Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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hatte gerade wieder einen Doppelangriff erfolgreich abgewehrt, als er hinter sich ein kurzes Aufstöhnen hörte und ihm zugleich warmes Blut in den Nacken spritzte. Er sah sich um. Vor ihm ging ein Mann zu Boden, der sein Schwert noch am ausgestreckten Arm in Schlaghaltung hielt, dessen Gesicht jedoch von einer klaffenden Wunde überzogen war. Hinter ihm kam Peewee zum Vorschein. Sie lächelte Dantra an, was ihm in diesem grausigen Todesgetümmel vorkam wie der erste wärmende Sonnenstrahl nach einem langen, harten Winter.

      „Das war knapp“, sagte sie.

      „Ja, das war es wohl“, lächelte Dantra zurück. „Vielen Dank.“

      Doch in diesem Moment erstarb Peewees Seelentrost spendender Gesichtsausdruck. An seine Stelle traten nun weit aufgerissene Augen mit zu einem Schreien aufgerissenen Mund, dem jedoch kein Ton entwich. Dantra sah auf ihren Bauch. Schock. Panik. Das Gefühl, in einem Augenblick gefangen zu sein, der nicht real war. Der nicht sein durfte. Wie ein Traum ohne erlösendes Erwachen. Die Spitze eines Schwertes, benetzt mit ihrem Blut, ragte ihm aus ihrem Bauch heraus entgegen. Ihr Blick folgte dem von Dantra. Dorthin, wo hellrotes Metall ihr ihren sicheren Tod vor Augen führte. Sie sah auf. Hilflos. Flehend. Eine Spur erlöst. Ein kaum wahrnehmbares Geräusch von unbeschreiblichem Schmerz entglitt ihrer Kehle, als die Schwertspitze mit einem Ruck ihren Körper wieder verließ. Sie sank auf die Knie. Wankend. Halt suchend. Hinter ihr stand ein Mann, dessen Augen durch den Wahnsinn des Tötens ein kranker Glanz verliehen wurde. Er hatte sie besiegt. Wenn auch hinterhältig, rücklings. Dennoch würde er sich mit dieser feigen Tat vor dem anderen Gesindel rühmen. Bereit, sein Werk zu vollenden, hob er das Schwert, beide Hände fest am Griff, über seinen Kopf. Dantras Handeln war nun nur noch von Hass gelenkt, gegenüber dem Mörder und wieder einmal gegenüber sich selbst. Denn der Mann, dem nach zwei schnellen Schritten Dantras Elbenschwert im Hals steckte und dessen Augen nun selbst ein ängstliches Flehen widerspiegelten, war ihm in dieser Schlacht schon einmal gegenübergestanden. Doch hatte Dantra ihn nur verletzt.

      „Kein Töten. Wenn es vermeidbar ist, kein Töten.“ Dieser Gedanke hatte bis dahin sein Kampfverhalten gesteuert. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Glaubte er wirklich, wenn er sie verschonte, würde das seine Angreifer wieder auf den rechten Weg der Tugend zurückbringen? Dachte er wirklich, ein Mann, der lebte, um zu töten und zu rauben, würde am Boden bleiben, weil ihm eine Schnittwunde zugefügt worden war? Was hatte er damit nur erreichen wollen? Töten. Hier und jetzt war es unvermeidbar. Er zog das Schwert zurück, verfolgt von spritzendem Blut, und der tödlich Verletzte sank zu Boden.

      Auch Peewee, die mit gesenktem Kopf noch immer zwischen den beiden kniete, fiel nun leblos zur Seite in den hässlich braunen Schlamm. Dantra sah auf sie herab. Beobachtete, wie der Regen auf sie niederprasselte. Wie das Blut sich schwallartig durch ihr selbst gewebtes Gewand drückte. Wie ihr Schwert, mit dem sie gerade noch sein Leben gerettet hatte, nun nutzlos in ihrer offenen Hand lag.

      „Es ist ein Hinterhalt!“ Comals brüllende Stimme riss ihn aus seiner Trance.

      Dantra sah auf. Es grenzte an ein Wunder, dass ihm niemand den Schädel eingeschlagen hatte. Denn während um ihn herum das todbringende Chaos herrschte, hatte er nur dagestanden und geschockt auf Peewee heruntergeblickt. Aber nun war seine Aufmerksamkeit, wenn auch nur widerwillig, zum Kampf zurückgekehrt. Er versuchte, Comal zu finden. Doch schien dieser noch im schützenden Wald zu sein. Einen Hünen seiner Art konnte man auf dem freien Feld nicht übersehen. Dafür erkannte Dantra aber, was Comal mit Hinterhalt meinte. Auf dem Weg, der aus dem Wald über das freie Gelände zum Tor führte, kamen mehrere Reiter auf sie zugaloppiert.

      Auf den meisten Pferden saßen immer zwei Reiter. Der vordere in eine Rüstung gekleidet, der hintere leicht und beweglich. Sie ritten um das Schlachtfeld herum und umzingelten sie. Dantra konnte ihr genaues Vorhaben aber nicht weiter beobachten, er war erneut in offene Kampfhandlungen verstrickt. Aber ab jetzt ließ er das Elbenschwert das tun, wofür es einst gemacht worden war. Keine Verletzungen, kein Erbarmen, kein Risiko. Zwischendurch hatte er immer wieder kurz die Gelegenheit, einen Blick auf den einen oder anderen Reiter zu werfen. Sie schienen alle auf denselben Punkt fixiert zu sein. Auf welchen, erkannte Dantra in dem Moment, als sie begannen, Pfeile darauf zu schießen. Es war Akinna. Sie ritten einen Angriff nach dem anderen. Es war zwar allseits bekannt, dass die von Menschenhand gefertigten Pfeile ein elbisches Wesen nicht töten konnten, jedoch beschlich Dantra ein ungutes Gefühl, da das den Banditen sicher ebenfalls bewusst war und diese gewiss noch eine wirkungsvollere Taktik gegen sie verfolgten.

