Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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bekamen auch die anderen, die zu Pferd angriffen, ihren Anteil ab. Anschließend nahm er sich die größeren Gruppen vor, die nun wie von Akinna vorausgesagt die Flucht ergriffen. Er überwältigte sie, indem er ihnen die auf dem Feld verstreuten Baumstämme hinterherschleuderte. Mit dem letzten fallenden Regentropfen war auch der letzte Bandit niedergestreckt. Eine Stille kam auf, die unwirklicher nicht sein konnte. Nur das Winseln und Jammern der Verletzten und Sterbenden, die zwischen den zahllosen Toten lagen, war zu hören. Es hatte den Anschein, als hätte sich das Tor zur Hölle aufgetan und dessen Hausherr hätte hier unbarmherzig gewütet, um kurz darauf auf gleiche teuflische Weise wieder zu verschwinden. Was zurück blieb, waren Chaos, Tod und Trauer. Schnell war klar, dass es in den eigenen Reihen zwar Verletzte gab, das Schicksal, im Kampf gefallen zu sein, teilte aber niemand mit Peewee. Nachdem die anderen dafür gesorgt hatten, dass das Jammern der fluchtunfähigen Banditen verstummt war, versammelten sie sich alle um den Leichnam ihrer Kampfgefährtin. Ein jeder schien stumm Abschied von ihr zu nehmen. Chaspe war der Erste, der das Wort erhob. „Ich hab es ja gesagt. Von dreien überlebt ...“

      Das kalte Metall von Capras Messer an seiner Kehle ließ ihn verstummen. Hatte dieser gerade noch Peewees leblose Hand gehalten, war er nun aufgesprungen und drohte Chaspe mit bebenden Lippen: „Noch ein einziges von deinen Unheil bringenden Worten und dieses war auch deine letzte Schlacht.“

      Gennaro trat an Capra heran und legte ihm seine Hand auf den Arm, an dessen Ende die Klinge das Sonnenlicht, das sich nun einen Weg durch die Wolken bahnte, widerspiegelte. „Worte, und seien sie noch so dumm und unangebracht, bekämpft man mit Worten. Also, lass es gut sein und steck das Messer wieder ein. Du wirst sicher noch oft die Gelegenheit haben, es zu nutzen, um Peewees Tod hundertfach zu rächen.“

      Capra löste seinen zu allem entschlossenen Blick von Chaspe und sah erst zu Gennaro, dann weiter zu Peewee, bevor er das Messer sinken ließ und an die Seite seiner toten Großnichte zurückkehrte. Gennaro sah zu Akinna und beide nickten sich wortlos zu. Dann ging er zu Dantra und betrachtete ihn auf eine Art, die dieser nicht richtig einordnen konnte.

      Da es ihm allerdings ziemlich schnell unangenehm wurde, so rätselhaft gemustert zu werden, beschloss er, sich mit einer Frage und der hoffentlich folgenden Antwort Klarheit zu verschaffen, wie der starre Blick gemeint war. „Sieht ziemlich böse aus deine Verletzung.“

      Gennaro hatte eine lange Platzwunde, die einen Fingerbreit neben seinem linken Nasenflügel anfing und erst am Kiefergelenk endete. „Einer von den umherfliegenden Mistkerlen hat mich ein Stück mitgerissen. Habe dabei seinen Unterarmschutz ins Gesicht bekommen.“

      Dantra wurde etwas unwohl in seiner Haut: „Oh, das tut mir leid. Ich habe versucht, so gut es ging, nur die ...“ Dantra brach den Satz ab, da Gennaro ihm die Hand hinhielt. Verunsichert nahm er sie.

      „Danke“, sagte Gennaro, „es war mir eine große Ehre, an deiner Seite gekämpft zu haben. Ich hoffe, ich behalte eine Narbe zurück. Dann kann ich immer sagen, dass sie aus der Schlacht stammt, in die ich mit dir, dem lang Gesuchten und endlich Gefundenen, gezogen bin.“ Er senkte seinen Kopf und verharrte kurz in dieser Stellung. Galasso und Despie taten es ihm gleich. Und auch die drei Artisten senkten ihr Haupt, nachdem sie sich mit einem kurzen Blickwechsel verständigt hatten.

      Dantras Verwunderung war grenzenlos. Das war eine Geste, wie man sie Königen, Helden oder Tyrannen zuteilwerden ließ, aber doch nicht ihm. Nur Akinna sah eher ein wenig genervt von der ganzen Situation aus.

      Ein Knarren ließ sie alle aufschauen. Das Tor zum Gehöft hatte sich geöffnet. Gennaro wandte sich Capra zu. „Es ist Zeit, mein Freund.“ Dieser nickte nur kurz und stand auf.

      Dantra konnte nicht anders. Wollte er gerade noch die Schmach für immer für sich behalten, so brach die Wahrheit nun doch aus ihm heraus. „Capra“, sagte er leise und voll Reue, „Peewee starb, als sie mein Leben rettete. Diese Schuld und ihr Angesicht werde ich mein Leben lang in mir tragen.“ Vielleich hätte er noch mehr sagen sollen, noch mehr sagen müssen. Jedoch steckte ihm ein Kloß im Hals, der etwaiges Weiterreden unmöglich machte.

