Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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düstere Vorhersage hatte ihre Lippen blass werden lassen und ihren Frohsinn verjagt. Capras Worte kamen da genau richtig. Sie zwang sich zu einem Lächeln, und ihr leicht rundes, aber dennoch hübsches Gesicht fand langsam wieder zurück zu seiner begeisterten Ausstrahlung. „Und nun lasst uns endlich losgehen und diesen Hornochsen das bisschen Hirn, das sie haben, aus ihren hässlichen Schädeln kloppen“, brüllte Capra in die Runde. Er machte drei Schritte in die Richtung, in die sie mussten, und drehte sich auffordernd zu Akinna und Gennaro um.

      „Er hat recht“, bestätigte Akinna, „wir haben schon viel zu lange geredet. Wir wollen doch alle noch vor der Abenddämmerung wieder unserer Wege gehen.“ Sie und Gennaro schritten voran, die anderen folgten in kleinen Grüppchen.

      Peewee, die schon nach kürzester Zeit ihre Freude am Reden wiedergefunden hatte, gesellte sich zu Dantra. „Und du reist mit Akinna?“ Für eine Antwort, und wäre es nur ein schlichtes Ja gewesen, war die Pause nach ihrer Frage viel zu knapp. „Das ist so aufregend. Ach, ich beneide dich so. Ich wette, sie hat dir schon viel aus vergangenen Tagen erzählt. Sie ist so weise und viel herumgekommen.“

      „Sie ist nicht älter als wir beide. Von weise kann man da wohl nicht ...“

      „Ich glaube, wenn man mich ließe, wie ich wollte, würde ich ihr mindestens hundert Fragen auf einmal stellen.“

      „Ja, das glaube ich dir. Aber die Anzahl der Antworten, die du bekommen würdest, könntest du an einer Hand abzählen.“

      „Eine Elbin. Eine echte Elbin! Und wir werden mit ihr zusammen in den Kampf ziehen. Mit ihr zusammen! Hast du schon mal an ihrer Seite gekämpft?“

      „An ihrer Seite nicht direkt. Aber ich habe sie schon töten, äh ... ich meine, kämpfen sehen.“

      „Sie strahlt so eine Erhabenheit aus.“

      „Das ist keine Erhabenheit. Das ist Arroganz.“

      „Ob sie mich wohl mag?“

      „Nein!“

      „Was? Warum nicht?“

      Das war das erste Mal, dass sie auf Dantras Antwort eine Reaktion zeigte, was ihn freute. Hatte er doch bis dahin das Gefühl gehabt, dass es egal wäre, was er erzählte. Für Peewee schien Akinna ohnehin unantastbar zu sein. „Du bist doch ein Mensch, oder?“

      „Ja, sicher.“

      „Siehst du? Akinna hasst die Menschen. Alle Menschen! Sie sagt allen Ernstes, der Mensch sei der Kollateralschaden der Evolution.“

      Peewee nahm sich, was Dantra bei ihr für unmöglich gehalten hatte, eine schweigende Denkpause. Aber bereits nach wenigen Schritten sah sie wieder zu ihm hinüber und stellte ernüchtert fest: „Sie hat ja so recht. Ich sag ja, sie ist so weise.“ Peewee war Dantra auf Anhieb sympathisch gewesen. Aber ihre unanfechtbare Begeisterung für Akinna ging ihm doch etwas auf die Nerven. Nach drei Anläufen gelang es ihm, das Thema zu wechseln. „Wie bist du eigentlich zu Gennaro und seinen Leuten gekommen?“

      „Capra ist mein Großonkel. Er hat mich damals zu sich genommen, als sonst niemand mehr da war.“

      Dantra war sich nicht sicher, ob er die nächste Frage, die sich ihm aufdrängte, an sie weitertragen konnte oder ob sie vielleicht doch zu direkt war. Da ihre Laune aber bisher ungetrübt war, riskierte er es. „Was ist mit deinen Eltern?“

      „Meine Mutter starb, als ich noch klein war, und mein Vater ...“ Sie stockte und Dantra konnte sehen, dass sie schlucken musste.

      „Hätte ich doch nur meine Schnauze gehalten“, dachte er und suchte fieberhaft nach einer Ablenkung.

