit?“, fragte Dantra.
„Damit, dass dein Wissen dem eines Tagelöhners ungefähr gleichkommt.“ Comal sah auf Dantra hinunter, und noch bevor dieser abermals wütend losschimpfen konnte, offenbarte er ihm: „Sie ist eine Elbin!“
Die gerade noch im Übermaß vorhandene Röte in Dantras Gesicht wechselte nun wie aufs Stichwort in ein aschfahles Grauweiß. Seine verblüfft dreinblickenden Augen auf Akinna geheftet, flüsterte er Comal leise zu: „Sie? Eine Elbin? Bist du dir da sicher? Woher weißt du das?“
Comal antwortete ihm in gewohnter Lautstärke. „Man sieht es an den Ohren.“
„An