Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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kamen nur hin und wieder einige wenige fahrende Händler vorbei. Der Markt, den er zwei Tage zuvor in Uka gesehen hatte, war daher schon eine ganz neue, bis dahin für ihn verborgene Welt gewesen. Aber das hier übertraf alle Vorstellungen. Nicht nur, dass die zahllosen Stände an Lebensmitteln und vielen anderen notwendigen Sachen für das alltägliche Leben keine Wünsche offen ließen, hier konnte man auch Möbel, schweres Feldgerät und Fuhrwerke vom Handkarren bis zur Kutsche käuflich erwerben. Und es gab, wie von Comal angekündigt, einen riesigen Viehmarkt, auf dem es von Karnickeln und Hühnern, über Schafe und Ziegen, bis hin zu Kühen, Ochsen und Pferden alles gab, was vier Beine hatte oder Eier legen konnte. Aber am meisten strahlten Dantras Augen, als er eine Gruppe Gaukler sah. Sie jonglierten, spuckten Feuer und ließen sich gegenseitig durch die Luft wirbeln. Die Musik, die er dabei hörte, gespielt von vielen verschiedenen Musikern, die verteilt über den ganzen Platz ihr Können darboten, erhob dieses fantastische Schauspiel zu einem unvergesslichen Erlebnis.

      Es war schon Nachmittag, als Dantras Magen ihn daran erinnerte, dass er ja noch oder wieder den Krato von E’Cellbra in seiner hierfür eigens angenähten Tasche trug. Der Duft, der ihm in diesem Moment in der Nase lag, lockte ihn zu einem kreisrunden Stand, in dessen Mitte ein loderndes Feuer ein Schwein, halb so groß wie eine Kuh, knusperig braun werden ließ. Ein halbes Pfund frische Sau zwischen zwei Scheiben Brot 3/4 Krato stand auf mehreren Schildern, die rings um den Stand verteilt waren. Dantra lief das Wasser in solchen Mengen im Mund zusammen, dass er versehentlich bei der Bestellung einiges davon herausspuckte, sodass der Mann, der sich eine nicht ganz so saubere Schürze umgebunden hatte, wie es sicher wünschenswert gewesen wäre, angeekelt einen Schritt nach hinten machte. Aber wie der Hunger beim Essen verschwand, so verflog auch die Schamröte wegen des peinlichen Vorfalls aus Dantras Gesicht.

      Beim Tätscheln seines vollen Bauches bemerkte Dantra, dass der Krato erneut auf unerklärliche Weise in seine Tasche zurückgekehrt war. Er zog ihn heraus und betrachtete ihn einerseits skeptisch, andererseits jedoch glücklich. Er hatte keine Ahnung, wie das funktionierte, aber im Grunde war es ihm auch völlig egal. Er war da und er musste erneut unters Volk gebracht werden.

      Dantra lief die Stände ab, bis er an einen gelangte, der Stoffe, Kleidung und auch Decken anbot. Hier war er richtig. Die Nächte waren bereits ziemlich kalt. Er suchte sich also einen warmen Mantel, eine Wolldecke und eine etwas dickere Strickdecke zum Daraufliegen aus. Zwar war ein Krato nicht das kleinste Geldstück, das es gab, jedoch reichte es nicht, um all die Sachen zu kaufen. Er nahm sich also zuerst das günstigste Stück, die Strickdecke, und bezahlte sie. Danach griff er erneut in seine Tasche, um mit Freuden festzustellen, dass er wieder im Besitz des Kratos war. Nun konnte er sich gemeinsam mit einem Teil des Wechselgeldes, das er gerade beim Kauf seines Essens erhalten hatte, die andere Decke leisten. Zunächst ging er weiter und kaufte ein großes Stück Speck für das gemeinschaftliche Abendessen und einen dunkelgrün-braunen Schal für Comal, den er wahrscheinlich nicht wirklich brauchte, aber der ihn sicher sympathischer wirken ließ.

      Anschließend erstand Dantra noch eine mattsilberne Brosche in Form eines Halbmondes, umrandet von einer tiefschwarzen Metallkante, für Akinna. Damit sollte sie ihrem Umhang, der unterhalb ihres Kinns nur von zwei Fäden zusammengehalten wurde, ein angemessenes nobleres Aussehen verleihen. Zwar war er sich nicht sicher, ob sie sich darüber freute, aber vielleicht würde allein der gute Wille ihre zumeist störrische und ablehnende Haltung ihm gegenüber ein wenig mildern. Danach ging er noch einmal zu dem Stoffhändler zurück, wo er bereits die Decken gekauft hatte, und erwarb den Mantel, der mit dem Krato und dem vielen Wechselgeld, das er bei seinen bisherigen Käufen erhalten hatte, nun auch zu bezahlen war. Und zu guter Letzt folgte noch der für ihn unvermeidliche Gang zum Süßwarenstand. Vielmehr: die drei Gänge. Er kaufte jedes Mal Ware für genau einen Krato und nach einer kurzen Runde über den Markt, kaufte er erneut die Objekte seiner Begierde.