      Doch Peewee redete weiter, wenn auch nun betrübt und mit gesenktem Kopf. „Wir lebten in einem freien Dorf. Unser Haus stand etwas abseits. Sie kamen nachts und stanken nach Bier und Schweiß. Sie wollten Geld oder wenigstens etwas, was sie zu Geld machen konnten. Doch wir waren sehr arm. Es war nichts da, womit sie sich zufriedengeben wollten. Und dann sahen sie mich. Sie hatten kein Interesse mehr an irgendwelche Sachen, die mein Vater ihnen bittend und bettelnd unter die Nase hielt. Sie wollten mich. Jeder von ihnen wollte mich. Mein Vater kämpfte wie ein Bär. Selbst als ihm bereits ein Pfeil die Schulter durchbohrt hatte und er durch mehrere Stichwunden von ihren dreckigen Messern und alten Schwertern mit Blut überströmt war, prügelte er immer noch unerbittlich mit seinen bereits aufgerissenen Fäusten und allem, was er zu greifen bekam, auf sie ein.“

      „Ein mutiger Mann, dein Vater“, sagte Dantra leise und verunsichert. Es gab nichts, was ihn so schnell aus der Bahn warf, aber wenn jemand neben ihm weinte und ihm sein Herz ausschüttete, wusste er nicht, wie er sich verhalten sollte oder welche Worte die richtigen waren. Und Peewee hatte genau diese gerade bitter nötig, denn ihr rollten nun dicke Tränen die Wangen hinunter.

      „Ja, mutig war er“, schluchzte sie, „aber zum Schluss waren es einfach zu viele. Als er zu Boden fiel, traten sie noch auf ihn ein, obwohl er sich schon lange nicht mehr bewegte. Er hatte den Kampf verloren.“ Sie seufzte tief. „Wir hatten den Kampf verloren.“ Dantra sah sich verlegen nach den anderen um. Doch die hatten von ihrem Gespräch nichts mitbekommen. Sie redeten selbst miteinander oder waren in ihre eigenen Gedanken vertieft. Peewee schwieg noch eine Zeit lang, wurde aber zunehmend wieder fröhlicher, was nicht zuletzt daran lag, dass Dantra ihr einige Erlebnisse aus dem Klosterheim erzählte, von denen die meisten unfreiwillig komisch waren. Man hätte vermuten können, die Gruppe wäre auf einer Wanderung, gut gelaunt und sorgenfrei. Bis Akinna stehen blieb, ihren Arm hob und in die Hocke ging. Die anderen taten es ihr sofort gleich und schwiegen.

      „Es ist zwar noch ein Stück zu laufen, bis wir am Hof der Falkenfänger sind“, erklärte sie, „jedoch sind wir bereits nah genug, um mit Beobachtern rechnen zu müssen. Also, Augen auf und so leise wie möglich bewegen.“

      Jeder schien den Ernst der Lage zu begreifen und verhielt sich dementsprechend. Selbst Comal bewies Geschick beim schleichenden Gang. Dantra fand es faszinierend, wie sich so eine große Gruppe fast lautlos und doch zügig bewegen konnte. Sie waren gerade dabei, eine kleine Anhöhe hinaufzugehen, als Akinna erneut ihre Hand hob. Wieder blieben alle stehen und duckten sich. Gennaro und die Elbin hatten beim Haltekommando bereits das Ende der Erhebung erreicht. Akinna drehte sich zu den anderen um und gab ihnen in Zeichensprache unmissverständlich zu verstehen, dass sie einen Beobachtungsposten ausgemacht hatten und dass sie diesen umgehen mussten. Als sie sich wieder in Bewegung setzten, wartete Dantra, bis ihre Anführerin von der Anhöhe heruntergestiegen war.

      „Könntest du den Posten nicht mit einem gezielten Pfeil unschädlich machen?“, flüsterte er ihr zu.

      „Du meinst, ihn töten?“, gab sie zurück und schaute ihn provozierend mit einem gespielt überraschten Gesichtsausdruck an.

      „Sehr witzig“, brummte Dantra. „Es läuft doch ohnehin darauf hinaus, dass du so viele tötest, wie du kriegen kannst, warum also verschonst du ihn? Ich meine, das ist zwar nett, aber es erschließt sich mir nicht ganz.“

      „Beobachter, die auf Bäumen ihre Aufgabe verrichten, sind ein sehr leichtes Ziel für einen geübten Bogenschützen. Daher binden sie sich metallische Gegenstände wie Töpfe und Löffel an ihren Gürtel. Wenn du ihm also einen Pfeil direkt in den Hals verpasst, kann er zwar seine Leute nicht mehr mit seinem Geschrei warnen, aber das Herunterfallen vom Baum macht einen unüberhörbaren Lärm.“

      Es dauerte noch einige Zeit, bis Dantra durch die nun lichter werdenden Bäume hindurch ein Gebäude erspähen konnte. Ab hier robbten sie alle flach auf dem Boden liegend voran. Der Starkregen, der kurz zuvor eingesetzt hatte, machte diese Prozedur nicht gerade angenehmer. Jedoch war es notwendig, wenn sie bis zum Waldrand unentdeckt bleiben wollten.

      Dort angekommen konnte sich Dantra ein Bild von der Lage machen. Vor ihm lag ein Gehöft, das aus drei Gebäudeteilen bestand, die in U-Form angeordnet waren. Um den gesamten Gebäudekomplex war eine Holzpalisade errichtet, die nach außen hin mit unzähligen angespitzten Pfosten versehen war, sodass sie aussah wie ein eingerollter Igel. Nach hinten hin öffnete sich die Umgebung und freie


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