Die Chiemsee Elfen. Yvonne Elisabeth Reiter

Die Chiemsee Elfen - Yvonne Elisabeth Reiter


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als eine Stim­me nach ihr rief: »Ni­mue, komm zu mir.«

      Sie blieb ste­hen und dreh­te sich um. Doch sie konn­te nie­man­den se­hen. Dar­auf­hin dreh­te sie sich ein­mal um ihre ei­ge­ne Ach­se. Trotz­dem ent­deck­te sie nie­man­den. Kei­ne El­fen­see­le war da.

      »War das mei­ne in­ne­re Stim­me?«, wun­der­te sie sich.

      Zur Kon­trol­le ließ sie ihre Bli­cke noch ein­mal um­her­wan­dern, doch da war nie­mand. Dann hör­te sie er­neut die Wor­te: »Komm zu mir.« Die­ses Mal war die Ton­la­ge lau­ter und die Stim­me klang jetzt stark ver­raucht, bei­na­he hei­ser.

      »Nein« – schüt­tel­te Ni­mue den Kopf – »das kann nicht mei­ne in­ne­re Stim­me sein.«

      Sie selbst hat­te noch nie ein Räu­cher­ri­tu­al mit­ge­macht oder an­der­wei­tig et­was mit Räu­che­rei­en zu tun ge­habt. Es gab kei­nen Grund, dass ihre in­ne­re Stim­me der­ar­tig klang. Trotz­dem frag­te sie sich, wo­her sie kam.

      Ni­mue ging zu­rück zum Tor. »Wer ruft nach mir?«

      »Hier un­ten«, er­wi­der­te die Stim­me so­gleich.

      Sie senk­te ih­ren Kopf, und da sah sie ihn: einen klei­nen Wich­tel. So win­zig, dass er mit ih­rer gro­ßen Zehe ver­gleich­bar war.

      Sie knie­te sich vor ihm auf den Bo­den und frag­te: »Was willst du?«

      »Ich habe ge­hört, dass hier bald ein gro­ßes Fest steigt?«, be­merk­te er mit hoch­er­ho­be­nem Kopf.

      »Ja, und?«

      »Ich möch­te mit­fei­ern und mei­ne Fa­mi­lie auch.«

      »Wie bit­te? Eh, wo kommst du her?«

      »Von der Frauen­in­sel. Wir le­ben di­rekt am See­u­fer in ei­ner klei­nen Stein­höh­le.«

      »Wie groß ist dei­ne Fa­mi­lie?«

      »Vier Gro­ß­el­tern«, fing der Wich­tel an auf­zu­zäh­len, »fünf Kin­der, ich und mei­ne Frau.«

      »Gut, ihr seid ein­ge­la­den, so­weit ich ein­la­den darf. Ich muss erst mei­nen Groß­va­ter fra­gen.«

      »Nein, nein, es ist ja dein Fest. Dein Groß­va­ter hat si­cher­lich nichts da­ge­gen. Dan­ke für dei­ne Groß­zü­gig­keit. Wir kom­men!«

      Sie nick­te zu­stim­mend, wenn auch ir­ri­tiert. Eine Se­kun­de spä­ter ver­schwand er im Nichts, wor­aus er schein­bar zu­vor ge­kom­men war. Ni­mue blin­zel­te. Es fiel ihr schwer zu glau­ben, dass er ge­ra­de wirk­lich da ge­we­sen war. Sie zuck­te mit den Schul­tern, ging auf das Schloss zu und öff­ne­te die gro­ße, höl­zer­ne Ein­gangs­tür. Gleich dar­auf schweb­te sie zum Büro ih­res Groß­va­ters, da sie so schnell wie mög­lich mit ihm über die­se Be­geg­nung spre­chen woll­te. Sie klopf­te an und war er­leich­tert, als sie sei­ne Stim­me sa­gen hör­te: »Her­ein, Ni­mue.«

      »Wo­her weiß er im­mer, dass ich es bin?«, wun­der­te sie sich, wäh­rend sie hin­ein­ging. »Opa, ich habe ge­ra­de einen Stein­wich­tel­mann ge­se­hen oder so eine ähn­li­che Art von Wicht. Sie le­ben am Ufer der Frauen­in­sel. Ich habe ihn und sei­ne Fa­mi­lie zum Fest ein­ge­la­den.«

      »Du kannst nicht je­den, der dich dar­um bit­tet, ein­la­den, Ni­mue. An­sons­ten geht uns der Platz aus.«

      »Wo­her weißt du, dass er mich um eine Ein­la­dung ge­be­ten hat?«

      Aar lach­te. »Es wer­den noch mehr We­sen auf dich zu­kom­men. Dein Fest ist das Er­eig­nis des Jah­res.«

      Ni­mu­es Au­gen wei­te­ten sich vor Ent­set­zen.