      Pünktlich mit dem Einsetzen der Dämmerung traf Dantra dort ein, wo er und Comal am Morgen von Akinna stehen gelassen worden waren. Mit einem prall gefüllten Seesack und einem breiten Lächeln auf dem Gesicht stand Comal an eine Hauswand gelehnt und schien sich über jeden, der vorbeikam, still zu amüsieren. Es erweckte gar den Anschein, als würde er einen nach dem anderen auslachen, da jeder einer von denen sein konnte, die viel Geld für Obst oder Gemüse ausgegeben hatten, welches sich nun in seinem Seesack befand. Als er Dantra erblickte, schwoll sein Grinsen noch weiter an. „Sieh mal“, sagte er stolz und präsentierte dabei seine Einnahmen. „Die Leute hier sind besonders übel gelaunt. Wenn wir etwas sparsam sind, wird es uns drei sicher die nächsten Tage satt machen.“

      Dantra freute sich. Nicht so sehr über Comals gute Ausbeute, eher über die Worte, die Comal wählte: „In den nächsten Tagen.“ Für ihn war es offenbar klar, dass sie weiterhin zusammen durchs Land ziehen würden. Es schien tatsächlich, als hätte Dantra einen Freund gefunden. Ein Gefühl, das er bisher nicht gekannt hatte. Im Klosterheim hatte er sich sicher mit dem einen oder anderen gut verstanden, aber eine wirkliche Freundschaft war nie daraus geworden.

      Was ihm aber sehr wohl vertraut vorkam, waren die Kälte und das abwertende Verhalten, die ihm Akinna in diesem Moment entgegenbrachte. Sie stolzierte ohne Umschweife an beiden vorbei und zischte nur kurz das Kommando: „Lasst uns gehen.“

      Dantra und Comal folgten ihr unbeeindruckt. Sie unterhielten sich über den ereignisreichen Tag. Dantra erzählte von den Gauklern und den unglaublich vielen Sachen, die man auf so einem großen Markt zum Kauf angeboten bekam. Comal seinerseits berichtete von den verschiedenen Reaktionen, die die Leute einem an den Pranger Gestellten entgegenbrachten. Und von den drei Wagemutigen, die versucht hatten, auf Spuckweite an ihn heranzukommen, und die er mit seinem Gebrüll das Fürchten gelehrt hatte, so wie es Dantra auch schon in Uka bei ihm bewundern durfte.

      Als sie am Heuunterstand angekommen waren, in dem sie schon die Nacht zuvor verbracht hatten, präsentierte Dantra seine Einkäufe. Wie erwartet leuchteten Comals Augen auf, als er den Speck erblickte. Er nahm ihn Dantra aus der Hand und roch mit seiner riesigen Knollnase daran. Es sah aus, als wäre für ihn ein Traum wahr geworden. Er saß mit geschlossenen Augen da und sein Kopf schwankte leicht hin und her, während er den köstlichen Duft der Delikatesse einsog. Genau wie ein Hund, der eine Witterung im vorbeiziehenden Wind aufnahm.

      Dantra überlegte, ob er den Schal überhaupt noch herausholen sollte, war es doch eigentlich unmöglich, dem Nalc eine noch größere Freude zu machen. Vielleicht hätte das sogar der guten Stimmung geschadet. Schon allein, weil es Comal vielleicht unangenehm wäre, etwas geschenkt zu bekommen. Vor allem etwas, womit er nichts anfangen konnte. Egal, Dantra hatte das Ding gekauft, nun würde er es ihm auch überreichen.

      „Hier Comal“, sagte er, „es wird doch bald kälter. Ich dachte, ein Schal wäre da genau das Richtige.“ Unsicher, aber dennoch erwartungsvoll beobachtete Dantra seinen Freund.

      Anfangs verdunkelte sich dessen Gesicht bedrohlich. Dann aber hellte es sich schlagartig wieder auf und der Nalc nahm das Geschenk an. Mit Bewunderung hielt er den Schal vor sich. „Im ersten Moment habe ich gedacht, du willst mir einen bösen Streich spielen“, gluckste er. „Dachte, du hältst ihn mir hin, und wenn ich danach greife, ziehst du ihn lachend weg. Hab früher bei mir zu Hause schlechte Erfahrungen mit so etwas gemacht. Wenn ich so darüber nachdenke, hat mir noch nie jemand etwas geschenkt. Aber warum auch?“ Er schien sich selbst etwas leidzutun. „Doch dann dachte ich, du bist ein guter Mensch. Einer von denen, die mich nicht mit Abscheu ansehen. Einer, dem ich, obwohl ich dich erst zwei Tage kenne, vertraue.“ Er grinste noch einmal besonders breit und schloss dann seine Lobeshymne auf Dantra mit einem „Ich danke dir“.

      Dantra war baff. Nicht nur, dass eine derartige Gefühlsduselei überhaupt nicht zu so einem riesig-breiten Kerl passte, auch dessen Mut beeindruckte ihn. Den meisten wäre, schon aus Verlegenheit, wahrscheinlich nur ein dummer Spruch eingefallen wie: „Schick, aber hätte ruhig eine Nummer größer sein können.“ Doch dieser gestandene Krieger, der ganze Menschenmassen nur mit seinem Gebrüll in die Flucht schlagen konnte, sprach schlichtweg aus, was er fühlte.

      Nachdem er die Worte einen Moment auf sich hatte wirken lassen, meldete sich seine Neugierde zu Wort. Was würde Akinna zu ihrem Geschenk sagen? Wenn sie nur halb so freundlich reagierte, wäre er schon mehr als zufrieden. Hektisch zog Dantra


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