Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


Скачать книгу
als sie sich gerade bei mir vorgestellt hat, war es ihr sehr wichtig, dass ich eines ihrer Ohren sehe. Sie wollte, dass ich sofort weiß, woran ich bei ihr bin.“

      „Ach, und wieso hat sie mir keines ihrer Ohren gezeigt? Bin ich vielleicht nicht wichtig genug, um sofort erkennen zu müssen, mit wem ich es zu tun habe?“ Dantras wütend rote Gesichtsfarbe war so schnell zurückgekehrt, wie sie zuvor verschwunden war.

      Comal jedoch zuckte nur mit den Schultern und sagte entschuldigend: „Du bist eben doch nur ein Mensch.“

      „Das ist es nicht!“, mischte sich Akinna ein, die ein ganzes Stück abseits gestanden hatte, um dort das Blut an ihren Pfeilen mit den großen, rauen Blättern eines Schirmstängelstrauches abzuputzen, und nun wieder zu ihnen zurückkam. „Mir war klar, dass jemand, der einen Hautgnom auf seiner Schulter trägt, sowieso nicht weiß, dass die Form meiner Ohren verrät, dass ich dem Volk der Elben angehöre. Also wieso sollte ich sie dir zeigen? Damit du noch mehr dumme Fragen stellen kannst?“

      „Du hattest einen Hautgnom auf deiner Schulter?“, brummte Comal besorgt.

      Doch Dantra winkte ab. „War ’ne Verwechslung und außerdem hat er bekommen, was er verdient hat.“ Er wandte sich wieder Akinna zu. „Ich weiß sehr wohl, dass man einen Elb an seinen Ohren erkennen kann.“

      „Ja, sicher“, schnauzte sie zurück, „genauso wie du weißt, dass meine Ohren nicht diese Form haben, damit man mich als Elbin erkennt, sondern weil sie mir die Fähigkeit verleihen, damit besser zu hören als irgendeine andere Spezies in Umbrarus. Doch wenn dein Wissen so umfassend ist, dann frag ich mich, warum du gerade geflüstert hast? Denn dann wüsstest du doch genau, dass ich dich dennoch hören kann!“

      „Nun spiel dich mal nicht so auf!“, polterte Dantra ungehalten zurück. „Ich weiß mehr, als du denkst. Zum Beispiel, dass es sehr wohl ein Geschöpf gibt, welches ein weitaus besseres Gehör hat als du. Es ist übrigens gar nicht lang her, dass wir darüber geredet haben.“

      „Ach, und wer bitte soll das sein?“

      „Der Drache, bei dessen Angriff ich fast umgekommen wäre.“

      Bei dem Wort Drachen sahen sich Akinna und Comal besorgt um. „Psst!“ Akinna hatte ihren Zeigefinger auf den Mund gelegt und flüsterte: „Also erstens ...“

      Comal fiel ihr ins Wort: „Rede nie so laut von oder über einen Drachen, wie du es gerade eben getan hast!“

      Akinna nickte zustimmend und fuhr fort: „Und zweitens ...“

      Comal mischte sich abermals ein: „Der besagte Drache hört nicht, wenn jemand ihn oder seinesgleichen beleidigt, er spürt es. Seine Drachengabe verrät es ihm.“ Akinna nickte auch dieses Mal zustimmend.

      Dantra sah die beiden skeptisch an. „Habt ihr diese Nummer, die ihr gerade abgezogen habt, einstudiert oder war das spontan?“

      „Du solltest die Sache ernst nehmen!“, ermahnte Akinna ihn verärgert.

      „Für mich ist die Sache todernst. Ich habe bei dem Drachenangriff meine Schwester getötet und noch mindestens 50 weitere Menschen. Und nun hört endlich auf, mich zu bevormunden. Lasst uns stattdessen lieber zurück zum eigentlichen Thema kommen. Warum hast du diese Männer getötet?“

      „Da können wir gleich beim Thema bleiben. Wenn du mit einer magischen Kraft, wie du sie zweifelsohne besitzt, hausieren gehst, dann dauert es nicht lange, bis die Schergen der Feuerspucker dich holen kommen, in ein dunkles Loch stecken oder gleich kopfüber aufhängen und dich wie ein Tier ausbluten lassen. Also musste ich sie töten. Denn nur Tote halten ihr Wort, wenn sie versprechen, dass sie niemals ein Sterbenswörtchen verraten! Also sag schön Danke und schweig! So, und nun lasst uns endlich weitergehen. Dieses Pack fängt langsam an zu stinken.“ Sie drehte sich um und marschierte los. Dantra und Comal folgten ihr wortlos.

      Kurz vor Sonnenuntergang hatten sie Blommer erreicht. Sie ließen sich, zwei Felder von den imposanten Stadtmauern entfernt, in einem kleinen Heuunterstand nieder. Comal zauberte wieder eine unglaublich gut schmeckende Suppe, nur dieses Mal wie versprochen mit einer ordentlichen Fleischeinlage.