      Er kämpfte sich Mann um Mann näher an Akinna heran. Als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war, sah er sie bereits am Boden liegen. Die Reiter hatten Netze auf sie geworfen. Wobei der vordere gerüstete Reiter dem hinteren, der das Netz warf, Deckung und Schutz bot. Und selbst wenn der Pfeil die Rüstung durchbohrte, so war sie doch dick genug, um zu verhindern, dass der Pfeil hinten wieder austrat. Die einzig wirkungsvolle Waffe gegen die Reiter waren die Krallen und Schnäbel der Falken. Im Sturzflug attackierten sie die Männer am Kopf und im Gesicht. Sie krallten sich fest und hackten auf sie ein. Aber auch wenn sie alles ihnen Antrainierte in die Tat umsetzten, waren es einfach zu wenig Falken und zu viele Banditen. Wenn sie es einmal schafften, dass einer von ihnen vom Pferd fiel, so schwang sich sofort der nächste wieder drauf. Denn das war es, worauf der Plan ihrer Gegner basierte: ihre zahlenmäßige Überlegenheit.

      Akinna war nun fast vollständig bewegungsunfähig. Es war ein seltsamer Anblick, die sonst so stolze und scheinbar unbesiegbaren Elbin, die einem Volk angehörte, das dem der Menschen in allem uneinholbar überlegen war, hilflos auf dem Boden liegen zu sehen. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und Dantra erkannte, dass, auch wenn bereits einige der Banditen an sie herangetreten waren und mit Knüppeln auf sie einschlugen, ihr Stolz noch lange nicht gebrochen war. Ihr nun folgender Befehl, wenn auch mit fester Stimme ausgesprochen, schien diese Beobachtung allerdings etwas infrage zu stellen. „Tu es, Dantra! Tu es jetzt!“

      Natürlich wusste er genau, was sie meinte, doch während er noch zwei weitere Angreifer niederstreckte, stieg ein Groll in ihm auf, der ein sofortiges Handeln verhinderte. Als er ihr gesagt hatte, dass sie es nicht ohne seine Magie schaffen würden, hatte sie es ihm noch einmal ausdrücklich verboten. Doch hätte sie Dantra geglaubt und die rettende Kraft schon da von ihm gefordert, würde Peewee wahrscheinlich noch leben. Nun aber, da sie selbst in Bedrängnis war, in einer schier ausweglosen Situation, sollte er den Sieg mit seiner Magie herbeiführen. Für einen kurzen Augenblick rissen seine Vorwurfsgedanken ab und er machte sich stattdessen bewusst, warum er überhaupt hier war. Es war die Schuld, die er bei ihr abzutragen hatte, die ihn in diesem Moment an diesem unheilvollen Ort sein ließ. Dennoch widerstrebte es ihm, ihr nun zu helfen, da sie selbst sich doch anscheinend in keiner Weise für ihre eigenen Leute und die Gefahr, in der diese sich befanden, interessierte.

      Es war Capra, der ihn dazu brachte, das zu tun, was Akinna von ihm erwartete. Er hockte neben seiner Großnichte, neben dem ausgebluteten und bleich gewordenen Körper von Peewee. Durch den langsam nachlassenden Regen und das Gewirr der Schlacht sah er zu Dantra herüber und brüllte ihn nach Leibeskräften an: „Nun mach schon! Was es auch ist, was sie von dir verlangt. Tu es! Tu es jetzt!“ Augenblicklich war die Dringlichkeit da, die Dantra brauchte, um sogleich zu handeln. Im Rücken des trauernden Capra baute sich gerade einer der Banditen auf, um ihm das gleiche feige Schicksal zukommen zu lassen, das auch Peewee erleiden musste. Im Bruchteil eines Wimpernschlags flog erst sein direktes Gegenüber und dann der Feigling hinter Capra haltlos durch die Luft.

      Dantra steckte sein Schwert weg, als wollte er mit dem Ganzen nichts mehr zu tun haben. Er sammelte seine Konzentration und seine Kraft. Und schon brach es aus ihm heraus. Der Hass, die Wut, die Genugtuung, dass sie endlich das bekamen, was sie verdient hatten. Er traf die Schläger über Akinna mit solch einer Wucht, dass sie nicht nur nach hinten weggedrückt wurden, sie überschlugen sich auch mehrmals in der Luft und keiner von ihnen stand nach seiner unkontrollierten Ladung wieder auf. Denn auch jetzt, das Schwert am Gürtel und mit seiner Magie kämpfend, gab es für Dantra keine Kompromisse mehr. Die Banditen schlugen ihrerseits gnadenlos und mit aller Härte zu, also sollten sie genau das mit gleicher Münze zurückbekommen.

      Wenn es ging, zielte Dantra punktgenau, und wenn nicht, musste ihm beziehungsweise seinen Mitstreitern


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