      »Die Fa­mi­lie der Wich­tel ist mit ih­ren elf Mit­glie­dern be­reits auf un­se­rer Gäs­te­lis­te. Das geht in Ord­nung, Ni­mue.«

      »Aber Opa, ich habe doch ge­ra­de erst mit ihm ge­spro­chen?«

      Er strich ihr lie­be­voll übers Haar. »Das lernst du auch noch, mei­ne klei­ne Rao’ra.«

      »Wie ich Din­ge se­hen kann, die ich gar nicht wirk­lich mit mei­nen El­fe­n­au­gen wahr­neh­me?«

      »So ähn­lich. Wie du dei­ne Ener­gi­en der­art ein­setzt, dass dir wich­ti­ge In­for­ma­ti­o­nen so­zu­sa­gen zu­flie­gen. Dazu spä­ter mehr.« Er hielt kurz inne und be­ton­te: »Viel spä­ter.«

      »Spä­ter«, hör­te sich für Ni­mue gut an, denn für den Mo­ment reich­te es ihr voll­kom­men aus, ihre in­ne­re Stim­me zu fin­den.

      »In ei­ner Stun­de beim Abend­es­sen?«, woll­te Aar sich be­stä­ti­gen las­sen und Ni­mue nick­te.

      Kurz dar­auf saß sie auf der Fens­ter­bank in ih­rem Zim­mer und spiel­te mit ih­ren Ge­dan­ken. Da­bei stell­te sie sich vie­le ver­schie­de­ne Wün­sche vor und wie sie in der Re­a­li­tät aus­se­hen wür­den.

      »Hal­lo«, be­grüß­te Ni­mue ein ed­les, grün-brau­nes Pferd mit gro­ßen Au­gen, als es di­rekt vor ihr ste­hen blieb. Sie strei­chel­te es am ele­gant ge­bo­ge­nen Hals. Die fei­ne Mäh­ne folg­te da­bei sanft den Be­we­gun­gen ih­rer Hand. Einen Au­gen­schlag spä­ter saß sie im Sat­tel und ritt mit ho­her Ge­schwin­dig­keit durch den Wald. Ni­mue spür­te den Wind auf ih­rer Haut und ge­noss die schö­ne, grü­ne Land­schaft, die sich vor ihr aus­brei­te­te. Sie grüß­te ih­ren Freund Aaro, blieb kurz bei ihm ste­hen und zeig­te ihm ihr schö­nes neu­es Tara-Pferd. Gleich dar­auf ver­schwamm das Bild vor ih­ren Au­gen und än­der­te sich in ein Brett­spiel, das di­rekt vor ihr lag.

      Elf-Tier-Zau­ber-The­a­ter war ein Brett­spiel, von dem Cara oft ge­schwärmt hat­te. Ihre Cou­si­ne er­klär­te ihr, dass es ur­sprüng­lich von ei­ner Wach­tel­fa­mi­lie kon­zi­piert wur­de. Die Wach­tel­kin­der hat­ten heim­lich den Men­schen bei ei­nem Spiel na­mens Mensch-är­ge­re-Dich-nicht zu­ge­se­hen und ih­ren El­tern da­von er­zählt. Die­se wa­ren da­von so in­spi­riert, dass sie es mit ver­än­der­ten Re­geln nach­ge­baut ha­ben. Da die Wach­teln viel klei­ner sind als die El­fen, ha­ben sich die El­fen­fa­mi­li­en der Zau­be­r­in­sel zu­sam­men­ge­tan, um das Brett­spiel für ihre Grö­ße zu ent­wer­fen.

      Das Spiel äh­nelt dem der Men­schen, wenn auch le­dig­lich in sei­nen Grund­zü­gen. Die Fi­gu­ren sind ein Esel, ein Igel, ein Pferd und ein Kro­ko­dil. Alle vier Fi­gu­ren wer­den le­ben­dig, so­bald sie mit dem Spiel­feld in Be­rüh­rung kom­men. Zu­dem ha­ben sie de­ren na­tür­li­che tie­ri­sche In­stink­te und Ei­gen­schaf­ten. So­mit ist das Pferd schnel­ler als die an­de­ren, das Kro­ko­dil flin­ker und dazu noch hin­ter­lis­tig. Der Igel ist lang­sam und ge­las­sen, und der Esel ist ver­fres­sen. Er ver­weilt da­her ger­ne am Rand, wo die Fut­ter­näp­fe ste­hen. Wenn man die­se Spiel­fi­gu­ren zur Aus­wahl hat, wür­de jede schlaue Elfe das Pferd wäh­len. Der Wunsch al­lein zählt hier­bei je­doch nicht, denn bei die­sem Spiel wählt das Tier den Elf und nicht um­ge­kehrt. Dann erst kann das Spiel be­gin­nen.

      Ni­mue stell­te sich den El­fen­wür­fel vor, von dem Cara ihr er­zählt hat­te. »Er sieht ge­nau­so aus wie der der Men­schen«, mur­mel­te sie, »der Un­ter­schied ist der Zau­ber, der im El­fen­wür­fel steckt.« Die Zah­len ver­än­dern sich je nach Lau­ne des Wür­fels und glei­chen so­mit die po­si­ti­ven und ne­ga­ti­ven Ei­gen­schaf­ten der Tie­re aus. Da­bei wird Gut und Böse in eine Waag­scha­le ge­legt. Nur so kann ein wah­rer Ge­win­ner er­mit­telt


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