      Nach dem Essen berichteten Comal und Akinna Dantra noch von einigen Wesen, Pflanzen und Gegenden, vor denen man sich in Acht nehmen sollte. Da aber ziemlich schnell deutlich wurde, dass Comal einen wesentlich besseren Draht zu Dantra aufbauen konnte, was Verhaltensregeln betraf, beschloss Akinna, sich früh schlafen zu legen. Zuvor aber verschwand sie für einige Zeit in dem nahe gelegenen Wald, aus dem sie zuvor gekommen waren. Nach ihrer Rückkehr zog sie sich wortlos in eine Ecke des Unterstandes zurück und umhüllte sich völlig mit ihrem Umhang. Dieser schien die Farbe des braunen Holzes hinter ihr anzunehmen. Wenn Dantra nicht gewusst hätte, dass sie dort lag, hätte er sie wahrscheinlich übersehen. Einige Erklärungen und Warnungen später legten sich auch Comal und Dantra zum Schlafen ins weiche Heu.

      *

      Kapitel 8

      Dantras Tiefschlaf fand wie gewohnt durch seinen Albtraum ein jähes Ende. Die morgendlichen Sonnenstrahlen drückten sich vereinzelt durch die Zwischenräume der lieblos aneinandergenagelten Bretter des Unterstandes und blendeten ihn, als er sich aufsetzte. Comal brummte ihm ein gut gelauntes „Guten Morgen“ entgegen, während er seine bescheidene Habe hinter einem kleinen Strohballenberg versteckte.

      „Morgen“, erwiderte Dantra verschlafen und sein Blick richtete sich in die Ecke, in der Akinna sich gestern zum Schlafen hingelegt hatte. „Elben scheinen keine Frühaufsteher zu sein, oder?“ Comal, der nun ebenfalls zu ihrer Begleiterin schaute, zuckte bloß mit den Schultern. „He, Akinna“, rief Dantra, „wir wollen los. Bist du fertig?“

      Als hätte sie nur darauf gewartet, von Dantra das Kommando zu erhalten, sprang sie auf und ging mit schnellem Schritt an ihm vorbei. „Wird auch Zeit. Ich dachte schon, du wolltest den ganzen Tag verträumen.“ Sie wirkte, als hätte sie nie gelegen oder gar geschlafen. Comal folgte ihr, nachdem er Dantra einen überraschten Blick zugeworfen hatte. Dantra selbst, der sich noch nicht einmal den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, suchte nun hektisch seine Sachen zusammen und stolperte den beiden hinterher.

      Auf der Straße, auf der sie am Vorabend niemandem begegnet waren, herrschte nun reges Treiben. Menschen der verschiedensten Schichten gingen, ritten oder fuhren mit Ochsenkarren in die Stadt. Nur wenige waren in die andere Richtung unterwegs. Einige zwielichtig aussehende Händler boten ihre Ware, die sich meistens aus Ramsch, unnützem Zeug und lebenswichtigen Utensilien für abergläubische Menschen zusammensetzte, bereits vor den Stadtmauern an. Als sie das Stadttor, das aus wuchtigen Granitblöcken erbaut war, durchschritten, fiel Dantra auf, dass die übergroßen Schwingtüren nicht richtig zum ansonsten unüberwindbar scheinenden Torturm und der gesamten Stadtmauer passten. Sie waren zwar aus massivem Holz gefertigt, aber eigentlich viel zu dünn, um einem eventuellen Rammbockangriff standzuhalten. „Ich war gestern in Uka“, wandte sich Dantra an Akinna, „dort sah die gesamte Stadtmauer aus, als würde sie gleich zusammenbrechen. Und auch hier scheinen die Tore nicht geeignet, irgendwelche Banditenhorden, die mit schweren Waffen ausgerüstet sind, davon abzuhalten, durch sie hindurchzubrechen. Wie kommt das?“

      „Dies ist eine sichere Stadt“, erwiderte sie gewohnt knapp.

      „Und?“, bohrte Dantra ebenfalls wie stets nach.

      „Niemand greift eine sichere Stadt an. Es wäre dasselbe, als würde man einen Drachen angreifen. Wenn du hier zu laut ans Stadttor klopfst, kann es dir passieren, dass du kurze Zeit später einen Schatten siehst. Und das ist dann auch das Letzte, was du wahrnimmst. Außer natürlich, du hast Glück und dir fällt ein Pferd auf den Kopf.“

      Ihre zynische Bemerkung ließ Dantra unkommentiert über sich ergehen, da seine Frage noch nicht ganz beantwortet war. „Wieso dann überhaupt eine Stadtmauer?“

      „Befestigungsanlagen, die so massiv gebaut sind wie diese hier, stammen noch aus alten Tagen. Die Türen mussten natürlich irgendwann erneuert werden. Aber heutzutage macht sich niemand mehr


Скачать книгу