      Capra wandte sich ihm zu. „Ist das wirklich wahr?“, fragte er ausdruckslos.

      „So wahr ich hier stehe“, würgte Dantra heraus.

      Capra machte einen schnellen Schritt nach vorn, wobei Dantra das Motiv dafür egal war. Was nun auch immer passierte, er hatte es verdient und würde die Konsequenzen seines Handelns tragen. Doch das, was folgte, war eine weitere Überraschung. Die muskulösen Arme umschlangen ihn und der buschige Bart streifte sein Gesicht. Capra drückte ihn so fest an sich, dass es schon schmerzte. „Danke!“, flüstert er Dantra ins Ohr. „Danke, dass du ihrem Tod nicht nur die Sinnlosigkeit nimmst, sondern ihm auch noch einen höheren Wert gibst, als der unsrige jemals erreichen könnte. Jedes Mal, wenn du dich ihrer erinnerst, wird Stolz mein geschundenes Herz durchfahren. Danke. Bis ans Ende aller Einhörner soll man deinen Namen weitertragen.“ Er wandte sich ab und ließ Dantra zurück, mit einem Gesichtsausdruck, der alles ausstrahlte, nur keine Intelligenz. Der Mund stand ihm offen und die Augen schauten in ein Meer von Fragezeichen.

      Sie nahmen Peewee hoch. Galasso und Despie je ein Bein, Gennaro und Capra die Arme, hoben sie die gefallene Kameradin auf ihre Schultern. Mit den Füßen voran trugen sie sie Richtung Gehöft. Ihr Kopf hing dabei schlaff im Nacken und aus ihren Haaren tropfte die braune Brühe, in der sie gerade noch gelegen hatte. Als Dantra sie zum ersten Mal gesehen hatte, war sie voller Leben, Fröhlichkeit und Farbe gewesen. Nun, als er sie zum letzten Mal betrachtete, war sie bereits ganz woanders, in einer besseren Welt. In ihrer eigenen heilen Welt. Bei ihrem Vater, den sie so vermisst hatte. Bei ihrer Mutter, die sie nie richtig kennenlernen durfte. Sie war in Freiheit. Frei von Angst, frei von Unterdrückung und frei von schmerzlichen Erinnerungen. Das war es, was Dantra glaubte. Was er hoffte. Das war es, was er ihr wünschte. Die Peewee, der er nun hinterhersah, war nur noch eine verblasste, leere Hülle. Still und farblos auf ewig.

      Er drückte sich seine Faust auf die Stelle, wo sein Herz heftig schlug und murmelte leise: „Da bist du drin. Und da bleibst du, bis wir uns wiedersehen. Denn das werden wir. Uns und alle, die wir lieben.“

      Der trauernde Leichenzug ging auf das Tor zu, aus dem kurz zuvor ein Mann getreten war, der nun seinerseits auf Dantra und seine Gefährten zukam. Kurz bevor der Zug ihn passierte, blieb der Mann stehen und senkte vor Peewee sein Haupt, bis sie an ihm vorbei waren. Dann setzte er seinen Weg fort und machte erst wieder halt, als er vor Akinna stand. Der graue Bart ließ ihn viel älter erscheinen, als er vermutlich war, und der Kummer in seinen Augen bestärkte den Eindruck zusätzlich. Auf seinem linken Unterarm saß ein Falke, der mit den eleganten Bewegungen seines gefiederten Körpers das leichte Schwingen des Armes ausglich. Eine kleine Haube war ihm über den Kopf gezogen worden, sodass er nichts sehen konnte. Wortlos nahm der alte Mann Akinna in den noch freien Arm. Ein Zeichen von Herzlichkeit, das man meist zur Begrüßung oder zum Dank verwendete. In diesem Fall war es wohl von beidem etwas. Akinna erwiderte die Umarmung und streichelte ihm dabei liebevoll über den Rücken. Dantra war überrascht, war der alte Mann doch ein Mensch und Akinna eine bekennende Menschenhasserin. Das, was er hier beobachtete, hatte mit Hass und Abneigung allerdings nichts zu tun.

      Der Mann wandte sich nun an Dantra und streckte ihm seine Hand entgegen. „Mein Name ist Nei-Klot. Ich bin der älteste unter den Falkenfängern. Unsere Gemeinschaft ist dir und deinen Männern zu ewigem Dank verpflichtet.“

      „Oh, das sind nicht meine Männer, sie sind alle ihr eigener Herr“, korrigierte ihn Dantra.

      „Gewiss sind sie das. Und um es zu bleiben, kämpfen sie Tag für Tag. Aber um es endgültig zu sein, brauchen sie einen starken Anführer.“

      „Ich glaube nicht, dass ich dafür der Richtige bin“, unterbrach Dantra ihn erneut.

      „Tut mir leid. Aber du bist nicht der Richtige, wenn es darum geht, diese Entscheidung zu treffen. Nicht Worte oder die Anzahl derer, die einem folgen, und auch nicht das Erbe eines Titels machen einen zum Anführer, sondern die Taten, die man selbst vollbringt. Und du, mein Freund, bist ein Anführer. Das hast du hier und heute eindrucksvoll bewiesen.“

      Dantra war so


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